Hintergrund für die Verschärfung des Streiks ist eine Entscheidung der Regierung, die Ministerpräsident Antonis Samaras am Donnerstag traf. Demnach werden die Streikenden zum Dienst verpflichtet. Der Form nach kommt dies einer Einberufung zum Militär gleich, es handelt sich um eine Zwangsrekrutierung. Zuvor wurden die 24-stündigen Arbeitsniederlegungen, die seit der vorigen Woche anhalten, mehrfach per Gericht als illegal eingestuft. Wer dem Gestellungsbefehl nicht nachkommt, riskierte eine Festnahme durch die Polizei und muss mit hohen Strafen rechnen.
Gewerkschaften reagieren solidarisch
Daraufhin setzten die Gewerkschaften zunächst die Zeichen auf
Sturm. Antonis Stamatopoulos, Vorsitzender der Arbeitnehmer bei der
Untergrundbahn, verglich die Zwangsrekrutierung mit den Methoden
der Junta. Er hatte bei den letzten Wahlen für die Partei
„Antikapitalistische linke Kooperation für den Umsturz“ kandidiert,
die aber nicht ins Parlament kam. Nach der Ankündigung, dass die
U-Bahner zwangsrekrutiert werden sollen, zeigten sich die
Mitarbeiter der anderen Athener Nahverkehrsmittel mit den
Betroffenen solidarisch und traten ebenfalls in den Ausstand. Am
Wochenende wollen auch die Angestellten bei der staatlichen
Eisenbahn OSE streiken. Auch der Gewerkschaftsdachverband der
Privatwirtschaft GSEE setzten Zeichen der Solidarität. Der
GSEE-Vorsitzende Jannis Panagopoulos forderte die Regierung dazu
auf, unverzüglich den Dialog mit den Arbeitnehmern aufzunehmen und
die Maßnahme der Zwangsrekrutierung rückgängig zu machen. Heute
will die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst ADEDY über ihr weiteres
Vorgehen beraten. Ein Generalstreik ist nicht auszuschließen.
Leichte Beruhigung der Lage
Parallel zu diesen Entwicklungen könnte sich die Lage im Nahverkehr
aber allmählich beruhigen. Die Unternehmensleitungen der U-Bahn
(Attiko Metro), der S-Bahn (ISAP) und der Straßenbahn (Tram)
registrierten am Freitag, dass sich viele Angestellte wieder zur
Arbeit melden. Die Unternehmen setzten sich das Ziel, den
Schienennahverkehr möglichst noch bis Freitagabend wieder in Gang
zu bringen. Regierungssprecher Simos Kedikoglou geht davon aus,
dass sich die Situation im Nahverkehr am Wochenende beruhigen
wird.
Einsatz der Bereitschaftspolizei
Eine Eskalation drohte am Donnerstagnachmittag, als Angestellte der
U-Bahn Fahrzeugdepots des Unternehmens besetzten. Gegen 3.30 Uhr in
der Nacht wurde diese Besetzung durch einen Einsatz der
Bereitschaftspolizei (MAT) beendet. Drei Personen wurden vorläufig
festgenommen und anschließend wieder auf freien Fuß gesetzt.
Ministerpräsident Samaras hatte am Donnerstag darauf hingewiesen,
dass die öffentlichen Nahverkehrsmittel „dem Volk gehören und nicht
den Zünften“. Finanzminister Jannis Stournaras erklärte
entschieden, dass man entschlossen sei, die Vereinheitlichung der
Gehälter aller Staatsdiener, durchzusetzen. Vor allem gegen diese
Maßnahme richtet sich der seit 9 Tagen anhaltende Streik der
U-Bahn-Angestellten. Verkehrsminister Kostis Chatzidakis stellte
fest, die Streikenden würden versuchen, das öffentliche Leben zu
lähmen. Das bereite der Wirtschaft große Probleme.
Bewährungsprobe für Regierung
Die Regierung wird damit einer harten Bewährungsprobe unterzogen.
Zwar steht die sozialistische PASOK, die mit in der
Dreiparteien-Koalition sitzt, hinter der Entscheidung. Doch die
Demokratische Linke (Dimar), Juniorpartner in der Regierung, zeigte
sich mit der Zwangsrekrutierung pro forma nicht einverstanden. Veto
legte sie gegen diese Entscheidung aber nicht ein.
Scharfe Kritik hagelte es seitens der linken Opposition: von der
kommunistischen KKE und dem radikalen Linksbündnis Syriza. Die der
kommunistischen Partei nahe stehende Gewerkschaft PAME hat für
Samstag um 11.00 Uhr zu einer Solidaritätsdemonstration am Athener
Omonia-Platz aufgerufen. SYRIZA sprach von einem „Putsch gegen die
Verfassung“.
Kritik wegen geringer Streikbeteiligung
Bereits ab Montag hatte ein Athener Gericht die täglichen Streiks
der Metro-Angestellten jeden Tag erneut als illegal eingestuft.
Grund dafür sei, dass diese ihre Arbeitsniederlegungen zu spät
ankündigen würden. Doch die Gewerkschafter umgingen diese
Beschlüsse, indem sie jeden Tag neue Forderungen stellten und damit
den gerichtlichen Beschluss des Vortages aufhoben.
Kritik müssen sich die Gewerkschafter wegen der sehr geringen
Streikbeteiligung anhören. Transportminister Chatzidakis stellte
fest, dass am ersten Streiktag, dem Donnerstag voriger Woche (17.
Januar), 33 % der Angestellten am Streik beteiligt waren. Am darauf
folgenden Tag seien es 48 % gewesen, am Samstag und Sonntag sei
diese Zahl dann auf 16 % bzw. 14 % gesunken. Die übrigen
Angestellten hätten sich frei genommen oder krank gemeldet.
Ähnliche niedrige Beteiligungszahlen wurden für den Montag
gemeldet. Auch darüber soll nun das Gericht befinden. Allein der
Streik bei der U-Bahn verursachte pro Tag einen Schaden zwischen
800.000 und 1 Million Euro. Dabei gelten die Mitarbeiter des
Unternehmens als besonders privilegiert. Minister Chatzidakis
rechnete vor, dass sie durchschnittlich inklusive aller Zulagen im
Monat über 3.000 Euro verdienen – bei der S-Bahn (ISAP) soll der
Durchschnittsverdienst sogar über 4.000 Euro liegen. Diese Angaben
werden von den Gewerkschaften allerdings bestritten.
Solidarität und verlorene Lebenszeit
Der tägliche Weg zur Arbeit wird durch die Streiksituation für
viele Griechen zu einem Martyrium. Die 35-jährige Frau Sofia zum
Beispiel lebt im nordöstlichen Athener Vorort Agia Paraskevi. Im
Normalfall fährt sie morgens mit der U-Bahn zur Arbeit. Das dauert
30 bis 40 Minuten. In den letzten Tagen brauchte sie für die
Hinfahrt sowie für die Rückfahrt jeweils drei Stunden. Die
35-Jährige spricht sichtlich wütend von „verlorenen Stunden meines
Lebens“. Sie hat für den anhaltenden Ausstand kein Verständnis. Die
Situation, so sagt sie, zermürbe sie. Anderer Meinung ist der
78-jährige Herr Panajiotis. Er geht im Athener Stadtzentrum
spazieren. In der rechten Hand hält er einen Regenschirm, der
Himmel über ihn ist grau – die Straßen sind überschwemmt. Trotz
aller Strapazen fragt er rhetorisch, warum sich nicht auch die
anderen Gewerkschaften am Streik beteiligen. „Jetzt“, so meint er,
„ist doch die Gelegenheit, das Sparkabinett von Samaras endlich zu
stürzen.“
Der Ministerpräsident ist auf der Hut
Ministerpräsident Antonis Samaras ist unterdessen auf der Hut. Der
konservative Chef der Dreiparteienregierung zeigt in dieser
schwierigen Situation politische Elastizität. Entgegen aller
Prognosen hat er die politischen und wirtschaftlichen Klippen seit
seiner Kür zum Ministerpräsidenten im vergangenen Juni gut
umschifft. Der 62-Jährige gilt als einer der erfahrensten Politiker
des Landes. Bereits 1977 saß er als damals jüngster Abgeordneter
erstmals im Parlament. Bisher hat er es gut verstanden, seinen
beiden Koalitionspartner aus dem linken Lager bei der Stange zu
halten. Es bleibt anzuwarten, wie die Regierung den begonnen Streik
aller Verkehrsmittel übersteht.
Unterdessen haben auch die Seemänner für den 31. Januar und den 1.
Februar eine 48-stündige Arbeitsniederlegung beschlossen. Die
Bauern werden am kommenden Sonntag, dem 27. Januar, darüber
entscheiden, ob auch sie diverse Protestaktionen gegen die
Sparvorlagen der Regierung durchführen werden. (Griechenland
Zeitung / eh, Foto: Eurokinissi)