Eine große Entscheidung seht in Griechenland unmittelbar bevor. Das griechische Parlament wird heute Abend ab 19.00 Uhr über einen neuen Staatspräsidenten abstimmen. Von der Regierung vorgeschlagen für dieses Amt wurde der ehemalige EU-Kommissar Stavros Dimas aus den Reihen der ND. Es gibt keinen Gegenkandidaten.
Für seine Wahl werden in den beiden ersten Wahlgängen 200 der 300 Stimmen benötigt. Die griechische Koalitionsregierung aus Konservativen (ND) und Sozialisten (PASOK) verfügt lediglich über 155 Sitze. Bisher haben sechs der insgesamt 24 unabhängigen Parlamentarier erklärt, dem neuen Präsidenten ihr Votum zu geben. Einige Analysten halten es nicht für ausgeschlossen, dass bis zu 165 „Ja“-Stimmen zustande kommen könnten, realistischer erscheinen hingegen 162 oder 163. Was die Opposition betrifft, so gibt die jeweilige Parteilinie hier vor, dem Kandidaten eine Absage zu geben.
Bereits ab ca. 18.00 haben linke Gruppierungen zu einer Kundgebung vor dem Parlament am Syntagma-Platz in der griechischen Hauptstadt aufgerufen. Sie plädieren damit gegen die Wahl eines Staatspräsidenten. Das würde Ende Januar unweigerlich zu Neuwahlen führen. Gewinnen würde diese den Umfragen zufolge das Linksbündnis SYRIZA.
Namentliche Abstimmung
Das heutige Wahlverfahren sieht vor, dass jeder Parlamentarier namentlich aufgerufen wird. Er wird entweder den Namen von Dimas nennen oder mit „anwesend“ votieren. Die Möglichkeit einer direkten Gegenstimme ist im Verfahren nicht vorgesehen. Vor dem Prozedere der Abstimmung findet keine Parlamentsdebatte statt.
Allem Anschein nach wird es am 23. Dezember zu einer zweiten Wahlrunde kommen. Auch dann ist es eher unwahrscheinlich, dass es zu einer Einigung bzw. Mehrheit kommt. Die wirklich entscheidende Abstimmung wird am 29. Dezember durchgeführt. Bei diesem dritten Gang wird nur mehr eine Mehrheit von 180 Parlamentariern für die Kür eines Präsidenten benötigt. Gerüchte wonach Ministerpräsident Samaras für diesen letzten Tag eine letzte Trumpfkarte aus dem Ärmel ziehen wird, und einen anderen Kandidaten ernennt – eventuell eine Frau, die zudem große Achtung bei linken Parlamentariern genießt, werden aus den Reihen der ND bisher dementiert.
Eine Art „Vertrauensvotum“
Wenn auch die heutige Abstimmung ergebnislos verlaufen dürfte, sie könnte einen kleinen Hinweis darauf geben, was der 29. Dezember bringt. Sollte die Regierung heute tatsächlich 165 „Ja“-Stimmen erhalten, wäre das eine gute Dynamik, um kurz vor Torschluss vielleicht doch noch auf 180 zu kommen.
In den Augen vieler Griechen gilt das Verfahren der Wahl eines neuen Präsidenten vor allem als eine Art Vertrauensvotum für die Regierung Samaras und die damit verbundenen Spar- und Reformmaßnahmen, die Griechenland in einem sogenannten Memorandum auferlegt wurden. Sollte sich das Parlament bis Ende Dezember nicht einigen können, wird es Anfang 2015 zu vorverlegten Parlamentswahlen kommen. – Gegen eine solche Option haben sich Umfragen zufolge deutlich mehr als die Hälfte aller Griechen ausgesprochen.
Auch Neofaschisten stimmen ab
Wie wichtig dieses demokratische Verfahren für das Land ist, zeigt auch ein Entscheid der für die Gefängnisse von Korydallos und Nafplion verantwortlichen Staatsanwälte. Sie haben entschieden, dass die dort in Haft sitzenden Volksvertreter der neofaschistischen Partei Chryssi Avgi (CA) teilnehmen dürfen. Vor mehreren Monaten wurden sie in Untersuchungshaft eingewiesen, weil der Verdacht besteht, dass es sich bei der CA um eine kriminelle Organisation handelt. Noch im Oktober, als ein Vertrauensvotum für die Regierung Samaras auf der Tagesordnung stand, waren sie vom Verfahren ausgeschlossen worden.
Text: Elisa Hübel, Foto: Eurokinissi. Diese Aufnahme zeigt Stavros Dimas (links) mit dem aus dem Amt scheidenden bisherigen Staatspräsidenten Karolos Papoulias.