Geprägt durch karges Gestein, weiße Häuschen im Kykladenstil, schöne, weitläufige Strände und extrem heiße Sommer – all dies hat dazu geführt, dass Ios vorwiegend von jungen Sommergästen frequentiert wird. Sechs Monate geht es laut zu. Die übrige Zeit des Jahres wandelt sich Ios zu einem erholsamen Rückzugsort. Dass die Insel aber auch mit eigenen kulinarischen Traditionen aufwarten kann, wissen die wenigsten Gäste. Davon wollen die Iiten, die Bewohner auf Ios, immer häufiger erzählen.
Kulinarische Eskapaden
Als ich auf Ios eintraf, tobte ein heftiger Wind. Die Insel, auf der sich das Grab des antiken Dichters und Denkers Homer befinden soll, empfing mich genauso wie vor 31 Jahren, als ich sie zum ersten Mal besuchte. Als Studentin trug ich damals noch stolz meinen Rucksack auf den Schultern und fand mich auf Ios unter Tausenden jungen Aussteigern wieder. Zu jener Zeit war es schick, am Sandstrand zu übernachten und in der lokalen Taverne frisch zubereitete vegetarische Gerichte für wenig Geld zu kosten. Aber das ist schon lange her, und es scheint mir fast so, als hätte sich Ios in diesen Jahren genauso verändert wie ich auch – zum Beispiel hat sich das kulinarische Angebot um ein Vielfaches erweitert.
Méze Mése – i niotiss
Es ist wenig verwunderlich, dass die erste sehr freundlich und hell eingerichtete Taverne im Hafen von Ios „die Jugendliche“ – „I niotissa“ heißt. Kostas Sainis Menükarte kann sich sehen lassen, und die Gerichte sind alle den landestypischen Kochtraditionen entnommen. Ich weiß nicht genau, was ich zuerst empfehlen soll: „Askotíri“, ein typischer Käse aus Ziegen- und Kuhmilch etwa. Er reift in einem Sack aus Ziegenhaut zirka zwei Monate heran und wird in leicht bröckeliger Konsistenz serviert. Oder die Giouvetsi-Pfanne (Grießnudeln) mit Meeresfrüchten. In Frage kommen aber auch der geschmorte Oktopus in Öl-Essig-Dressing oder das äußerst originell drapierte und gegrillte Garnelen-Souvlaki in Honigsoße. Schließlich isst das Auge ja mit. Chef Kostas Sainis steht mit in der Küche und ist mit der Resonanz auf seine Taverne recht zufrieden, vor allem „wenn man bedenkt, dass das junge Volk vorwiegend zum Feiern, Abhängen und Partymachen hierher kommt“, betont er. Seine Speisen sind außerdem sehr preiswert.
Geschmorter Oktopus
Insel des Käses und des Honigs
Das, wofür sich das kykladische Ios rühmt, ist, wie gesagt, sein Käse – vorwiegend aus Schafsmilch, aber auch aus einer Mischung aus Ziegen- und Schafsmilch. Man findet ihn in vielen Delikatess-Geschäften auf dem griechischen Festland. Aus Ios kommt auch ein harter Schnittkäse, Kefalograviera, dann Kefalotyri, ein Hartkäse, der dem Parmesan sehr ähnelt. Dann ist da auch noch der Xinotiri, ein säuerlich schmeckender Weichkäse, und schließlich der Askotyri, der wie ein Hüttenkäse aussieht und im Bauernsalat von Ios anstatt des bekannten Feta-Käses verwendet wird.
Ein Spezialprodukt des Eilands ist aber auch der Honig. Kostas Manousakis ist ein Kenner davon: „Ich heiße sie auf Homers Insel, der Insel des Honigs und des Träumens willkommen. Wir sind dankbar, dass Homer uns dieses große Erbe hinterlassen hat. Alles ist traumhaft hier. Die Kultur, die Gastfreundschaft, die Landschaft, die Strände!“ So begrüßt mich der Besitzer des Geschäfts „Mosénta“, der Thymianhonig von erstklassiger Qualität sowie andere selbstgemachte und traditionelle Waren aus Ios feilbietet. „Wie alle Kykladen, so ist auch Ios nicht sehr grün. Aber die Produkte, die uns die Insel schenkt, sind natürlich, rein und zahlreich. Die Insel besitzt so viel wilden Thymian, dass wir den besten Honig auf dem griechischen Markt herstellen.“ Kostas erzählt mir, dass er auch das Bienenwachs isst und natürlich das so wertvolle Propolis. Propolis ist eine Masse, die die Biene erzeugt, um die Löcher im Bienenwachs zu schließen, damit keine Feinde eindringen können. Der antike Arzt Hippokrates gab dieser Masse im Bienenstock den Namen: Pro Polis soll die Mauer vor der Stadt sein, der Schutz der Stadt also.
Der beste Thymianhonig kommt aus Ios
Der griechische Knusperriegel
Beim Hinausgehen aus dem „Mosénta“ packt mich Kostas’ Frau, Maria Kontonikoli, unter den Arm und fordert mich auf, einen Blick hinter die Theke zu werfen. Sie will gerade mit einer Mitarbeiterin selbstgemachtes „Pastéli“ zubereiten. So heißt die griechische Variante eines Knusperriegels, der aus Sesam und Honig besteht. Maria geht zu einem großen heißen Kessel, dessen Masse kräftig vor sich hin brodelt. „Ich röste den Sesam“ erklärt sie, „erhitze dann den Honig, rühre den Sesam hinein, füge Mandeln und Orangenschale hinzu und koche das ganze nochmal auf, bis die Masse fest wird“. Diese, noch heiße Sesam-Masse wird später auf einem großen Brett dünn ausgebreitet und anschließend in kleine rechteckige Stücke geschnitten, die separat in Cellophanpapier eingewickelt werden. Fertig ist die kleine gesunde Zwischenmahlzeit. Kostas Manousakis bietet Pastelli in allen möglichen Größen und Verpackungen an. Schließlich soll jeder Gast mindestens ein Stück davon mitnehmen können, wenn er auf Inselerkundung geht oder das nächste Schiff nimmt, um nach Hause zu fahren.
Melone aus dem Ofen
Der Name von Kostas’ Geschäft Mosénta bedeutet übrigens Wassermelonen-Pita. Wer mehr davon wissen will, der muss Angela Fakou fragen. Die junge Frau ist in Australien geboren und kehrte als Jugendliche auf die Heimatinsel ihrer Eltern zurück. Heute lebt sie vom Tourismus. So wie viele andere Ios-Bewohner, möchte sie in den kommenden Jahren die traditionelle Küche immer stärker als Marketingkonzept nutzen. Angela stellt mit ihrem Mann noch den traditionellen Askotiri-Käse her, backt aber in ihrem Gästehaus „Pavezzo“, das sich auf dem Weg zum Mylopotas-Strand befindet, immer wieder gerne die Wassermelonen-Pita für ihre Gäste zu. „Sie fragen sich sicher, wie man die macht. Ganz einfach. Schlichte Zutaten mit einem hervorragenden Ergebnis: Wir schneiden Wassermelonen in kleine Stücke, fügen Mehl und Backpulver hinzu. Dann Zucker und Rosinen. Wenn man möchte, kann man Sesam darüber streuen. Das alles wird miteinander verrührt und geht später im Backofen auf wie ein Muffin. Wenn es aus dem Ofen kommt, wird es mit Thymianhonig übergossen.“ Damit ich diese besondere Pita auch probieren kann, führt mich Angela zu einem ganz besonderen Ort auf Ios.
Frau Despina hält ein Blech Wassermelonenpita in den Händen
Frühstück im Liostasi
Liostasi ist das High-Class Hotel auf Ios. Sie lesen richtig. Das gibt es hier tatsächlich auch. Es befindet sich in frequentierter Lage am Rande von Ios Stadt und bietet eine einzigartige Aussicht auf das Meer. Im Liostasi stelle ich fest, dass die Insel inzwischen auch ein beliebtes Reiseziel für Gäste geworden ist, die längst die Jugend hinter sich gelassen haben. Und diese legen eben auch einen ganz besonderen Fokus auf gutes Essen. Wer die Eigentümerin, Despina Konsta, kennenlernt, der merkt sofort, dass man in punkto Essen nicht enttäuscht wird. Allein das Frühstücksbuffet ist sehenswert. Wer bisher der Ansicht war, griechisches Frühstück existiere überhaupt nicht, der wird hier eines Besseren belehrt. „Kyria Despina“, wie sie von allen genannt wird, ist auf ihre Kochkünste sehr stolz. Und zu Recht. Für die Wassermelonen-Pita, die ich an diesem Tag bei ihr kosten durfte, hat die Hausherrin sogar selbst in der Küche gestanden.
Von der Pavezzo Pension blickt man gerne auf das Meer
Greek Fusion zum Abschluss
Bei einem Spaziergang durch die engen Gassen von Ios-Stadt kehre ich in der Altstadt bei Harris Boukas ein. Er führt dort das „Elia“ (Olive/Olivenbaum), ein etwas anderes Restaurant. Boukas war Ingenieur in Athen. Er entschied sich aber, gemeinsam mit einem Freund auf Santorin geschäftlich tätig zu werden. Doch die Krise bringt sein Arbeitsmodell zum Scheitern. Auf dem Weg zurück nach Athen muss sein Fast-Speed-Boot wegen eines Sturms auf Ios Zwischenstation machen. Er besucht Ios-Stadt und beschloss spontan, hier ein Restaurant zu eröffnen. Und das läuft seit einigen Jahren sehr gut.
Was Boukas mir auftischt, kann sich sehen lassen: Feta-Käse gebacken mit Tomatenmarmelade, Schweinsmedaillons mit Honigsoße und schwarzem Pfeffer, gebackener Lachs mit heißer Spinatsoße und Tartar. Als Apperitif oder Degestif serviert mir der Mann „Greek Fusion“. Was das ist? Nun, ein Ouzo mit Mastixlikör, Anisgewürz und Myrte. Wie das schmeckt? – Ich finde, dafür sollten Sie selbst nach Ios fahren, um diese „Fusion“ und alles andere zu probieren!
Gestrandet auf Ios: Elia-Restaurant-Besitzer Harris Boukas
Iitischer Wein
Auch in Sachen Wein tut sich etwas auf der Insel. Alexandros Delis nennt seinen Wein „Iitis“ – nach dem antiken Name der Kykladeninsel. Die Idee zu einem Weingut kam 2013, aber es dauerte dann nochmal fast zwei Jahre, bis das notwendige Inventar dafür nach Ios gebracht werden konnte. Dass er aber bereits im ersten Jahr mit 120 Flaschen Assyrtiko-Weißwein aufwarten konnte, zeigt: Der junge Mann hat Ambitionen. Wichtig ist ihm, so wie allen anderen, die ich auf Ios kennenlernen durfte, dass sie auf Prädikate wie typisch, traditionell, lokal aufbauen wollen. 2016 begann der junge Winzer auch mit der Kultivierung von Monemvassia-Reben.
Alexandros Delis ist jung und der einzige offizielle Winzer auf Ios
Text und Fotos von Marianthi Milona