Ministerpräsident Alexis Tsipras will sich mit den Vorsitzenden der Parteien, die im Parlament vertreten sind, treffen. Die dafür nötigen Telefonate wird er heute führen. Schwerpunkt der Unterredung sollen die Entwicklungen in der Flüchtlingskrise sein: Am Sonntag will der Premier zum EU- und Türkei- Gipfeltreffen nach Brüssel reisen, wo das Thema auf der Tagesordnung stehen wird.
Weiterhin will das griechische Regierungsoberhaupt mit den Parteichefs vor allem aber auch über geplante Veränderungen im System der Sozial- und Rentenversicherung sprechen. Ein entsprechendes Gesetz soll demnächst im Parlament verabschiedet werden. Vereinbart wurde es mit den internationalen Geldgebern im dritten Hilfspaket (Memorandum III), das Tsipras im Sommer unterzeichnet hatte. Dieses Gesetz gilt als besonders unpopulär und dürfte auf hartnäckigen Widerstand stoßen – sowohl im Parlament als auch bei den Arbeitnehmern. Um es über die Bühne zu bringen, sucht der Regierungschef nun den Schulterschluss mit den anderen Parlamentsparteien. Durch eine erfolgreiche Neuregelung des Versicherungssystems erhofft sich Athen nicht zuletzt eine Trumpfkarte für künftige Verhandlungen mit den Geldgebern, z. B. wenn es um einen Schuldenerlass geht. Gleichzeitig soll dadurch ein eventueller Sturz der Regierung vermieden werden: Das Linksbündnis SYRIZA von Alexis Tsipras ist durch bereits verabschiedete unpopuläre Gesetze geschwächt. Jetzt hat es gemeinsam mit dem Koalitionspartner Unabhängige Griechen (ANEL) nur mehr eine Mehrheit von drei Sitzen in der Volksvertretung – eine recht dünne Mehrheit, um weitere unbeliebte Maßnahmen durch die Volksvertretung zu bugsieren.
Nach anfänglichem Zögern haben die meisten Parteivorsitzenden zwar zugesagt, sich am Treffen zu beteiligen. Allerdings unter großen Vorbehalten. Vor allem bei der größten Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) steht man diesem Thema sehr zwiespältig gegenüber. Der frühere Gesundheitsminister Makis Voridis zeigte sich über den Vorschlang von Tsipras regelrecht entrüstet. Er schlug vor, dass dieser sein Amt niederlegen solle. Stattdessen könne er ja künftig eine Regierung unter dem früheren ND-Ministerpräsidenten Antonis Samaras unterstützen, ließ er wissen. Hintergrund für diese ablehnende Haltung ist, dass SYRIZA in seiner früheren Funktion als Oppositionspartei gegenüber der von der ND betriebenen Spar- und Reformpolitik keinerlei Kompromissbereitschaft zeigte.
Die sozialistische PASOK und die liberale To Potami wollen beim Treffen der Parteiführer lediglich über die Flüchtlingsfrage debattieren. Auf ein Gespräch über das Versicherungssystem wolle man nicht eingehen. Der Vorsitzende der kleinsten im Parlament vertretenen Partei „Enosi Kentroon“ (Zentrumsunion) Vassilis Leventis schlug eine ökumenische bzw. Allparteienregierung vor. Was die kommunistische Partei KKE betrifft, so hat diese klargestellt, dass sie an den Gesprächen nicht teilnehmen wird – und die faschistische Chryssi Avgi wurde nicht eingeladen.
Elisa Hübel
Unser Foto (© Eurokinissi) zeigt Ministerpräsident Alexis Tsipras am Donnerstag während eines Besuches des Griechischen Patriarchats von Jerusalem.