Sonntagmorgen. Die Luft trägt die Psalme des Priesters durch das Dorf. Es duftet nach Spätsommer, nach Trauben, getrockneten Korinthen, nach Most und Erde. Gestern war für uns der Tag der Ernte. Wegen der anhaltenden Trockenheit des Sommers haben wir nicht ganz so viel gepflückt wie üblich: es waren etwa 1,7 Tonnen Trauben, der überwiegende Anteil davon Roditis; ein paar schwarze Mavrodafni-Trauben waren auch dabei.
Nikos, der Bauer und Winzer, dem die Weinpresse im Dorf gehört, ließ die Trauben durch die Finger gleiten. „Das wird guter Wein, sehr gut!“, sagte er bedächtig. Zum Weinkeller gebracht haben wir letztlich 1,2 Tonnen Most, der gleich in die schon vorbereiteten Fässer kam.
Der sonntägliche Gesang von Papa Giorgis bringt mich wieder in die Gegenwart. Ich sitze im Halbschatten vor dem Weinkeller, die Tür ist geöffnet, damit genügend Sauerstoff hineinströmen kann. Hinter mir säuselt der Most, der bereits in der Nacht zu Gären begann. Es ist ein angenehmes Geräusch, etwa so, als würde man das Ohr auf einen Bienenstock legen. Welch ein Eigenleben! Es ist ein Wunder Gottes, würde Papa Giorgis sicher sagen. Wie aus dem Saft der Trauben nach und nach Wein entsteht … Eigentlich ohne dass man noch etwas dazu beitragen muss – nur die richtigen Temperaturen müssen herrschen, und alles muss schön sauber sein.
Die Fässer sind jetzt warm und vibrieren, als wäre ein kleiner Motor darin, man spürt es deutlich, wenn man die Hand darauf legt. Drei von ihnen sind Stahltanks, die oben ganz offen sind. Hier kann man besonders gut sehen, wie sich die Flüssigkeit im Inneren allmählich verändert. Nach ein paar Stunden hebt sich der Most immer weiter, es schäumt und blubbert: eine kleine Revolution. Der Schaum, der nach oben dringt, gleicht einer Landschaft, die sich hebt und an anderer Stelle wieder senkt, mit unterschiedlichen Farben: manche Partien sind weiß-gelblich, andere gräulich, auch rosarote Stellen kann man sehen.
Allerdings sollte man sich jetzt nicht zu lange im Weinkeller aufhalten, es herrscht „dicke Luft“. Ich setze mich wieder auf meinen Stuhl vor dem Keller. Auch hier im Freien, direkt neben mir, blubbert und säuselt es: In einem 50-Liter-Topf wird Traubenmost zu Petimezi verkocht. Ein süßer Duft breitet sich in der gesamten Umgebung aus.
Bis Samstagnacht hatten wir den Saft der Trauben schon fünf Stunden eingekocht. Heute Morgen war der Topf noch richtig schön warm, nun geht es in die zweite Runde. Schaum, der durch den Kochprozess entstehe, wird regelmäßig mit einer siebartigen Kelle abgeschöpft: guter Dünger für die Zitronenbäume ... Ist die Hälfte des Mostes eingekocht, werden ein paar Flaschen abgefüllt, für Moustalevria, eine Süßspeise mit Mandeln, die sehr beliebt ist.
Neben mir köchelt es immer weiter, bis in den Abend hinein. Ist der Most bis auf ein Viertel des Topfes zusammengeschmolzen, haben wir reines Petimezi: ein süßer, fruchtig schmeckender, sirupartiger Mostextrakt. Gern verwendet man ihn für verschiedene Süßspeisen oder für Salate, zum Abschmecken von Soßen – und natürlich auch im Kaffee. Hmm, wie das auf der Zunge mundet, hin und wieder ein kleines Löffelchen davon kann nicht schaden … Und dann kehren die Gedanken schon wieder zum Wein zurück, der unermüdlich vor sich hin arbeitet, der gärt und seine Lieder dazu summt. Wird 2022 ein guter Jahrgang werden, wie der Winzer Nikos meinte? – Die ersten Indizien sprechen zumindest dafür. – So Gott will, würde Papa Giorgis sagen. (Griechenland Zeitung / Jan Hübel)
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