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Die einsame Schönheit der Oiti-Berge

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Die historische Gorgopotamos-Brücke bei Lamia (Fotos: GZkb) Die historische Gorgopotamos-Brücke bei Lamia (Fotos: GZkb)

Er zählt zu den schönsten Nationalparks für Rucksacktouristen in Griechenland – und zu den am wenigsten entwickelten. Das jedenfalls behauptet ein großer  Reiseführer. Rund um den Berg Oiti bei Lamia in Mittelgriechenland erwarten den Besucher einsame Dörfer und unberührte Gebirgslandschaften. Dazu gibt es geschichtlich Interessantes und so manch eine Überraschung...

Nationalpark schon seit über 50 Jahren

Geht es nach meinen griechischen Freunden, ist es die Fahrt ins große Unbekannte: Gehört haben zwar alle schon einmal von den Oiti-Bergen bei Lamia, dort gewesen ist aber noch niemand. Dabei zählen sie seit 1966 zum erlesenen Kreis der zehn griechischen Nationalparks und sind von Athen aus vergleichsweise schnell zu erreichen. Perfekt also für einen zweitätigen Kurzausflug an einem sonnenverwöhnten Wochenende! 

Brücke des Widerstands

Schon die Zugfahrt verdient das Prädikat „Sightseeing“: Im Gegensatz zur an der Küste verlaufenden Autobahn (Ethniki Odos) schlängelt sich die Bahnlinie spätestens ab Bralos zwischen mächtigen Gebirgsketten in schmalen Taleinschnitten entlang, bis schließlich der Blick auf die Ebene von Lamia freigegeben wird – sogar das Meer lässt sich im Hintergrund erahnen. Nach wunderbaren drei Stunden im Intercity brauchen wir als nächstes ein Mietauto. Ein spannendes Vorhaben, denn im Vorfeld konnten wir den einzigen laut Internet vorhandenen Autoverleih nicht erreichen. Gibt es den Laden überhaupt noch? Zum Glück zeigt uns ein überaus freundlicher Einheimischer den Weg und als das Geschäft geschlossen ist, ruft er sogar beim Besitzer an. Voilà: Kurze Zeit später verlassen wir die 75.000-Einwohner-Stadt auf eigenen vier Rädern, übrigens zu einem deutlich günstigeren Preis als vergleichbare Mietangebote in Athen.Unsere erste Station ist Gorgopotamos, ein geschichtsträchtiger Ort. Im Jahr 1942 haben hier griechische Partisanen in Zusammenarbeit mit britischen Kräften eine große Brücke der Eisenbahnlinie Thessaloniki-Athen gesprengt und damit eine Hauptnachschublinie für den Afrikafeldzug der Nazis 45 Tage lang unterbrochen. Die zwei gesprengten Pfeiler wurden behelfsmäßig als Stahlkonstruktionen wieder aufgebaut – ein bis heute anhaltender Zustand, der neben einem Denkmal die historische Bedeutung von Gorgopotamos an Ort und Stelle erlebbar macht.
Offenbar ist das nicht nur unser Eindruck, denn just als wir unser spätes Frühstück am Fuße der Brücke verzehren, sehen wir zu unserer Verwunderung plötzlich Menschen über uns, sie scheinen auf den schmalen und rostigen Trittbrettern zu spazieren. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen! Oben angekommen treffen wir auf eine größere Reisegruppe, drei Busse sind geparkt. Überwiegend ältere Menschen „erwandern“ offenbar gerade das gut 200 Meter lange Bauwerk, sogar ein Pfarrer im griechisch-orthodoxen Gewand ist mit von der Partie. Im Gegensatz zu den meisten anderen setzt er seine Schritte mutig von Bahnschwelle zu Bahnschwelle, dazwischen geht es immerhin bis zu 32 Meter in die Tiefe! Wir fragen uns, ob der schmale Seitenraum auf den Trittbrettern wohl ausreicht, wenn ein Zug vorbei fährt. Tatsächlich kündigt sich später ein solcher mit lautem Pfeifen an, allerdings sind wir zu diesem Zeitpunkt seit wenigen Minuten wieder alleine ... Ob da wohl jemand den Fahrplan studiert hatte?

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Die Brücke für Zug und Fußgänger

 

Streetart in Pavliani

Nach diesem kurzzeitigen Trubel dominiert wieder die Ruhe der landschaftlich wunderschönen Berge. Wir fahren in südwestlicher Richtung über Dio Vouna und Koumaritsi immer weiter hinauf, zum Teil auf Schotter- und Erdstraßen. Dank des guten Wetters und der Trockenheit erreichen wir das Bergdorf Pavliani ohne Probleme. Zu unserem eigenen Überraschen treffen wir dort auf etwas, mit dem wir so überhaupt nicht gerechnet hatten: Streetart –  überall im Ort sind Häuser künstlerisch bemalt. So balanciert etwa eine Frau auf einer tatsächlich vorhandenen Leitung an einer Fassade. An anderer Stelle tanzt eine aufgemalte Figur beschwingt um ein Regenrohr. Freilich hat es den Anschein, dass es sich hierbei um ein organisiertes Kunstprojekt oder ähnliches handelt – genauso wie bei der ebenfalls künstlerisch gestalteten Mühle im benachbarten Bachtal. Dort kann man über eine als Klaviertastatur angemalte Hängebrücke laufen, während aus einem Lautsprecher klassische Musik ertönt. Direkt nebenan ein wahrhaftiger Zauberwald mit eng stehenden, alten Bäumen. Der nahegelegene Fluss spendet sowohl Kühle als auch ein wohlklingendes Wasserrauschen, die Erkundung fällt dank eines aufwändig gestalteten Lehrpfades leicht. Geld muss man nirgends zahlen, lediglich um eine kleine Spende wird in Form einer aufgestellten Box gebeten. Beeindruckend ist einerseits die Liebe zum Detail, mit der hier gearbeitet wurde und andererseits, wie rücksichtsvoll vorhandenes Gebautes, etwa der Regenabfluss, in die Kunst integriert wurde. 

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Akrobatik auf dem Kabel

 

Rekordverdächtiges Bergdorf

Am Nachmittag ziehen wir weiter, unser nächstes Ziel ist Kastriotissa, mit 1.160 Metern Seehöhe eines der höchstgelegenen Dörfer in den Oiti-Bergen und generell ganz Griechenlands. Die Fahrt dauert etwas länger, was auch an den mit zunehmender Höhe schlechter werdenden Straßen liegt. Umso besser lässt sich allerdings die Natur genießen: Immer wieder halten wir an, um das beeindruckende Panorama zu bestaunen – manchmal aber auch, weil ein Straßenhund vor unserem Auto die Weiterfahrt blockiert. In Kastriotissa treffen wir gar nur noch auf tierische Bewohner. Von den offiziell hier gemeldeten 118 Einwohnern lässt sich jedenfalls niemand blicken. Der Ort ist von kleinen Häusern und verwinkelten Gassen geprägt und hinterlässt einem einsam-verschlafenen, dennoch aber gemütlichen Eindruck. Ob das immer so ist oder an unserem Reisedatum außerhalb der Saison liegt, ist natürlich eine andere Frage. Im langsam untergehenden Sonnenlicht entdecken wir noch so manch ein Auto aus längst vergangenen Zeiten, bevor wir uns auf den Weg Richtung Tal begeben. 

Vom „Frühlings“-Hotel zum Tourla-Gipfel

Am nächsten Morgen werden wir von Sonnenstrahlen geweckt, die über die Berge hinweg in unser Hotelzimmer scheinen. Wir hatten uns für das „Anixis Hotel“ in Loutra Ipati entschieden, eine gute und empfehlenswerte Unterkunft für alle, denen ein günstiger Preis wichtig ist. Ansonsten finden sich vor Ort genug Alternativen, denn Loutra Ipati ist Kurort und besitzt auch ein Thermalbad. Obwohl wir offenbar die einzigen Gäste sind, wird uns ein reichhaltiges Frühstück aufgedeckt, und schnell plaudern wir mit dem Hotelbesitzer mittleren Alters, Herrn Charalambos über Weltgeschehen und Politik, bis er uns schließlich vor den lodernden Kamin bittet. So erfahren wir mehr über seine Familie, die das Hotel in Eigenregie führt.
Wegen der ausführlichen morgendlichen Plauderei kommen wir erst am Mittag los, diesmal geht es auf Empfehlung des Wirts Richtung Neochori, westlich des Oiti-Massivs. Rund sieben Kilometer davor parken wir allerdings am Straßenrand, denn heute soll gewandert werden. Tourla heißt der Gipfel mit knapp 1.800 Metern, zu dem unsere kurze, ein- bis zweistündige und nicht allzu schwere Wanderung führt. Zuerst geht es durch nadeligen Baumbestand, doch schnell lichtet sich der Wald und wir laufen auf einem markierten Weg über weite Bergwiesen. Diese werden immer wieder von Geländekanten unterbrochen, die dann wiederum eine neue (gefühlt noch schönere) Ebene freigeben. Um uns herum die herrliche Gebirgswelt. 

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Ausblick auf die Gebirgswelt

 

Oiti ich komm wieder!

Nach dem darauffolgenden Abstieg im fast schon zu kitschigen Sonnenuntergang fahren wir auch schon wieder zurück in die Hauptstadt. Ich lasse das Erlebte Revue passieren und weiß schon jetzt, dass mich die Gegend um den Oiti-Nationalpark definitiv wiedersehen wird: So steht beispielsweise noch eine Besuch der Thermopylen aus, heutzutage „nur noch“ heiße Quellen am Rande steil aufragender Berge, das Meer weit entfernt. In der Antike jedoch war die Passage an dieser Stelle nur wenige Meter breit, dementsprechend umkämpft war dieser strategisch wichtige Punkt auf dem Weg nach Athen: etwa 480 v. Chr. während der Perserkriege, oder auch (nach bereits fortgeschrittener Versandung) 1941 im Rahmen des deutschen Balkanfeldzuges. 

Text von Max Söllner

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