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Stühle, perdu oder: Traditionen im Wandel

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Aquarell von Wassilis Dornakis aus dem Buch "Der griechische Stuhl". Aquarell von Wassilis Dornakis aus dem Buch "Der griechische Stuhl".

Auch das noch: Die griechischen Stühle sind weg! Das heißt, sie stehen noch da, sehen aber aus wie Gespenster. Hat denn niemand Erbarmen? Hat nichts Bestand? Hält denn keine Tradition dem Wandel zur Bequemlichkeit stand?


Hatte diesen unverwüstlichen Sitzmöbeln nicht einst der Maler Wassilis Dornakis ein Denkmal gesetzt? Hatte er. 2010 war das, als eines der ersten Bücher im Verlag der Griechenland Zeitung erschien: „Der griechische Stuhl. Kleine Kulturgeschichte des Sitzens. Szenen einer Partnerschaft“. Ein Standardwerk der Freizeitkultur. Und hatte darin nicht GZ-Autorin Ursula Spindler-Niros Ratschläge erteilt, ja, regelrechte Gebrauchsanweisungen sozusagen, Anleitungen also, wie selbst ein solch solides, aber durchaus nicht leicht zu handhabendes Möbel sinnvoll zu nutzen sei? Hatte sie. Den Stuhl diagonal setzen, so lautete der erste Ratschlag. Auf diese Weise vergrößere „man die Sitzfläche von nur 38 Zentimetern (mittleres Auflagen-Maß) um ganze zehn Zentimeter auf 48 Zentimeter und hat zudem einen der lästigen, sich in den Oberschenkel drückenden, vorderen Holmköpfe zwischen die Beine nach vorne freigestellt“. Nachzulesen auf Seite 11 des höchst liebevoll gemachten Bilder-Lese-Buchs. Sodann erfuhren wir, dass der „typische Grieche“ normalerweise mehrere dieser Sitzgelegenheiten benötige, „um sich wirklich wohlzufühlen: Auf einem sitzt man, auf einem anderen legt man den Mantel oder die Jacke ab, auf eine Querstrebe stellt man den Fuß, auf eine Lehne stützt man die Arme auf …“ Fertig war das Muße suchende Mannsbild. Verschwenderisch natürlich auf gewisse Weise, zugleich aber sehr einladend. Und nun? Wieder wird eine griechische Tradition förmlich entweiht. Was soll das?! Lehne und Stuhlbeine sind dieselben geblieben, aber das gewohnte Korbgeflecht? Schnöde entsorgt? Brachial vernichtet offenbar! Und nun ersetzt durch Plastikaufsätze, gefüttert obendrein! Ein neues Zeitalter? Kapitulation vor der Marter? Altherrenprothesen!? Ja, diese Art Stühle sind ja ohnehin eher für Männergesellschaften gedacht. Echte Kerle kennen keinen Schmerz. Frauen treffen sich lieber zuhause in bequemen Sesseln oder im Café, womöglich mit Kanapee-Einrichtung. Doch die altgewohnte Männergeselligkeit ist nun kaum mehr möglich. Eine völlig neue Art des Sitzens ist auf diesen Stühlen fortan zu üben. Jeder sinkt nunmehr in die Plastik-Schaumstoff-Masse ein, es macht plätsch, es macht quietsch, im Sommer womöglich glitsch. Man möchte sich ungern ausmalen, welche Sumpfblüten in sommerlicher Hitze auf diesen Auflagen gedeihen mögen. Jahrzehntelang hatte man geübt und sich zurechtgeruckelt auf diesen Holzgeflechtstühlen, hatte, von Einheimischen eingewiesen und vorgemacht, die halbwegs bequeme oder sagen wir: angemessene Sitzhaltung eingenommen, um ein, zwei Stunden darauf auszuhalten – und dann das! Es sei hier auch nicht verschwiegen, dass man mit dem Alter gern auf Hilfsmittel zurückgreift. Okay! Das hat, in diesem Fall, etwas mit der Abnahme des Sitzfleischs sowie dem Mürbewerden der Bandscheibe zu tun. So nimmt man gern, etwas verschämt zwar, aber durchaus nicht unvernünftig, ein Sitzkissen mit, um den Aufenthalt im Kafenion nicht vor der Zeit der Gemütlichkeit abzubrechen und dem Bastgeflecht standzuhalten. Es sei zudem zugegeben, dass das Binsengeflecht, neben seiner Hartleibigkeit, auch Nachteile hatte. Über die Jahre konnte sich die Sitzfläche durch häufigen Gebrauch zu einem nach innen gerichteten Trichter verformen. Das machte das Sitzen nicht unbedingt angenehmer, ja, es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden: Das Sitzen wurde tatsächlich zunehmend strapaziöser. Doch eines Tages kam dann der „Kareklas“, der Stuhlmacher also, ein mittlerweile aussterbendes Gewerbe. Er richtete und reparierte oder brachte frisch geflochtene Gewebe mit. Die alte, verformte Sitzfläche wurde abgeschraubt, die neue, nun wieder ebene Sitzfläche draufgeschraubt, fertig. Das Gestell blieb erhalten. Nachhaltiges Wirtschaften nennt man das heutzutage. Und nun? Das Gestell hat sich auch jetzt erhalten. Es sind tatsächlich die alten Beine, die alte Rückenlehne, gedrechselt womöglich noch. Und weiter? Nicht das Kreuz oder tiefere Körperteile schmerzen, nein, was schmerzt, ist dieser Stilbruch: mausgrau ist die Sitzfläche, seelenlos und pflegeleicht, wisch und weg wie für Selbstbedienungsläden und Coffee-to-go-Absteigen gemacht. Eine kulturelle Schande! Und der schleichende Tod griechischer Geselligkeit in öffentlichen Räumen womöglich. Und die Stimmen in diesem Umbruch? Warum ist das nötig? Das sei doch nicht traditionell, gibt der Fremde zu bedenken. „It’s more beautiful“, strahlt ihn der Kellner an und entwaffnet umgehend. Der Traditionalist verstummt.

P.S. An der vorderen Seite der Taverne stehen sie noch, nicht unter einem Vordach, sondern unter Bäumen: unschuldig, wie der „kareklas“ sie einst schuf, hart und knubbelig. Traditionell eben.

(Griechenland Zeizung / Stefan Berkholz)

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