Das Inselchen Herakleia (Iraklia) liegt etwa fünf Kilometer von der Südspitze der großen „Schwester“ Naxos entfernt und ist ganze 18 Quadratkilometer groß. Im Winter leben dort nur ein paar Dutzend Menschen. Für Wanderer, Ruhebedürftige oder Naturliebhaber bietet das kleine Eiland jedoch Einiges. Nicht zuletzt zeichnet es sich durch einen großen Vogelreichtum aus.
Nur wenige Touristen
Der Tourismus ist bisher sehr überschaubar, was den besonderen Reiz ausmacht für Gäste, die authentisches griechisches Inselleben und Ruhe suchen. Wie viele Bewohner die Insel hat, ist schwer zu sagen. Doch es sind nicht sehr viele und im Winter leben sogar noch weniger hier. Einige kommen im Sommer dazu, um Lokale oder Ferienunterkünfte zu betreiben. Immerhin gibt es zehn Kinder in der Grundschule in Panagia, der alten Chora oben. Die Siedlung ist fast verlassen. Die große Kirche glänzt weiß aus dem Grau-Grün von Phrygana und Macchia heraus, einige wenige Häuser sind bewohnt und gepflegt. Italienische Familien haben hier Häuser erworben und tadellos renoviert, schon mit fast übertrieben kykladischer Dekoration. Verfallene Mauern stehen neben weißen Edel-Kykladenwürfeln. Ein Laden mit Bäckerei und Kafenion, dem Treffpunkt der Einheimischen und Touristen, bietet drei verschiedene Terrassen an. Wir werden zufällig Zeugen einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Einheimischen. Es geht um die Frage, welche Arbeitsbedingungen und welche Entlohnung fair sind für die Saisonarbeitskräfte aus Bulgarien, Rumänien und Albanien. Offenbar gibt es auch einen Gegensatz zwischen den Interessen der Menschen in der Chora und im expandierenden Hafenort unten. Wie sollen die staatlichen Gelder gerecht verteilt werden? Man merkt in allen Punkten, dass der Tourismus hier noch jung ist. Merkwürdige EU-Projekte, bei denen Geld verbrannt wurde, sind noch weitere zu besichtigen, tatsächlich aber keine Spezialität dieser Insel. Neue Straßen führen ins Nirgendwo, fragwürdige Projekte, die den Einheimischen und den Gästen nicht nützen, aber offenbar hat irgendjemand daran verdient. Die spärliche Landwirtschaft auf der gebirgigen Insel, das bisschen Fischfang, Bienenhaltung und Tierzucht, die wenigen Touristen – die Einkommensmöglichkeiten sind begrenzt. Manchmal ankern Segelyachten in der Bucht zum Einkaufen oder für einen Restaurantbesuch. Da entwickelt sich allmählich eine neue Möglichkeit zu touristischer Entwicklung.
Eine Kirche auf Iraklia: Eine Portion Kykladen
Sandbucht zum Schwimmen
Potenzial ist reichlich vorhanden. Von unserer Unterkunft, Villa Zografos, oben auf dem Hügel bietet sich von der Terrasse im verwunschenen Garten ein sagenhaftes Panorama auf das Meer mit den vielen Inseln, die das Licht im Meer brechen und es in unterschiedlichen Blautönen spiegelt. Je nach Blickrichtung sieht man Naxos, Amorgos oder Schinoussa vor sich. Iraklia, heißt es, hat seinen Namen von Festen erhalten, die zu Ehren von Herakles veranstaltet worden sind. Keine Insel ohne mythologischen Hintergrund! Griechenland, Land der Mythen. Fakten? Das verfallene Kastro auf dem Hügel über der Livadi-Bucht aus dem 4. bis 2. Jahrhundert v. Chr. haben die Römer und die Venezianer noch genutzt. Eine frühkykladische Siedlung ist erwiesen, ebenso die Beteiligung der Insel am frühen Seehandel. An der Burg vorbei gehen wir runter zur perfekten flachen Sandbucht zum Schwimmen. Zwei Strandtavernen garantieren, dass man nicht verhungert oder verdurstet. Alternativ müssten wir nur dem Trampelpfad über den Hügel mit der alten Windmühle nach Agios Georgios folgen, dann könnten wir wählen zwischen mehreren soliden Lokalen, alle mit herrlichem Blick über den weißen Ort und das Meer.
Im „I Melissa“ ist die Zeit stehen geblieben. Eine Kombination aus Poststelle, Fährkartenverkauf, Pantopolion, Kafenion, Mittelpunkt der Kommunikation des Dorfes und Auskunftsstelle für alles und jedes. Hier hat sich seit mindestens 40 Jahren nichts verändert. Als wir vergeblich auf den Inselbus warten, dessen Abfahrtszeiten überall plakatiert sind, erfahren wir hier, dass es den nur im Juli und August gibt. Pünktlich zum 1. September wird der Betrieb eingestellt. Aber kein Problem. Sie rufen unsern Gastgeber an, der holt uns und unsere Einkaufstüten mit seinem Auto ab. Probleme werden hier auf unkompliziertem Wege und sehr freundlich gelöst.Dies ist eine Insel für Wanderer und Spaziergänger. Man sollte gut zu Fuß sein, um die Landschaft und die zahlreichen Buchten genießen zu können. Als besondere Sehenswürdigkeit gelten verschiedene Höhlen. Auch eine Tropfsteinhöhle ist dabei. Sie sind touristisch nicht erschlossen. Man braucht also Taschenlampen und viel Mut. Das haben wir nicht, nicht für so ein Abenteuer. Uns reicht es vollkommen, die Welt von oben zu sehen!
Laden, Post und Reisebüro: 40 Jahre unverändert
Text und Fotos Hiltrud Koch