Während sich die Politiker auf die Europa- und Kommunalwahlen Ende Mai vorbereiten, rutschte inmitten der Wahlkampagne das Thema der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung in Griechenland in den Vordergrund.
Die Wahlkampagne bewegt sich in Griechenland auf Hochtouren: Am 26. Mai finden sowohl Europa- als auch Kommunalwahlen statt. Direkt nach dem griechisch orthodoxen Osterfest – der Ostersonntag fällt dieses Jahr auf dem 28. April – will Oppositionschef Kyriakos Mitsotakis aus den Reihen der konservativen Nea Dimokratia (ND) im Parlament ein Vertrauensvotum gegen die Regierung einbringen. Ministerpräsident Alexis Tsipras nahm den Vorschlag von Mitsotakis freudig auf: Jedes Vertrauensvotum werde er in eine Abstimmung für das Vertrauen in die Regierung umwandeln. Ob ihm das gelingen könnte, ist zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt klar: Seine Partei, das Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA), verfügt über nurmehr 145 der 300 Sitze im Parlament. Wichtige Gesetzesnovellen wurden seit dem Austritt des rechtspopulistischen Regierungspartners ANEL Anfang des Jahres durch unabhängige Parlamentarier unterstützt. Man geht davon aus, dass diese der Regierung auch weiterhin das Vertrauen schenken. Was das Vertrauen der Wähler betrifft, so hat die ND in allen Umfragen einen deutlichen Vorsprung vor SYRIZA.
Die jüngste politische Kontroverse geriet zu einem traurigen Wortwechsel über Personen mit Behinderung. In den Mittelpunkt rückten der Kandidat für das Amt des Europaparlamentariers für die ND Stelios Kymbouropoulos und der stellvertretende Gesundheitsminister Pavlos Polakis.
Der 33-jährige Kymbouropoulos ist von einer Spinalen Muskelatrophie betroffen und sitzt seit seiner Kindheit im Rollstuhl. Wegen seiner guten schulischen Leistungen hatte er in Griechenland bereits mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Nun hat er eine Arbeit in einem Krankenhaus gefunden. Dabei hat er offenbar Gebrauch von Regelungen gemacht, durch die Personen mit Behinderung bevorzugt berücksichtigt werden. In einem Interview hatte er festgestellt, dass er eine „Chancengleichheit beanspruche“. Daraufhin reagierte Polakis, dass Kymbouropoulos nicht Chancengleichheit beanspruchen und gleichzeitig vergünstigt im Staatsdienst tätig sein könne.
Der frühere ND-Vorsitzende Vangelis Meimarakis sprach von einem „Elend“; Tsipras solle sich schämen, dass er Polakis in seinem Kabinett habe. Der ND-Vizepräsident Adonis Georgiadis beschrieb Polakis als einen „gefühlslosen Barbaren“. Die Vorsitzende der sozialistischen Bewegung der Veränderung Fofi Gennimata stellte fest, dass nur Faschisten so viel „Gift gegen jungen Menschen aussprechen können“.
Gesundheitsminister Andreas Xanthos sprach von einem misslungen Statement seines Stellvertreters. Der SYRIZA Europaparlamentarier Stelios Kouloglou hob hervor, dass Polakis einen Fehler gemacht habe und damit inmitten einer Wahlkampagne die Regierung unterminiere. Er betonte, dass die Menschen mit Behinderung in Griechenland mit vielen Problemen konfrontiert seien.
Inmitten dieser Stimmung antwortete Kymbouropoulos auf die Vorwürfe des Ministers, ihm sei durchaus bewusst, dass er privilegiert sei. Es gehe jedoch nicht ausschließlich um ihn, sondern um alle Personen mit Behinderung, die in Griechenland im Abseits stehen. In Griechenland fehle es schlicht an Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung. Als Beispiel nannte er seine Studienzeit: Als er an der Universität aufgenommen wurde, hatte er nur Zugang zu 15 % der Räume, nachdem er sein Studium beendet hat, sind es 85 % gewesen. Dies hänge mit seinem persönlichen Engagement zusammen, konstatierte er.
Elisa Hübel