„Fior di Levante“ nannten die Venezianer Zakynthos, die größte Insel vor der Westküste des Peloponnes. In den letzten 65 Jahren war sie immer wieder einmal für positive und negative Schlagzeilen gut.
In Israel war Zakynthos lange eine der bekanntesten griechischen Inseln. Bürgermeister und Bischof gelang es hier während der deutschen Besetzung unter Einsatz des eigenen Lebens, ihre jüdischen Mitbewohner vor dem Abtransport in deutsche Vernichtungslager zu bewahren. Auf die von den Nazis 1943 geforderte Liste aller jüdischen Insulaner setzten sie als wahre Christen nur ihre eigenen Namen. In deutschen Medien stand darüber nichts.
Aber in späteren Jahren fanden in niveaulosen deutschen Medienberichten die exzessiven Sexspielchen auf Pisten und Tresen zakynthischer Bars und Diskotheken immer wieder einmal luftblasenartige Beachtung. Nachhaltiger war die Berichterstattung in ganz Mitteleuropa über die manchmal erbitterten Kämpfe, die sich Naturschützer und Touristikbetriebe in den Orten an der Bucht von Laganas lieferten (und immer noch liefern): Die Einen sprechen die exzellenten Sandstrände dort vorrangig den Meeresschildkröten zu, die seit Menschengedenken in jedem Frühsommer zu Tausenden zur Eiablage kommen. Die Anderen haben dort Tavernen und Hotels erbaut, wollen Nester zerstörende Sonnenschirme vermieten und Bootstouren anbieten.
Um die ganze Welt gingen Bilder aus dem Jahr 1953. Ein verheerendes Erdbeben und ein anschließender Großbrand hatte die gesamte Inselhauptstadt zerstört und all ihre Bewohner obdachlos gemacht. Nur die Kirche des Inselheiligen Dionysios und ein Tempel schnöden Mammons – die National Bank – blieben nahezu unversehrt.
Venezianische Leichtigkeit
Heute ist Zakynthos-Town wieder eine der schönsten Inselstädte Griechenlands. Die wichtigsten Straßenzüge, Plätze und Bauten wurden originalgetreu rekonstruiert, der historische Grundriss beibehalten. Manches erinnert an die viel größere venezianische Stadt Kerkyra (Korfu), doch alles wirkt provinzieller und bescheidener. Statt wie dort im Cambiello-Viertel sechsgeschossig zu bauen, beließ man es hier meist bei zwei Etagen. Die Plätze sind kleiner, die Arkaden entlang der Hauptgasse weniger monumental. Zakynthos, das Manche auch Zante nennen, versprüht venezianische Leichtigkeit ohne venezianischen Pomp.
Die venezianische Festung Bochali drängt sich anders als die beiden venezianischen Burgen in der Stadt Korfu dem Auge nicht auf, sondern duckt sich zwischen Kiefern und Ölbäumen versteckt auf den langgestreckten Sandsteinrücken, der die Inselmetropole nach Westen hin vom Rest des Eilands abschirmt. Wer zunächst über Treppen und über kleine Sträßlein und dann auf gepflastertem Weg zu Fuß von der Platia San Marco aus nach Bochali hinaufgeht, taucht sogleich in üppige Natur ein. Man kommt hier am obersten Stadtrand an Häusern vorbei, in die man gern sofort einziehen möchte, aber auch an anderen, in denen wohl keiner mehr gerne wohnt. Sogar ein paar sehr schlichte Holzhütten aus der Zeit unmittelbar nach dem Erdbeben sind noch stehen geblieben. Gleich daneben wirken neue Privatvillen wie Sommerpaläste oder Hotels.
Wir erleben hier griechische Herzlichkeit wie in alten Zeiten: Ein älterer Mann weißelt gerade eine Mauer. Ich frage ihn nach dem Weg, er erkennt meinen deutschen Akzent und ruft seine Schwester Koula. „Komm, hier ist ein Deutscher!“ Sie hat 20 Jahre lang im Bahnhof von Krefeld als Kellnerin gearbeitet und unterhält sich mit mir. Meine Frau ist inzwischen nachgekommen. Die Frau des weißelnden Mannes tritt jetzt auch hinzu. Sie hat eine Rose gepflückt und schenkt sie meiner Angetrauten.
Interessenkonflikte
Oben in Bochali angekommen, schweift der Blick hinüber zum nahen Peloponnes, wo die fränkisch-venezianische Burg Chlemoutsi oberhalb des heutigen Touristenziels Loutra Kyllinis eine weithin sichtbare Landmarke setzt. Die ganze Stadt Zakynthos liegt dem Betrachter zu Füßen und von der Burg aus ist zu erkennen, wie nahe sie am Inselflughafen und der Bucht von Laganas liegt, wo die meisten Ausländer ihren Inselurlaub verbringen.
Der Fußweg nach Bochali (Unser Archivfoto © Christiane Bötig wurde auf Zakynthos aufgenommen)
Wohl schon Jahrzehntausende vor ihnen erkor sich die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) die langen, breiten Sandstrände an der weiten Bucht zum sommerlichen Eiablageplatz. Bereits ab Mai schwimmen die ersten dieser Tiere in der Bucht, im Juni beginnt die Eiablage in von ihnen in den Sand geschaufelten Nester. Etwa 60 Tage später schlüpfen die Jungen bei Nacht und werden durch die Lichtreflektion von Sternen und Mond auf dem Wasser zum Meer gelenkt. Die Schildkröten kommen immer noch in großer Zahl. Doch die Zahl der unversehrt bleibenden Eier und der das Meer erreichenden Jungtiere sinkt, seitdem Laganas vom Massentourismus heimgesucht wird. In den Sand gesteckte Sonnenschirme und Gruben grabende Kinder zerstören die Nester, die Lichter von Hotels, Tavernen und Straßenlaternen lenken die gerade geschlüpften Baby-Schildkröten landeinwärts, wo sie von Füchsen und Vögeln gefressen werden oder schlicht in der Sonne austrocknen.
Schon im Dezember 1999 wurde die Bucht von Laganas zum Meeresnationalpark erklärt. Wassersport ist untersagt, Motorboote unterliegen strikten Regelungen. An den Übergängen zu den Stränden informieren freiwillige Helfer aus aller Welt über Möglichkeiten einer friedlichen Koexistenz zwischen Urlauber und Schildkröten; nachts ist das Betreten vieler Strände verboten, ein Strand ist für Menschen völlig tabu. Doch nicht jeder hält sich an die Regeln. Der staatlichen Nationalparkverwaltung werfen Kritiker vor, zu bürokratisch und nur mit sich selbst beschäftigt zu sein. So mancher engagierter Naturschützer verzweifelt ob der mangelnden Einsicht vieler am Tourismus Verdienender – und die Reiseveranstalter lassen die Tierschützer weitgehend in Stich. Ein Kritiker, der eine private Naturschutzorganisation an der Bucht betreibt, bringt es auf den Punkt: Die deutsche TUI hat sich zwar einst der Schildkröten wegen PR-wirksam aus Laganas zurückgezogen – doch die dadurch frei gewordenen Betten hat sofort ihre britische Schwestergesellschaft übernommen…
Steilküsten und Meeresgrotten
Am östlichen Ende der Bucht von Laganas beginnt bei Limni Keriou mit seinen beiden erfahrenen Tauchbasen und mehreren Vermietern, die über 1000 führerscheinfreie Motorboote für Touren außerhalb des Meeresnationalparks anbieten, eine ganz andere Küstenszenerie. Zunächst können zahlreiche Grotten am Fuß der weit über 100 Meter hoch aufsteigenden Küstenfelsen mit dem Boot oder tauchend erkundet werden. Am Klippenrand flattert hier neben einer Taverne am Leuchtturm von Keri seit 2007 die größte griechische Flagge der Welt – 18 Meter hoch und 37 Meter lang. Wirt Stamatis Liveris hat sie nähen lassen und fand damit Einzug ins Guinness-Buch der Rekorde. Weiter nördlich ragt unmittelbar über dem Steilabfall nahe eines mykenischen Friedhofs ein monumentales weißes Kreuz in den Himmel. Die Militärjunta (1967-1974) hat es errichten lassen, um damit der Opfer hier ermordeter bürgerlicher Partisanen durch Kommunisten im Bürgerkrieg zu gedenken. Heute erklärt nicht eine einzige Hinweistafel diese Funktion des Kreuzes. Wieder ein Stück weiter nördlich sind vom Fjordhafen Porto Vromi kurze Fahrten zum weltberühmten Schiffswrack-Strand möglich, den aber auch Inselrundfahrten per Schiff mit in ihr Programm einbeziehen.
Droben nahe dem Klippenrand steht das verlassene Kloster Anafonitrias, in dem der Inselheilige Dionysios im frühen 17. Jahrhundert als Abt amtierte und in dieser Zeit als wahrer Christ sogar dem Mörder seines Bruders Asyl gewährte. Nur ein paar Kilometer landeinwärts ist das kleine Loucha wohl das schönste Bergdorf der Insel. Der Weiler am Rande einer winzigen fruchtbaren Hochebene hat das Erdbeben von 1953 nahezu unbeschadet überstanden. Die beiden Cafés im Dorf betreiben zwei gebildete Frauen mit ihren Partnern. Marisa im „Kafenio tou Loucha“ ist Englisch-Übersetzerin und serviert zusammen mit ihrem Vater, einem pensionierten Lehrer, auf der weinüberrankten Terrasse hausgemachte Limonade und Eier von eigenen Hühnern. Olga im „The best view of the village“ wurde in Sibirien geboren und war einst Lehrerin. Jetzt kredenzt sie ihren Gästen gern einen Tresterschnaps, der im Nachbardorf Giri gebrannt wird und betreibt eine russischsprachige Website, die so manchen ihrer Landsleute nach Zakynthos lockt.
Strand-Alternative
Den Abschluss des Steilküsten-Halbrunds bilden dann die Blauen Grotten, in denen man sogar schwimmen kann. Boote fahren vom Kap Skinari aus hin, wo zwei zu Ferienhäusern umgestaltete Windmühlen inzwischen überwiegend von Chinesen und Japanern für einen videointensiven Kurzaufenthalt gebucht werden, und vom kleinen Hafen Agios Nikolaos, von dem aus im Sommer auch täglich Autofähren nach Pessada auf Kefalonia übersetzen. Nur wenig weiter südlich beginnt bei Alikes wiederum ein langes Band guter Sandstrände, das sich bis Tsilivi nahe der Inselhauptstadt hinunter zieht. Da macht Badeurlaub, wer die Meeresschildkröten nicht stören will.
Am schönsten: der Gerakas Beach (Unser Archivfoto © Christiane Bötig wurde auf Zakynthos aufgenommen)
Text von Klaus Bötig