Die linke Regierungspartei SYRIZA zeigte sich in diesen Tagen in Feierlaune. Vor einem Jahr, am 25.1.2015, hatte sie mit bequemer Mehrheit die Parlamentswahlen gewonnen. Gemeinsam mit den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ regiert Ministerpräsident Alexis Tsipras (SYRIZA) seither das Land. In einer Sportarena im südlichen Athener Vorort Faliron hielt er am Sonntag eine Rede und erinnerte daran, dass ihm die Wähler innerhalb von nur acht Monaten gleich dreimal das Vertrauen ausgesprochen haben: Beim ersten Wahlsieg vor einem Jahr, bei der Volksabstimmung Anfang Juli und beim jüngsten Urnengang Ende September. Vor jubelnden Anhängern erinnerte der Linkspolitiker an „Träume und Hoffnungen“, die man gemeinsam hege. Doch setzt ein Großteil der Bürger noch Hoffnungen in seine Regierung?
Einer jüngsten Umfrage zufolge, die am Sonntag in der seriösen liberalen Sonntagszeitung „To Vima“ veröffentlicht wurde, liegt die konservative Nea Dimokratia (ND) derzeit vorn. Sie würde 20,8 % der Stimmen erhalten, SYRIZA käme mit 19,5 % auf Platz zwei. Hintergrund ist nicht nur die Tatsache, dass Premier Tsipras mit dem neuen ND-Chef Kyriakos Mitsotakis einen ernst zu nehmenden Widersacher erhalten hat. Vor allem die soziale Tragweite der mit den internationalen Geldgebern vereinbarten Reformen, von denen nun noch die schwersten Brocken umgesetzt werden müssen, nagt an den „Träumen und Hoffnungen“, die viele Bürger bisher in die Links-rechts-Regierung setzten.
Durch Griechenlands Straßen zieht derzeit ein Protestwind, der in diesen Ausmaßen lange nicht mehr zu spüren war. Erstmals sieht sich das Kabinett Tsipras mit derart heftigem Widerstand konfrontiert. Zehntausende Bauern drohen damit, die Verkehrsverbindungen des Landes zu unterbrechen, falls die Reform der Sozial- und Rentenversicherung wie geplant das Parlament passieren sollte. Ihnen angeschlossen haben sich weitere Zünfte, etwa die der LKW-Besitzer, vor allem aber auch Freiberufler. Zudem führen Arbeitnehmer in diesen Tagen zahlreiche Streiks durch. An der Protestfront herrscht Einigkeit wie kaum jemals zuvor. Ein Jahr nach der Machtübernahme hat es fast den Anschein, dass Premier Tsipras nun die Rechnung dafür bekommt, dass er in seiner früheren Rolle als Oppositionsführer immer wieder zu einer massenhaften Beteiligung an sozialen Protesten gegen eine Politik des Spardiktats aufgerufen hatte.
Jan Hübel
Unser Foto (© Eurokinissi) zeigt den SYRIZA-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Alexis Tsipras am Sonntagabend während seiner Rede vor tausenden Parteimitgliedern und Sympathisanten im Athener Tae Kwon Do-Stadion im Süden Athens.