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Chios – Die Mitte und der Norden der Insel

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Chios – Die Mitte und der Norden der Insel

Bei einer Fahrt durch die landschaftlich kontrastreiche Insel Chios stößt man auf Geistersiedlungen, mittelalterliche Kirchlein und auf bis vor wenigen Jahren verlassene Dörfer, die jetzt pulsierendes Leben versprühen.

Teil 2 –Verlassene Dörfer werden zu neuem Leben erweckt

Zwischen dem Kloster Nea Moni und der Westküste der Insel liegen zwei einsame Dörfer. Eins von ihnen, Avgonyma, wird gerade wiederbelebt, das andere, Anavatos, verharrt seit über 100 Jahren als Geisterdorf auf und am Hang eines kahlen Felsrückens. Wer hier vom kleinen Kafenio am unteren Dorfende zur einstigen Fliehburg am höchsten Punkt hinauf wandert, blickt nur in leere Haushülsen, die ihrer Schauerlichkeit wegen in Erinnerung bleiben. Das auf einem kleinen Bergplateau gelegene Anavatos war noch Anfang der 1990er Jahre fast ebenso verlassen, mehr als eine fast immer gähnend leere Taverne gab es dort nicht. Dann entdeckten ein paar aus dem Dorf stammende Städter die Schönheit ihrer alten Heimat wieder und begannen, ihre alten Häuser als Sommersitz zu restaurieren. Schließlich hatten zwei Männer den Mut, fremde alte Häuser aufzukaufen und als Ferienhäuser für Urlauber herzurichten. Jetzt ist Avgonyma wieder den ganzen Sommer über und sogar an Winterwochenenden voller Leben. Man genießt die reine Luft, einen kurzen Bummel durch die von Naturstein dominierte Architektur, stattet der prunkvollen Georgs-Kirche am Dorfplatz mit ihrer schönen hölzernen Ikonostase einen Besuch ab und lässt sich in den inzwischen drei Dorftavernen die traditionelle chiotische Küche in anheimelnder Atmosphäre fernab aller Hektik schmecken.

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Heilige der Gehbehinderten

Auch in Volissos mit seiner genuesischen Burg standen bis in die 1980er Jahre hinein viele Häuser leer. Gut restauriert, werden jetzt einige von ihnen an Urlauber vermietet. Das Meer ist nur drei Kilometer entfernt. Da kann man an den Stränden zwischen Limnia und Limnos an drei Sand-Kiesel-Stränden baden und ganz hervorragend zu Alte-Zeiten-Preisen frischen Fisch genießen. Nur fünf Kilometer entfernt bildet das Kloster der hl. Markella das bedeutendste Pilgerziel der Insel. Der Legende nach war Markella ein frommes Mädchen aus Volissos, deren Vater sie an ihrem 18. Geburtstag „zur Frau machen“ wollte. Sie floh entsetzt, verbarg sich in einem Brombeerbusch, den der Vater in Brand setzte. Die heilige Jungfrau errettete sie aus den Flammen und öffnete für sie einen Fels an der Küste, in dem sie Schutz finden sollte. Doch der Vater war schneller, ergriff sie am Kopf und enthauptete sie. Ihr Leib fiel ins Meer, der Kopf wurde ans Ufer getrieben. Dorfbewohner fanden ihn und setzten ihn unter dem verkohlten Brombeerbusch bei. An dessen Stelle wurde bald darauf eine erste kleine Kapelle errichtet. Markella bewirkte dort so viele Wunder, dass man ihr bald die große Kirche errichtete, die heute das Hauptziel aller Pilger ist. Kirchweih wird hier vom 22. bis zum 24. Juli gefeiert. Einen guten Ruf hat sich die hl. Markella vor allem als Heilerin von Bein- und Hüftgelenkserkrankungen gemacht. Dass sie nach Meinung der Gläubigen auch heute noch wunderwirksam ist, belegen die vielen in der Kirche aufgehängten Krücken und Beinschienen. Gläubige haben sie nach ihrer wundersamen Heilung hier deponiert. Nach kurzer Zeit lässt der zuständige Priester sie aber in andere Räumlichkeiten der Klosteranlage abstellen. Er will, so sagt er, „aus dem Gotteshaus kein Lagerhaus machen“.

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Und doch noch Homer

In allen bisher besuchten Inselteilen gab es keine Spur von Homer, obwohl der, wenn es ihn denn überhaupt gab, auf Chios das Licht der archaischen Welt erblickt haben soll. Nur ein Fels bei Vrondados nördlich der Inselhauptstadt wird von Lokalpatrioten mit ihm in Verbindung gebracht: Die Daskalopetra. Auf der abgeflachten Kuppe eines niedrigen Felsens erhebt sich da ein etwa 70 Zentimeter hoher Felsblock, der von ihnen als „Lehrstuhl“ des großen Epikers betrachtet wird. Ihm schräg gegenüber sind auch noch etwa zwei Meter einer Felsbank erhalten, auf der seine Schüler ihm gelauscht haben sollen. Archäologen freilich haben die gesamte Anlage als ein antikes Heiligtum der Göttin Kybele identifiziert.

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Jetzt ein Geisterdorf: Anavatos

 

Text und Fotos von Klaus Bötig

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