Mit dem Satz: „Wir erkennen den Schmerz der Pontier an, aber es handelt sich um keinen Genozid“, löste Griechenlands Bildungs- und Religionsminister Nikos Filis in dieser Woche eine regelrechte Protestwelle in den Reihen der griechischen Opposition sowie bei den Pontier-Verbänden aus.
Auch die Pressesprecherin des rechtspopulistischen Juniorpartner in der Regierung, ANEL, Marina Chrysoveloni distanzierte sich von den Äußerungen des Ministers. Abgeordnete der faschistischen Partei Chryssi Avgi drohen sogar mit einer Strafanzeige gegen Filis. Aus den Reihen der sozialistischen PASOK wurden die Äußerungen des Bildungsministers als historisch unkorrekt bezeichnet. Ministerpräsident Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA), dem auch Filis angehört, wurde von 45 Parlamentariern der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) dazu aufgefordert, seinen Minister zum Rücktritt zu veranlassen. Die Konservativen vertreten die Ansicht, dass Filis mit seiner Äußerungen „die griechische Geschichte und hunderttausende Tote“ beleidigt habe. Beleidigt würden nicht nur die Opfer des Genozids an den Griechen und deren Nachkommen, sondern „das griechische Volk in seiner Gesamtheit“. Beobachter meinen, dass die besonders scharfe Reaktion aus den Reihen der ND auch mit dem Hintergrund der innerparteilichen Wahlen am 22. November betrachtet werden muss: Dann wollen die Konservativen einen neuen Parteichef nominieren.
Rückendeckung erhielt Filis von Jannis Amanatidis, Staatssekretär im Außenministerium. Dieser sprach von „wissenschaftlichen Ansätzen“, die in jeder Demokratie offen ausgedrückt werden dürften.
Was Filis betrifft, so hatte er in einem Fernsehgespräch zwischen einer „ethnischen Säuberung“, einem „Genozid“ sowie einem „Holocaust“ differenziert. Dabei hatte er betont, dass dies seine persönliche Meinung sei, die sich allerdings auf wissenschaftliche Grundlagen stütze. Diese Ansicht habe er bereits in der Vergangenheit zum Ausdruck gebracht, und er könne das jetzt als Minister nicht einfach zurücknehmen. Er betonte, dass er mit seinen Statements nicht die Meinung der Regierung vertrete. Zudem versuchte er zu erklären, dass man durch diese Unterscheidung erreichen wolle, dass derartige Genozide wie der Holocaust durch die Nazis nicht mit dem Fall der Pontus-Griechen gleichzustellen seien.
Das griechische Parlament hat im Jahr 1994 den Genozid an den Pontus-Griechen offiziell anerkannt. Seither findet jährlich am 19. Mai der „Gedenktag des Genozids der Griechen im Kleinasiatischen Pontus“ statt. Zudem wird am 14. September des Genozids der Griechen Kleinasiens gedacht. In den Jahren von 1914 bis 1923 sind zwischen 213.000 und 368.000 Griechen am Pontus von Anhängern der Jungtürken ermordet worden. Das Wort Pontus stammt vom griechischen Pontos Evxinos ab und bezeichnete in der Antike das Schwarze Meer. Dort siedelten im Altertum die Pontier, deren Nachfahren bis 1923 vor allem an der Schwarzmeerküste der Türkei lebten. Der gesamtgriechische Verband der Pontier hat unterdessen für den heutigen Donnerstag (5.11.) um 16 Uhr zu einer Protestkundgebung am Syntagma-Platz aufgerufen.
Elisa Hübel