Kantaïfi – κανταϊφι –, im Türkischen als kadayif und im balkanischen Raum als kadaif bezeichnet, stammt ursprünglich aus den arabischen Ländern. Bestimmt sind Sie mit den knusprigen Sirup-Röllchen vertraut, deren Fäden haarig aussehen? Der weiße Kantaϊfi-Teig ähnelt jedenfalls vor der Zubereitung auch dünnen chinesischen Reisnudeln.
Kantaïfi ist eine hierzulande beliebte, mit Engelshaar zubereitete Süßspeise, die das ganze Jahr über in einer griechischen Konditorei – ζαχαροπλαστείο – zu haben ist. Einst, vor seiner maschinellen Produktion, musste man den Teig stundenlang zwischen den Händen rollen, um daraus immer hauchdünnere Fäden zu fabrizieren. Zudem muss das Austrocknen während seiner langwierigen Zubereitung vermieden werden, da er sich nur in geschmeidigem Zustand verarbeiten lässt. Die wenigsten Hobbyzuckerbäckerinnen und -bäcker machen sich noch diese Mühe. „Heutzutage ist es leicht, Kantaïfi herzustellen“, meint meine Nachbarin Stassoula. Früher sei das mühsam und zeitaufwendig gewesen. „Die Frauen konnten den filigranen Teig nicht kaufen, sondern mussten ihn eigenhändig produzieren“, ergänzt sie. Und für diese alte Backkunst waren Übung, Geschicklichkeit und Fingerfertigkeit, und nicht zuletzt eine wahre Engelsgeduld vonnöten. Um also das Dessert selbst zu backen, besorgt man sich den fertigen, feinen Kantaïfi-Teig am besten in Feinkost- oder auch in Kantaïfi-Spezialläden Panagiotis, der dorfansässige Konditor, bei dem ich meine Sirup-Nuss-Röllchen einkaufe, erzählt mir von seiner Großmutter: „Sie war eine geübte Teigrollerin und versorgte beim Kantaïfi-Machen zwischendurch schon mal die Enkelkinder. Um ihn formbar zu halten, hat sie den zwischen zwei trockenen Tüchern ausgebreiteten Teig mit einem dritten, feuchten Tuch abgedeckt“, erinnert sich Panagiotis. Überhaupt ließ sich seine Großmutter durch nichts aus der Ruhe bringen und schaute bei ihrer Arbeit auch niemals auf die Uhr: Sie knackte stundenlang Walnuss- und Mandelschalen mit einem Stein und füllte dabei ganze Waschschüsseln mit Nüssen auf. „Mir fehlt zur Zubereitung des Kantaïfi-Teigs die Zeit, wir leben heutzutage in einer fast world“, sagt Panagiotis, und zieht den Kopf zwischen hochgehaltenen Händen ein. Er selbst bezieht den vorgefertigten Teig in luftdicht verpackten Folien und bäckt auch so köstliche, mit Walnussstückchen bestreute Sirup-Röllchen, die ich so sehr liebe. Für die Füllung vermischt Panagiotis feingehackte Walnüsse mit gemahlenem Zimt und Nelken. Den Teig entwirrt er gekonnt und breitet ihn in Streifen aus, an deren Beginn er die Füllung auflegt. Dann wird gerollt. Um zu halten, müssen die Röllchen mit der Naht nach unten, und dicht aneinander in die eingefettete Backform. Dann werden die Kantaïfi einzeln mit zerlassener Butter benetzt und kommen in den Ofen, bis das Engelshaar knusprig und goldbraun gebacken ist. Last but not least werden die Sirup-Nuss-Röllchen mit Zuckersirup getränkt – aber erst, wenn sie schön abgekühlt sind, damit sie ihre Knusprigkeit bewahren! Stassoula hat mich einmal dazu vergattert, mich an dem bindfadendünnen Gewebe auszuprobieren. Sie lachte mich bei meinen Versuchen aus und zeigte mir mit hausfraulichem Stolz, wie man die mit den Fingern geglättete „Engelshaarballen“ mit der richtigen Seite zu den übrigen, dicht beieinander liegenden Nussröllchen legen muss. Und einen kleinen Tipp hatte sie noch parat: „Damit das Gebäck sein volles, süßwürziges Aroma entfalten kann, müssen die Röllchen über Nacht ziehen.“ Fazit meiner Überlegungen und praktischen Lehrstunden bei Panagiotis und Stassoula: Wozu es sich schwer machen, wenn es leicht geht! Obwohl ich inzwischen gelernt habe, sie selbst zu backen, kaufe ich sie einfach bei Panagiotis ein. Beim bloßen Gedanken daran, das filigrane Teiggewebe zu entwirren, es auszurollen, es mitsamt Füllung zu stramm haltenden Röllchen zu wickeln, stehen mir – Engelshaar hin oder her – die Haare zu Berge! (Griechenland Zeitung / Linda Graf)