Hydra: Der Name eines felsigen Eilands vor der Südostküste der Argolis ruft in Griechenland Assoziationen von heldenmütiger Vergangenheit und kosmopolitischem Flair hervor. Von Athen aus leicht und in verhältnismäßig kurzer Zeit zu erreichen – die Fahrt mit dem Flying Dolphin dauert vom Piräus aus gerade mal anderthalb Stunden –, ist Hydra eines der begehrtesten Ziele unter den der Hauptstadt nahegelegenen Inseln.
Gerade an den Wochenenden füllt sich Hydra, mit dem gleichnamigen, malerischen Hauptort, mit dem quirligen und bunten Treiben der Ausflügler. In den Cafés und Restaurants an der Hafenpromenade herrscht dann ein munteres Stimmengewirr, und die zahlreichen Schaufenster laden zum Bummeln ein – egal ob sie nun geschmackvollen Schmuck oder eher skurrilen Nippes offerieren. Als überaus wohltuend erweist sich dabei jedes Fehlen des andernorts so verbreiteten Motorenlärms: Autos und Mopeds sind verboten; allein Maulesel stehen zu Transportzwecken bereit. Eingebettet ist das Ganze zudem in eine außerordentlich pittoreske Kulisse. Wie ein Amphitheater ziehen sich die häufig weißgetünchten Häuser mit ihren roten Ziegeldächern an den das Hafenbecken umfangenden Hängen empor. Eindrucksvolle Akzente setzen dazwischen immer wieder machtvolle, aus dunklerem Stein errichtete Herrenhäuser. Dieses Neben- und Miteinander verleiht dem Erscheinungsbild Hydras seinen ganz besonderen, unverwechselbaren Charakter, dessen Einzigartigkeit den Ankommenden auf Anhieb in seinen Bann zieht.
Im Visier des internationalen Jetsets
Vielen prominenten Besuchern erging es in der Vergangenheit nicht anders als dem heutigen Reisenden. Spätestens nachdem die Athener Kunstakademie (Ανώτατη Σχολή Καλών Τεχνών) 1936 auf Hydra eine Zweigstelle eingerichtet hatte, geriet die Insel ins Visier von Künstlern und Intellektuellen. Die Bekanntheit des hier lebenden Malers Nikos Ghikas (eigentlich: Chatzikyriakos-Ghikas) tat noch das Ihre dazu. Und so zog es schließlich Marc Chagall ebenso nach Hydra wie Henry Miller, Giorgos Seferis war genauso zu Gast wie Odysseas Elytis. Brice Marden zog sich hierher zurück, und Leonard Cohen erwarb ein Haus im Dorf Kamini.
Zwei Filme vor allem waren es, welche die Insel in den 1950er Jahren ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit rückten: „Das Mädchen in Schwarz“ (Το κορίτσι με τα μαύρα, 1956) von Michalis Kakogiannis und „Der Knabe auf dem Delphin“ (Boy on a Dolphin, 1957) mit Sophia Loren. In der Folge dauerte es nicht lange, bis der internationale Jetset Hydra für sich entdeckte, und allmählich sollte sich der Tourismus dann zum wichtigsten Wirtschaftszweig der Insel entwickeln. Dabei wurde aber stets penibel darauf geachtet, ihre Besonderheit zu bewahren. Dass sie unter Natur- und Denkmalschutz gestellt wurde, ist da schon fast eine Selbstverständlichkeit. Verboten sind nicht nur Autos, sondern auch Satellitenschüsseln und Plastikstühle, von Leuchtreklamen ganz zu schweigen. Die Hydrioten meinen es auch heute noch tatsächlich ernst mit ihrem einmal eingeschlagenen Weg, selbst wenn man außerhalb des Ortes schon auch mal das eine oder andere Fahrzeug entdecken kann.
Dorf Kamini
Spekulationen über die Herkunft des Namens
In eigentümlichem Gegensatz zu den natürlichen Gegebenheiten scheint der Name der Insel zu stehen. Ebenso wie ihre antike Bezeichnung Hydrea lässt dieser sich offensichtlich von dem Wort „hydor“ (altgr.: „Wasser“) herleiten. Hydra aber ist so wasserarm, dass das benötigte Trinkwasser tagtäglich mit einem Schiff herbeigeschafft werden musste. Seit 2014 versorgt eine Entsalzungsanlage einer privaten Firma bei Mandraki die Insel mit hochwertigem Trinkwasser. Ob der Widerspruch darauf zurückzuführen ist, dass sich im Namen möglicherweise der Reflex eines ehemals reicheren Wasservorkommens in alter Zeit erhalten haben könnte, bleibt reine Spekulation. Sicher ist dagegen, dass schon in der Zeit der homerischen Helden, das heißt also in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Menschen auf der Insel lebten. Vereinzelte Spuren führen vielleicht sogar noch weiter, nämlich bis ins 3. Jahrtausend v. Chr. zurück. Im weiteren Verlauf der Geschichte spielte Hydra zunächst aber keine besondere Rolle. Zwar wird ihr Name in den Quellen hier und dort genannt, z. B. in Zusammenhang mit den 525 v. Chr. von Samos vertriebenen Aristokraten, die hier eine neue Heimstatt fanden. Und auch Bodenfunde, die eine entsprechende Besiedelung belegen, sind aus Antike und Mittelalter auf uns gekommen. Von größerer Bedeutung aber war die Insel in dieser ganzen Zeit offenbar nicht. Das sollte sich erst in der Neuzeit ändern, als Hydra einen ungeheuren Aufstieg erlebte und schließlich zu einem der wichtigsten Plätze Griechenlands avancierte.
Wirtschaftliche Blüte auf den „Reederinseln“
Der Grundstein für diese spätere Entwicklung wurde gelegt, als infolge der osmanischen Inbesitznahme der Peloponnes 1460 in größerer Zahl vor allem christliche Albaner (Arvaniten) auf die Insel auswichen. Die Türken selbst zeigten an einer Besetzung des von ihnen Çamlıca genannten Eilands wenig Interesse. Sie gewährten seinen Bewohnern eine weitreichende Autonomie, verpflichteten sie jedoch, Matrosen zum Dienst in der osmanischen Marine abzustellen. Unter diesen im Grunde verhältnismäßig günstigen Bedingungen wandten sich die Hydrioten, deren Zahl durch die Zuwanderung weiterer Flüchtlinge ständig anstieg, schließlich zunehmend der Seefahrt zu. Erste Handelsbeziehungen wurden geknüpft und der Bewegungsradius der Schiffe im Laufe der Zeit bis nach Konstantinopel ausgedehnt. 1745 gründete man auf der Insel die erste griechische Schifffahrtsschule.
Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert erlebte Hydra dann den Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Blüte und etablierte sich neben Spetses und Psara als eine der drei berühmten „Reederinseln“ Griechenlands. Dabei profitierte man in ganz entscheidendem Maße von der politischen Großwetterlage. Insbesondere der 1774 zwischen Russland und dem Osmanischen Reich geschlossene Friedensvertrag von Küçük Kainarca sowie das 1783 von beiden Mächten vereinbarte Handelsabkommen von Aynalı Kavak schufen ganz hervorragende Bedingungen für die griechischen Schiffe, die damals im Wesentlichen den Handel und Warentransport im östlichen Mittelmeer besorgten. Die Osmanen waren nämlich gezwungen, ihnen den Zugang zum Schwarzen Meer zu ermöglichen, was den Griechen den ausschließlichen Zugriff auf den Getreideexport aus der Ukraine sicherte. Überdies erhielten sie die Berechtigung, unbeschränkt unter russischer Flagge zu fahren.
Herausragende Rolle im Freiheitskampf
Beförderten allein schon diese Zugeständnisse den Gewinnzuwachs in ungeahntem Ausmaß, vergrößerten gerade die Hydrioten ihr Vermögen zudem mit einem wagemutigen Unterlaufen der britischen Seeblockade gegen Napoleon im westlichen Mittelmeer. Unmittelbarer Ausdruck des so erwirtschafteten Reichtums sind die in der Zeit um 1800 von genuesischen und venezianischen Architekten gebauten Herrenhäuser, die im Hauptort der Insel noch heute von der damaligen Größe künden. Die einstigen Besitzer waren Familien, deren Namen in Griechenland nach wie vor ein besonderer Klang anhaftet: Koundouriotis, Tombazis, Voulgaris, Kriezis und andere. Mehr als 20.000 Menschen sollen zur Zeit der höchsten Blüte auf der Insel gelebt haben, und ihre Häfen boten einer beeindruckenden Flotte Schutz.
Gerade diese Flotte war es, der Hydra seine herausragende Rolle im griechischen Freiheitskampf verdankte. Gemeinsam mit den Kontingenten von Spetses und Psara bildete sie eine Seemacht, die ganz entscheidend zum erfolgreichen Gelingen der Erhebung beitrug. Hatten die Hydrioten, als der Aufstand Ende März 1821 ausbrach, anfangs auch noch gezögert, griffen sie doch bald schon energisch in das Kampfgeschehen ein. Oberbefehlshaber der griechischen Flotte wurde im weiteren Verlauf der Entwicklung der von Hydra stammende Andreas Miaoulis, dem zu Ehren jedes Jahr Ende Juni das Hauptfest der Insel (Miaoulia) begangen wird. Im Kampf gegen die Türken galt Hydra geradezu als Trutzburg, und der auf Seiten der Besatzer kämpfende ägyptische General Ibrahim bezeichnete die Insel 1825 anerkennend gar als „Klein-England“.
Nach dem Ende des Befreiungskrieges sehen wir Hydrioten dann wiederholt in Schlüsselpositionen der griechischen Politik. Mehrfach stellte die Insel nicht nur Minister, sondern auch Ministerpräsidenten, 1924 nach vorübergehender Beseitigung der Monarchie sogar den ersten Staatspräsidenten des Landes. Wirtschaftlich dagegen gelang es Hydra nicht, an die früheren Erfolge im Seehandel anzuknüpfen. Die Kämpfe hatten die Ressourcen weitgehend erschöpft, und besonders der zusehends größer werdenden ausländischen Konkurrenz war man kaum mehr gewachsen. So verließen denn auch zahlreiche Bewohner die Insel, um ihr Glück anderswo, beispielsweise in Athen oder im Piräus zu suchen. Auf Hydra selbst wandte man sich dagegen verstärkt der Schwammfischerei zu, einer Tätigkeit, die noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die zentrale Existenzgrundlage darstellen sollte. Erst das Aufblühen des Tourismus schuf für das Leben der Inselbewohner wieder eine völlig neue Basis.
Fischerboote füllen das Hafenbecken
Sieht man Hydra aus der Ferne, könnte man meinen, hier nicht etwa eine der angesagtesten Inseln Griechenlands, sondern nur einen langgezogenen und in seiner schroffen Kargheit eher wenig einladenden Felsklotz vor sich zu haben. Nähert man sich dann aber allmählich dem Hauptort und fährt vorbei am stolzen Bau des Inselmuseums und dem Gebäudekomplex der Familie Tsamadou schließlich in den Hafen ein, bietet sich ein ganz anderes Bild. Sogleich wird man in die ganz einzigartige Atmosphäre hineingezogen, die dort herrscht. Große und kleine Schiffe, rotweiße Wassertaxis, noble Jachten und einfache Fischerboote füllen einträchtig das Hafenbecken, um das sich die belebte, bunte Promenade zieht. In deren Mitte erhebt sich elegant der marmorne Glockenturm der Hauptkirche Hydras, die der Entschlafung Mariens geweiht ist (Koimesis / Kímisis tis Theotókou). Das ehemals zugehörige, ins 17. Jahrhundert zurückreichende Kloster beherbergt heute ein kleines Museum für Kirchenkunst. In reizvollem Kontrast zum Trubel an der Hafenmole stehen die ruhigen, oft kleinen und verwinkelten Gassen und Treppenwege, die sich gleich im Anschluss durch den liebevoll gepflegten Ort schlängeln. Ein besonderes Augenmerk verdient hier neben der Apotheke „Rafaliá“ mit ihrer erhaltenen Innenausstattung des späten 19. Jahrhunderts unter anderem das nochmals 100 Jahre ältere Haus des Lazaros Koundouriotis, das von der Historischen und Ethnologischen Gesellschaft Griechenlands als Museum zugänglich gemacht worden ist. Die Dependance der Athener Kunstakademie befindet sich im herrschaftlichen Haus der Familie Tombazis westlich oberhalb des Hafens.
Am Hafen, mit Kimisis Theotokou (Glockenturm)
Wandern durch wunderbaren Kiefernwald
Aber gar nicht allein der Hauptort lädt zu Spaziergängen ein. Kleinere und größere Entdeckungstouren lassen sich auch in seine nähere und fernere Umgebung unternehmen. So führt beispielsweise vom Hafen aus unmittelbar oberhalb der Küstenlinie ein bequemer Weg nach Kamini mit seinen hübschen Tavernen (20 Min.). Von dort aus kann man der Felsenküste weiter folgen bis zur Feriensiedlung Vlichos (20 Min.) und dann vorbei an weiteren Ferienhäusern hin zum Strand von Plakes (15 Min.). Verlässt man den Hafen in die entgegengesetzte Richtung nach Osten, erreicht man über eine an der felsigen Küste entlangführende Zementpiste Mandraki (30 Min.), den alten Kriegshafen von Hydra, in dem allerdings eine größere Hotelanlage eingerichtet wurde. Etwas anstrengender ist dagegen der Anstieg vom Hafen hinauf zum Kloster Profitis Elias (1,5 Std.). Er führt freilich längere Zeit durch einen wunderbaren Kiefernwald und hält stets herrliche Ausblicke in die Landschaft und auf den Hauptort hinab bereit. Überwältigend ist schließlich das Panorama, das sich von der Höhe des Klosters selbst bietet. Weit schweift das Auge hinaus aufs Meer mit den dort liegenden Inseln und hinüber zur Küste der Peloponnes. Die Mühen des Anstiegs sind so schnell vergessen, und begierig mag man sich am nächsten Tag schon einer neuen Wanderung zuwenden.
Für den Badefreund ist Hydra gewiss nicht das ideale Ziel, da gibt es anderswo bessere Strände. Wer sich aber vom Flair des Hafenorts gefangen nehmen lassen und die landschaftlichen Schönheiten der Insel erkunden möchte, der kommt hier ganz ohne Zweifel voll auf seine Kosten.
Text und Fotos von Jens Rohmann