Die Insel Ikaria – benannt nach Ikarus, weil ihn sein Vater Daidalos dort beigesetzt hat – ist es wert, entdeckt zu werden. Heute können Sie den ersten Teil der Reportage lesen und morgen erfahren Sie etwas über das Emigrationsschicksal der Insel und den bösen Blick.
Ikaria ist unter Touristen immer noch wenig bekannt. Wer aber schon einmal dort war, der erinnert sich an die starke Sonne, die noch heute die Flügel des Ikarus wegschmelzen könnte. Für einen Segelflug wäre die Insel allemal und auch heute gut geeignet. Ihre Winde sorgen regelmäßig für mächtigen Auftrieb. Und deswegen ist es offensichtlich ein Genuss für Adler und Habichte, von den Höhen Ikarias bis hinunter zum Wasser zu fliegen und nach Beute Ausschau zu halten.
Die lange sich selbst überlassene Insel hat über die Jahre gelernt, sich zu versorgen. Ein eigenes Krankenhaus, ein Altenheim und eine gut ausgestattete Krankenstation überraschen den Besucher auf Ikaria genauso wie die durch und durch linke Gesinnung seiner Bewohner. Dadurch aber, und das ist das Gute, waren sie niemals mit dem griechischen Klientelismus verfilzt.
Die griechischen Obristen (1967-1974) erklärten Ikaria, weil sie schwer zugänglich war, zur Verbannungsinsel und so wurde dort ein Teil der kulturellen Elite des Landes gefangen gehalten. Einer von ihnen war Mikis Theodorakis. Er hat später die Erfahrungen seiner Ikaria-Zeit in Liedkompositionen festgehalten.
Überall auf der Insel - das Symbol des Ikarus
Abenteuer Anflug
Von Thessaloniki aus geht es los in Richtung Ikaria mitten in der Ägäis – per Frühflug in einer sehr kleinen Propellermaschine mit 20 Sitzplätzen. Ich bin an diesem Morgen eine von vier Passagieren an Bord. Das starke Motorengeräusch dröhnt mir ununterbrochen in den Ohren. Und die kreisenden Propeller beim Blick aus dem Fenster versetzen mich in die Pionierzeit des Fliegens zurück. Jede Luftveränderung ist zu spüren. Wer nach Ikaria fliegt, der muss auf dem Weg dorthin wegen der starken Winde immer darauf gefasst sein, ordentlich durchgeschüttelt zu werden. Mein Abenteuer beginnt also schon bei der Anreise auf diese gebirgige und auch geheimnisvolle griechische Insel.
Ungewöhnliche Eindrücke
Eine unter den Mitreisenden an Bord ist eine junge Ärztin, die übers Wochenende auf dem Festland war. Sie arbeitet seit knapp drei Jahren auf Ikaria. Nach unserer Ankunft auf dem kleinen Flughafen nimmt sie mich in ihrem Wagen bis zum Hauptort Agios Kirikos mit. Dort besorge ich mir einen Mietwagen und fahre dann selbst weiter zur kleinen Hafenbucht von Therma – mein Basislager für die nächsten Tage und für meine Erkundungsreisen durch die Insel.
In meinem Domizil, aber auch überall auf der Insel, fällt eines sofort auf: Während auf anderen Eilanden die Menschen unter Wasserknappheit leiden, haben die Ikarioten davon im Überfluss: Sie können es sich sogar leisten, ein Flussbett zu asphaltieren, um mit dem Auto bis vor die eigene Haustür zu fahren.
Therma liegt in einer kleinen Bucht und ist für seine Warmwasserquellen bekannt, die vor allem bei Osteoporose helfen sollen. Viele Griechen gönnten sich hier vor der Krise einen teilweise von den Krankenkassen IKA und OGA bezuschussten Kuraufenthalt. In den letzten Jahren aber sind die Gäste dem Thermalbad ferngeblieben.
Was den Tourismus generell betrifft, so ist Ikaria bis heute eine Insel, die traditionell von Mitte Juli bis Mitte August fast nur von Griechen besucht wird. Und da ich in der Vorsaison unterwegs bin, habe ich manchmal das Gefühl, als sei ich der einzige fremde Gast hier.
In Manganitis lebt Panagiotis
Panagiotis ist 30 Jahre alt und nennt sich selbst „Inselzuwanderer“. Ich treffe ihn in Manganitis, einem verschlafenen Fischernest am südwestlichen Zipfel. Eine Verbindungsstraße zum Rest der Insel wurde für Manganitis erst Ende der 1980er Jahre gebaut.
Panagiotis ist nicht hier geboren, aber sein Großvater stammt aus dem Ort. Er hat das Häuschen seines Vorfahren übernommen, instand gesetzt und sich für ein ruhiges Leben, abseits der Großstadthektik, entschieden. Ich spreche ihn gleich auf das Thema Wasser an. „Wasser? – Ja, davon besitzen wir Unmengen. Wir könnten die gesamten trockenen Kykladen damit bewässern“, erklärt mir der ernste Junge. Das wäre mal eine vernünftige Zukunftsinvestition, erwidere ich. „Wissen Sie, unsere Warmwasser-Heilquellen besitzen so viel Kraft, dass man mit den Möglichkeiten, die man heute zur Verfügung hat, die gesamte Insel mit Wärme und Energie versorgen könnte.“ Aber dafür sei die Politik zuständig, murrt er, und ausgerechnet von Politik will er hier auf Ikaria eigentlich nichts wissen.
Panagiotis hat sich vor einigen Jahren entschlossen, in Manganitis das Pantopolio, den Tante-Emma Laden, zu mieten – ein Pantopolio, das gleichzeitig Postamt und Taverne ist. Eine derart buntes Lokal habe ich schon lange nicht mehr gesehen! Es liegt noch dazu direkt neben der Kirche und bildet so einen wichtigen Treffpunkt für die Dorfbewohner. Bei Panagiotis kriegt man alles: von frischen Eiern bis zu verpacktem Käse für Toast. Und mittags sogar frischen Salat aus dem eigenen Garten. Panagiotis ist, so wie viele junge Griechen im Übrigen auch, überzeugt, dass die griechischen Inseln und ganz Griechenland überhaupt eigentlich nicht im Sommer am sehenswertesten sind. Und er hat Recht.
Panagiotis bunter Pandopolion
Text und Fotos von Marianthi Milona