Kurz vor den Europawahlen am 9. Juni gewinnen die verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Spitzenpolitikern zunehmend an Schärfe.
Vor allem die Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien scheinen momentan nur noch aus ihren Koffern zu leben: Seit Wochen schon touren sie durch das Land, von einem Zipfel in den anderen.
„Kein Defizit, keinen Populismus“
Regierungschef Kyriakos Mitsotakis fordert am Donnerstag während eines Wahlkampfauftritts im Regionalbezirk Achaia auf der nördlichen Peloponnes einen „klaren Auftrag“ von den Wählern, um sein Reformprogramm fortführen zu können. Besonderes Augenmerk will er mit seiner Regierung auf die Bekämpfung der Teuerung legen. Dies habe „absoluten Vorrang“. Der Opposition warf er vor, lediglich „Versprechungen“ zu verkaufen, die keinen realen Gegenwert hätten. „Wir werden im Land niemals mehr ein chronisches Defizit“ und „eine Flut von Populismus zulassen“, so der Konservative. Alle wüssten, dass es keine Bäume gebe, auf denen das Geld wachse. „Das haben wir hinter uns gelassen, wir werden niemals mehr dorthin zurückkehren“.
„Arroganz der 41 Prozent“
Stefanos Kasselakis vom Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) fordert eine Stärkung seiner Partei und damit verbunden eine Schwächung der ND. Es müsse ein Umdenken in der allgemeinen Logik geben: „Nein zur Arroganz der 41 Prozent“, womit er auf den überlegenen Sieg der Konservativen bei den Parlamentswahlen im vorigen Sommer anspielte – bei denen SYRIZA mit noch nicht einmal 18 Prozent der Wählerstimmen sehr bescheiden abschnitt. Die derzeitige Regierung, so der Linkspolitiker auf einer Kundgebung im Regionalbezirk Ilia (Elis) auf der westlichen Peloponnes, „bevorzugt die Banken und Raffinerien, anstatt dem Volk durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf grundlegende Produkte eine Atempause zu gönnen“. Auch der PASOK-Vorsitzende Nikos Androulakis befindet sich bereits seit Wochen im Endspurt. Er verweist u. a. darauf, dass seine Partei – die drittstärkste Kraft im nationalen Parlament – Vorschläge unterbreitet habe, um die Armut zu bekämpfen und ein gutes öffentliches Gesundheits- und Bildungssystem auf die Beine zu stellen. Auch er forderte die Wähler wiederholt dazu auf, der „Arroganz der Regierung“ einen Denkzettel zu verpassen. Ebenfalls im Wahlkampfmodus befindet sich die kommunistische KKE, die beim Urnengang im vorigen Sommer auf 7,7 Prozent der Stimmen kam und damit als viertstärkste Fraktion in die Volksvertretung einzog. Über den Videokanal TikTok wandte sich KKE-Generalsekretär Dimitris Koutsoumpas an die älteren Jahrgänge der Schüler des Landes – in der obersten Klassenstufe des Lyzeums finden derzeit die Panhellenischen Prüfungen statt, deren Ergebnisse über den Zugang zu den Universitäten des Landes entscheiden. Der für seine volksnahen Formulierungen bekannte KKE-Chef erinnerte daran, dass die jungen Menschen des Landes „die Zukunft in ihren Händen halten“. Nur ihr, so appellierte er an die Jungend, „könnt persönlich und kollektiv die Hindernisse überwinden, die euch im Weg stehen, um eure Träume Wirklichkeit werden zu lassen“. Der Kommunist propagierte „Wissen, Organisation, im Kampf für das, was uns zusteht“.
Rechtspopulist warnt vor Preiserhöhungen
Ein gutes Abschneiden beim bevorstehenden Urnengang erhofft sich auch Kyriakos Velopoulos von der rechtspopulistischen „Griechischen Lösung“, die als sechsstärkste Kraft im nationalen Parlament sitzt. Laut Umfragen scheint diese Formation deutlich im Aufwind. In einem Interview mit dem privaten TV-Sender „Action 24“ stellte er in dieser Woche sogar die Behauptung auf, dass man bei den Wahlen 9. Juni „mit Wahlbetrug“ rechnen müsse. In seiner Argumentation sprach er von „600.000 Toten“ in den Wahlregistern, was durch ein im Februar verabschiedetes Gesetz abgesegnet worden sei. Erst im September, „nach den Wahlen“, würden diese bereits verstorbenen Wähler aus dem Register gelöscht. In einem weiteren Interview für „Real FM“ warnte der Rechtspopulist vor weiteren Preiserhöhungen im Sommer: „Die Hitze wird Preiserhöhungen für Lebensmittel mit sich bringen.“ Es gehe nicht an, dass Reeder „kostenlosen Dieseltreibstoff“ bekämen „und nicht die Bauern und Viehzüchter, die uns zu Essen geben“. (Jan Hübel / Griechenland Zeitung)