„Ich bin es gewohnt, in Meinungsumfragen hinterher zu hinken, Wahlen jedoch zu gewinnen.“ Mit diesem Satz hat Ministerpräsident Alexis Tsipras am Montagabend (15.4.) ein Interview gegenüber dem privaten Fernsehsender ANT1 eingeleitet. Dem Journalisten Nikos Chatzinoklaou stand der griechische Premier Frage und Antwort u. a. zu Themen, die die Europawahlen, die Wirtschaft, die Lösung der Namensfrage der Republik Nordmazedonien und die Beziehungen zur Türkei betreffen.
„Historische Gelegenheit“
Was die Lösung der seit drei Jahrzehnten anhaltende Namensfrage der Republik Nordmazedonien angeht, so zeigte sich das Regierungsoberhaupt wenig beängstigt, dass er dadurch Wähler verlieren könnte; vielmehr sprach Tsipras von einer „Umschichtung des politischen Systems“. Seiner Einschätzung zufolge habe es sich um eine historische Gelegenheit gehandelt, eine derartige Lösung auszuarbeiten, da sein Amtskollege aus Skopje Zoran Zaev – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – ein zuverlässiger Gesprächspartner sei. Zu den Vorteilen, die Griechenland aus der Vereinbarung ziehen könne, gehöre, dass Athen etwa den Luftraum der Republik Nordmazedoniens bewachen wird; ursprünglich hatte auch Ankara ein Auge auf diesen Job geworfen. Ein weiterer Gewinn für Athen sei, dass sich das Land nicht mehr „Makedonien“ nennen dürfe und dass es seine Verfassung geändert habe. Natürlich habe Athen auch Zugeständnisse machen müssen; „wir haben das Land schließlich nicht durch einen Krieg erobert“, so Tsipras. Anschließend übte er Kritik an die Oppositionsparteien, die sich geweigert hätten, einen fruchtbaren Dialog in dieser Frage zu führen.
„Internationaler Skandal“
Das Interview berührte auch die sogenannte Novartis-Affäre. Journalist und Premier waren sich im Gespräch darin einig, dass man hier mit einem „internationalen Skandal“ konfrontiert sei. Tsipras dementierte allerdings, dass es sich bei der Aufklärung um eine Verschwörung gegen seine politischen Gegner handle. Dies beweise auch die Tatsache, dass einige der Angeklagten freigesprochen wurden. Die Aufklärung des Falles habe die griechische Justiz übernommen, betonte das Regierungsoberhaupt, und diese sei unabhängig.
Erfolg des griechischen Volkes
Was die Wirtschaft des Mittelmeerstaates angeht, so stellte Tsipras fest, dass diese ein Wachstum von 2,2 % bis 2,4 % für das laufende Jahr aufweise; auch die Exporte würden ein Plus verzeichnen. Alle Ratingagenturen würden Griechenland wieder aufwerten, so der Premier. Er erinnerte daran, dass er die Regierung „mit absolut leeren Staatskassen“ übernommen habe; jetzt verfüge Griechenland über „mehrere dutzend Milliarden Euro an Liquidität“. Dies sei kein persönlicher Erfolg, sondern ein Erfolg des griechischen Volkes. Er bezog sich auch auf Daten der griechischen Statistikbehörde ELSTAT, die davon zeugen, dass das Einkommen der griechischen Familien deutliche Anzeichen von Wachstum aufweisen, zudem sei die Arbeitslosigkeit um etwa zehn Prozentpunkte gesunken. Als er 2015 die Regierung übernommen habe, seien dreieinhalb Millionen Griechen von der Armut betroffen gewesen, so der Premier. Außerdem zählte er mehrere Investitionen auf, die 2018 durchgeführt worden sind und dem Staat insgesamt 3,6 Milliarden Euro eingebracht hätten. Dazu zählt etwa die Verpachtung von 14 Flughäfen an die Fraport und die Beendigung des „Master Plans“ der Cosco im Hafen von Piräus.
Tsipras dementierte entschlossen, dass seine Partei derzeit eine Wandlung in Richtung der früheren sozialistischen Volkspartei PASOK hin vollziehe; vielmehr versuche man, den Linken und den Ökologen, noch näher zu kommen.
Was die Entwicklungen auf der anderen Seite der Ägäis, das heißt in der Türkei angeht, so zeigte sich Tsipras „wenig erfreut“ darüber, dass sich Ankara von der sogenannten westlichen Welt entferne. „Wir wollen einen politisch stabilen Nachbarn“ betonte er.
Im „Schatten seines Schattens“
Aus dem Pressebüro der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) wurde bemängelt, dass Tsipras in diesem Interview „der Schatten seines Schattens“ gewesen sei. Er habe sich über die Lösung der Namensfrage ohne Reue gezeigt und obendrein „bereits bekannte Lügen“ wiederholt. Diese würden etwa die Erholung der griechischen Mittelschicht und die Anziehung von Investitionen betreffen.
Elisa Hübel