Die Jahrhundertflut in Griechenland hat alle Regierungspläne über den Haufen geworfen. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis passte in letzter Minute sein Programm an und stornierte seinen Auftritt bei der Internationalen Messe Thessaloniki (DETh), die am Samstag (9.9.) in seiner Präsenz eröffnet werden sollte.
Bei diesem Event präsentiert die jeweilige griechische Regierung traditionell ihre strategischen Ziele für die nahe Zukunft. Im Tross des Premiers wären Dutzende Minister und Staatssekretäre mitgereist. Doch viele von ihnen haben nun wohl Wichtigeres zu tun. Auch Verteidigungsminister Nikos Dendias brach einen Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorzeitig ab.
Zentralgriechenland, und hier vor allem Thessalien, stöhnt nach wie vor unter den Folgen der Sintflut mit dem Namen „Daniel“, die in dieser Woche über das Land hereingebrochen ist. Zahleiche Dörfer sind unter Wasser- und Schlammmassen begraben, in den griechischen Medien ist von mehr als 700 Quadratkilometern die Rede. Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen sind ohne Grundversorgung – ohne Strom, ohne Wasser. Allein innerhalb von zwei Tagen seien in Thessalien an die 300 Leute gerettet und etwa 1.700 evakuiert worden. Das sagte Freitagabend der Minister für Bürgerschutz und Klimakrise, Vassilis Kikilias, in einer Pressekonferenz. Er gab dabei auch bekannt, dass bisher zehn Tote zu beklagen seien. Die Anzahl der Vermissten bezifferte er mit vier und führte als betroffene Gebiete die Stadt Volos und die Pilionregion an. In den Medien wird jedoch die Sorge geäußert, dass die Anzahl der Vermissten weit höher liegt, u. a. weil die Kommunikation zu allen betroffenen Notstandsgebieten nicht möglich ist. Darüber hinaus würden Augenzeugenberichte diese Vermutungen stützen. Ein Beispiel für die Unsicherheit ist auch ein Touristenpaar aus Graz: Zu Mitte der Woche noch hieß es, dass ein Mann und eine Frau aus der Steiermark im Alter von etwa 35 Jahren im Pilion als vermisst gelten, nach mehreren Stunden aber wohlauf gefunden worden seien. Wenig später verdichteten sich jedoch die Meldungen, dass das Paar weiterhin als vermisst gilt. Das Außenministerium in Wien stellte auf Anfrage der Österreichischen Presseagentur APA fest, dass man „zum aktuellen Zeitpunkt … leider bestätigen“ müsse, „dass zwei österreichische Staatsbürger am von den Unwettern stark betroffenen Pilion vermisst werden.“ Das Urlaubsdomizil der beiden nahe dem Ort Xynovrysi soll von Wassermassen mitgerissen worden sein.
Wirtschaft kann Katastrophe stemmen
Regierungschef Mitsotakis machte sich unterdessen bei seinem heutigen Besuch vom Hubschrauber aus ein Bild von der Lage in Thessalien und nahm an mehreren Krisensitzungen in Karditsa, in Trikala sowie in Larissa, der Hauptstadt der Region, teil. „Wir werden alles unternehmen, was nötig ist“, betonte er und fügte hinzu: „Ich habe mich nie versteckt und werde stets dort präsent sein, wo es Schwierigkeiten gibt.“ Der Premier kündigte an, dass man alle verfügbaren europäischen Ressourcen aktivieren werde – in erster Linie, „um den Entschädigungsbedarf der Haushalte zu decken“, wie er sagte. „Die griechische Wirtschaft sei jedenfalls jetzt stark genug, so Mitsotakis, um einer derartige Katastrophe zu bewältigen.
Chaos im Politikkalender
Allein am Dienstag (5.9.) fielen in der Region rund um die mittelgriechische Stadt Volos (Magnesia) 500 Tonnen Wasser pro Stremma (1.000 Quadratmeter), mancherorts sogar 800 Tonnen. Meteorologen stellten dazu fest, dass dieses Volumen in der Hauptstadt Athen in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren niedergehen würde. Ihren Äußerungen nach handelt es sich um die größte Regenmenge seit es entsprechende Aufzeichnungen im Lande gibt. Die Schäden für die Agrarproduktion allein schätzt der Meteorologe Efthymios Lekkas auf mehr als eine Milliarde Euro.
Das Unwetter „Daniel“ hatte noch weitere Folgen für die Politik: Die Oppositionspartei des Bündnisses der Radikalen Linken SYRIZA sagte ihre für das Wochenende programmierte Basiswahl eines neuen Vorsitzenden ab. Und der Regionalgouverneur von Thessalien Kostas Agorastos meinte: Unter den derzeitigen Bedingungen sei es seiner Ansicht nach unmöglich, die für den 8. Oktober geplanten Kommunal- und Regionalwahlen durchzuführen.
(Griechenland Zeitung, Robert Stadler)