Da Griechenland als Mitglied der EU die hohen Standards der Trinkwasserqualität erfüllen muss, ist das Leitungswasser in den meisten Regionen ohne gesundheitliche Konsequenzen trinkbar. In meinem Bergdorf am Ionischen Meer ist dies jedoch nicht der Fall. Das Leitungswasser weist einen zu hohen Gehalt an Gips – geologisch als Gipsspat bezeichnet – auf.
Fülle ich ein Glas mit Leitungswasser, setzt sich der Gipsspat aus der Mineralklasse der Sulfate und des Kalziums als weißlicher Belag auf dem Boden des Glases ab. Auch hinterlässt das Kochwasser einen hartnäckig weißen Belag in den Töpfen. Daher benutze ich das Leitungswasser ausschließlich zum Gießen, Abwaschen und Baden – ein Tatbestand, den ich ohne Murren hinnehme. Ich habe mir die Ausflüge zu hiesigen Quellen längst zur Gewohnheit gemacht, und im Gegensatz zum Kauf von unzähligen Plastikflaschen macht die Selbstversorgung mit meinen abgefüllten Kanistern mir Spaß. Meistens fahre ich zur Korpi-Quelle im nahegelegenen Akarnanika-Gebirge. Während im heißen Sommer nur wenig Wasser aus den bronzenen Löwenmäulern floss, schießt das eiskalte Wasser jetzt, nach den winters in Westgriechenland üblichen, starken Niederschlägen, im Übermaß aus dem Gestein hervor. Man berechnet Wasser und Wein in Kilos, nicht in Litern, und ich fülle meine Kanister bei jedem Ausflug mit um die 90 Kilo mit Wasser, das ich zum Trinken und Kochen benutze. Unter zig anderen befinden sich weitere bedeutende Trinkwasserquellen auf dem Olymp, im Pindos- und im Psiloritis-Gebirge. Im Pilion-Massiv fahren viele Anwohner aus der nahen Stadt Volos zum Abfüllen ihrer Kanister den Berg hinauf. Da viele Quellen wirtschaftlich ungenutzt verblieben sind, sind die Wasservorkommen im Gebirge selbst im Hochsommer noch üppig – im Gegensatz zur Korpi-Quelle im hiesigen Gebirge von Ätolien-Akarnanien, wo Nestlé das Quellwasser in industriellem Maß abschöpft. In hellenischen Gefilden spielt das Wasser und seine Reinheit bereits seit der Antike eine überaus wichtige Rolle, da man es – um ein Übermaß zu vermeiden – dem Wein beizumischen pflegte. Das Mischverhältnis Wasser zu Wein war ein ritueller Brauch, der nicht selten zu heftigen Kontroversen führte. Sich mit unverdünntem Wein zu berauschen, hielten die Griechen, die ihren Wein ausschließlich verdünnt und in Gemeinschaft tranken, für eine Gepflogenheit der Barbaren. Seit der Antike symbolisiert ein angebotenes Glas Wasser dem Besucher die freundliche Gesinnung und Aufnahme des Gastgebers oder der Gastgeberin. Der Wasserkrug oder das Glas Wasser nehmen bis auf den heutigen Tag eine zentrale Rolle auf jedem griechischen Tisch ein. Der Wasserkrug kommt noch vor dem Brot auf den Tisch, und das Wasser wird zu allem gereicht, zu jeder Speise, zu Wein, Ouzo und zu Fruchtsaft.
(Griechenland Zeirtung / Linda Graf)