Der türkische Staatspräsident Erdogan führt am Donnerstag und Freitag in Griechenland einen offiziellen Besuch durch. Das Athener Zentrum ist aus Sicherheitsgründen weiträumig abgeriegelt. Unstimmigkeiten gab es während der Unterredungen mit seinem Amtskollegen Pavlopoulos, als der Vertrag von Lausanne aus dem Jahre 1923 zur Sprache kam.
Der offizielle Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan hat am Donnerstagvormittag mit dessen Ankunft auf dem Athener Flughafen „Eleftherios Venizelos“ begonnen. Zu seiner Sicherheit sind etwa 2.500 Polizisten im Einsatz; unterstützt werden sie von Kollegen aus der Türkei. Zusätzlich sind den ganzen Tag über Straßen im Athener Zentrum gesperrt, die Erdogan passieren wird. Sein Programm ändert sich zudem ständig. Die zentrale U-Bahnstation Syntagma-Platz, die sich vor dem Parlament befindet, bleibt ganztägig gesperrt. Die Polizei hat ein Demonstrationsverbot verhängt. Ungeachtet dessen haben Aktivisten für 18 Uhr eine Solidaritätskundgebung für „politische Häftlinge in der Türkei und in Kurdistan“ angekündigt.
Wortwechsel im Präsidentenpalast
Während der Unterredungen zwischen Erdogan und dem griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos kam auch der Vertrag von Lausanne zur Sprache, der 1923 mit der Türkei geschlossen wurde. Dabei traten unterschiedliche Sichtweisen der beiden Seiten zu Tage.
Pavlopoulos stellte gleich zu Beginn fest: „Der Vertrag von Lausanne ist die Basis der Freundschaft zwischen den beiden Ländern, daher steht er nicht zur Diskussion“. Weiterhin führte er aus, dass dieser die Grenzen Griechenlands und der EU festlege. Was die EU-Perspektive der Türkei angeht, so wiederholte Pavlopoulos: „Wir sind dazu bereit, das Tor der Türkei für die Europäische Union zu werden.“ Er verwies außerdem darauf, dass in Thrakien eine muslimische Minderheit lebt, deren Rechte geachtet werden.
Erdogan erwiderte, dass der Vertrag von Lausanne 94 Jahre alt sei. In diesem Zeitraum habe sich sowohl für die Türkei als auch für Griechenland viel verändert. Im Vertrag beinhaltet seien auch andere Länder wie etwa England, Portugal und Japan.
Erdogan goss noch etwas Öl ins Feuer und stellte fest, dass der Vertrag von Lausanne in Thrakien angeblich nicht durchgesetzt werde. Ihm zufolge handle es sich um eine Region, in der man nicht einmal das Wort „türkisch“ auf einem Schul- oder Vereinsschild verkrafte. Zudem gebe es Versuche, dass die Muftis vom griechischen Staat eingesetzt werden. Weiterhin stellte Erdogan fest, dass der Einkommensdurschnitt in Griechenland bei 18.000 Dollar pro Kopf liege; in Westthrakien seien es lediglich 2.200 Dollar.
Letztendlich verlieh er seiner Hoffnung Ausdruck, dass sein offizieller Griechenlandbesuch „positive Ergebnisse“ haben werde und dass die bilateralen Beziehungen gestärkt werden. Vor allem erhoffe er sich „Entwicklungen im Bereich des Tourismus“.
Erklärtes Ziel: „Brücken und keine Mauern“
Die aufgeheizte Stimmung im Präsidentenpalast, von der Beobachter berichteten, konnte anschließend im Amtssitz des Premierministers Alexis Tsipras wieder etwas entspannt werden. Die offiziellen Statements von Erdogan und Tsipras fielen zwar sehr kurz aus, der Vertrag von Lausanne wurde aber so gut wie nicht erwähnt.
Griechenlands Regierungschef erinnerte daran, dass zum letzten Mal vor 65 Jahren ein türkischer Staatspräsident in Griechenland einen offiziellen Besuch absolviert hatte. Außerdem zählte Tsipras die Krisen auf, die die Region aktuell durchlebt. Er erinnerte an die Flüchtlingskrise, die Situation in Syrien sowie Spannungen in den griechisch-türkischen Beziehungen. Ziel sei es jedoch nach wie vor „Brücken und keine Mauern“ zu bauen.
„Konzentration auf die volle Hälfte des Glases“
Erdogan erinnerte daran, dass er in seinem früheren Amt als Ministerpräsident der Türkei (2003 bis 2014) insgesamt drei seiner damaligen griechischen Amtskollegen getroffen hatte. Den Stand der griechisch-türkischen Beziehungen verbildlichte er mit den Worten, dass man sich auf die volle Hälfte des Glases konzentrieren müsse. Außerdem stellte er fest, dass die beiden Völker „sehr viel gemeinsam“ haben.
Am morgigen Freitag reist Erdogan mit seiner Ehefrau nach Komotini. Hier wird er vom stellvertretenden griechischen Außenminister Jorgos Katroungalos empfangen. In Komotini wird sich der Gast aus Ankara mit Mitgliedern der muslimischen Minderheit treffen. Um 16 Uhr reist er zurück in seine Heimat.
Elisa Hübel