Der Bau eines Tunnels durch ein Bergmassiv stellt stets eine Herausforderung dar. Üblicherweise erfolgt er nach dem Verfahren des sogenannten Gegenortvortriebs, bei dem ausgehend von den beiden Tunnelenden Stollen ins Gestein getrieben werden, damit sie sich etwa auf halbem Weg treffen.
Bei entsprechenden Arbeiten steht heute zwar das modernste Know-how zur Verfügung, dennoch aber wird das Gelingen eines solchen Projekts nach wie vor als technische Glanzleistung gefeiert, besteht letztlich doch immer auch die Gefahr, dass die beiden Stollen sich im Berg möglicherweise verfehlen könnten. Umso bemerkenswerter ist vor diesem Hintergrund ein Tunnelbau, den der aus Megara stammende Eupalinos bereits in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. nach eben diesem Prinzip auf der Insel Samos ausgeführt hat. Dem Historiker Herodot galt die Anlage im folgenden 5. Jahrhundert v. Chr. als eines der gewaltigsten von Griechen geschaffenen Bauwerke, und auch auf den heutigen Besucher bleibt der imposante Eindruck nicht aus. Der 1.036 Meter lange Tunnel durch den Berg Kastro diente der Wasserversorgung der antiken Stadt Samos. Von einer höher gelegenen Quelle aus wurde das Wasser herangeführt, um durch den Berg hindurch und anschließend dann zu einem Reservoir in der Stadt weitergeleitet zu werden. Der im Schnitt etwa 1,80 Meter hohe und ebenso breite Tunnel war begehbar, das Wasser selbst floss durch einen seitlich in den Boden eingetieften Kanal mit entsprechendem Gefälle. Noch heute lassen sich im Gestein der Anlage zahlreiche Messmarken aus der Entstehungszeit ausmachen, die im Verein mit dem Grundriss des Tunnelverlaufs den einstigen Bauvorgang dokumentieren. Es wird deutlich, dass Eupalinos aufgrund der vorgefundenen geologischen Bedingungen durchaus mit Hindernissen zu kämpfen hatte, dennoch aber gelang ihm am Ende der erfolgreiche Durchstich zwischen den beiden Stollen. In Erinnerung an seine außergewöhnliche Leistung wurde bei Megara einer der modernen Autobahntunnel zwischen Athen und Korinth nach ihm benannt: Ευπαλίνος (neugr.: Efpalínos).
(Griechenland Zeitung / Jens Rohmann)