Nach der Wahl von Kasselakis zum SYRIZA-Chef verliert die einstige Regierungspartei weiter an Wählerkraft. Umfragen zeigen sie bereits auf dem dritten Platz – hinter der ND und der PASOK. Um sein politisches Profil zu schärfen, absolvierte Kasselakis am Wochenende einen Besuch in Istanbul.
Viele Menschen in Griechenland kämpfen mit gravierenden finanziellen Problemen. Dies ergibt sich aus einer jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Alco, die für den Fernsehsender Alpha durchgeführt wurde. Demzufolge hegen mehr als vier von zehn Griechen (42 %) die Befürchtung, finanziell „nicht zurechtzukommen“. Es folgen Gesundheitsprobleme (24 %), die Angst davor, Opfer einer kriminellen Tat zu werden (16 %) und die Furcht vor einer Ausweitung von Kriegen (13 %).
Veränderungen ergaben sich vor diesem Hintergrund auch, was eine Stimmabgabe bei eventuellen Parlamentswahlen betrifft. Derzeit würden nur mehr 30,3 % der Befragten vor für die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) votieren. Es folgen die sozialistische PASOK (12,2 %), die bisher größte Oppositionspartei des Landes SYRIZA (11,8 %), die kommunistische KKE (9,7 %) und die Griechische Lösung (5,4 %). Unentschlossen, wem sie ihre Stimmen geben würden, sind 14,3 % der Befragten.
„Die Person des Jahres“
Aufschlussreich ist auch eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts MRB, die in der Zeitung Real News veröffentlicht wurde. Demnach sind 54,6 % der Bürger der Ansicht, dass die ND-Regierung mehr im Bereich der Wirtschaft und gegen die Teuerung unternehmen müsse. Allerdings erklären hier gleichzeitig auch 42 % der Befragten, sie hätten das Gefühl, dass sich ihre Lebensqualität im laufenden Jahr verbessern werde.
Unterdessen ist SYRIZA-Chef Stefanos Kasselakis nach Ansicht von Real News die „Person des Jahres“ 2023; und auch 2024 werde er die politischen Ereignisse dominieren, so der entsprechende Zeitungsbericht. Das überrascht, da der Linkspolitiker bis zu seiner Wahl zum SYRIZA-Vorsitzenden im Sommer in der griechischen Öffentlichkeit mehr oder weniger unbekannt war und derzeit in Umfragen sehr schlecht abschneidet.
Griechenland und die Türkei
Allerdings lässt sich der self-made man Kasselakis davon nicht beeindrucken. Am Wochenende stattete er in Istanbul in der Türkei einen offiziellen Besuch ab. Getroffen hat er sich dort u. a. mit Bürgermeister Ekrem Imamoglu sowie mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomäus, dessen Amtssitz im Stadtteil Phanar in Istanbul ist. Während seines Aufenthaltes erklärte der Linkspolitiker, dass ein Teil seiner Familie aus dieser Stadt am Bosporus stamme. Kasselakis würdigte gegenüber Imamoglu dessen geleistete Arbeit, vor allem was die Infrastruktur dieser Metropole betreffe. Nicht zuletzt sprach sich der Besucher aus Athen für eine Fortsetzung der bereits eingeschlagenen positiven Agenda zwischen Griechenland und der Türkei aus.
„Solidarität für Griechen“
Kasselakis und Patriarch Bartholomäus haben sich bei ihrer Unterredung ebenfalls für den Frieden in der Region eingesetzt. Der Patriarch wünsche den Griechen in aller Welt zusätzlich Solidarität und Gesundheit im neuen Jahr. Außerdem forderte Kasselakis die Wiedereröffnung des Priesterseminars auf der Prinzeninsel Chalki. Diese Bildungseinrichtung wurde 1971 vom türkischen Staat geschlossen; sie war bis dahin die wichtigste Theologische Hochschule des Ökumenischen Partriarchats. Zusätzlich erklärte der SYRIZA-Chef, dass seine Partei den Patriarchen „wo auch immer wir können“ unterstützen werde. Dabei hob er die Bedeutung der Arbeit des orthodoxen Kirchenoberhauptes in Fragen der Umwelt, der Migration und des Friedens hervor. Unterdessen haben sich drei hochrangige SYRIZA-Mitglieder in Athen dafür ausgesprochen, dass ihre Partei der Sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament beitreten müsse. Sie verwiesen in ihrer Argumentation darauf, dass Parteien in Griechenland, die den politischen Raum Mitte-Links vertreten, nicht stark genug seien. Hier bestehe eine gute Chance für SYRIZA, so die Auffassung der betreffende Politiker.
Sie vertraten außerdem die Einschätzung, dass die Parlamentswahlen im Sommer 2023 eine Stärkung der ND-Regierung sowie rechtsradikaler Kräfte zur Folge gehabt habe. SYRIZA müsse sich angesichts dieser Tatsache seiner „historischen Verantwortung“ stellen.
(Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)