Verheißungsvoll breitet sich die Ägäis im östlichen Mittelmeer aus. Der einzigartige Reiz, der ihren Küstenlandschaften innewohnt, lockt ebenso wie die Schönheit und der Charme ihrer Inselwelt alljährlich unzählige Besucher an. Da mag es gar nicht so recht ins Bild passen, dass dieses doch so friedlich und einladend anmutende Ägäische Meer seinen Namen einem überaus tragischen Ereignis verdankt.
Wie wir hören, mussten nämlich die Athener als Sühne für den Tod des Sohnes des kretischen Königs Minos alle neun Jahre sieben Jungen und sieben Mädchen auf dessen Insel schicken. Dort wurden sie dem in einem Labyrinth lebenden Minotauros geopfert. Um diesem bitteren Treiben ein Ende zu bereiten, beschloss der große Held Theseus, der Sohn des Königs Aigeus von Athen, das Mischwesen aus Mensch und Stier umzubringen. Nach geglückter Tat machte man bei der Rückkehr nach Athen versehentlich jedoch einen folgenschweren Fehler. Vor der Abreise war vereinbart worden, dass weiße Segel schon aus der Ferne den Erfolg des Unternehmens signalisieren sollten, schwarze hingegen sein Misslingen und den Tod des Theseus. Als König Aigeus nun schwarze Segel gesetzt sah, dachte er, sein Sohn sei ums Leben gekommen und stürzte sich tief bekümmert ins Meer. Fortan sollte dieses seinen Namen tragen (Αιγαίο Πέλαγος – Aigaío Pélagos).
Auch der Saronische Golf, der zwischen Attika und der Peloponnes gelegene Teil des Ägäischen Meeres, trägt seinen Namen infolge eines Unglücks in grauer Vorzeit. Als dritter König von Troizen, dem heutigen Trizina, war Saron der Nachfolger seines Vaters Althepos, eines Sohnes des Poseidon. Ihm sollte seine Leidenschaft für die Jagd zum Verhängnis werden. Als er eines Tages nämlich einen Hirsch verfolgte, ertrank er in den Fluten des Meeres. Dem Golf, in dem er den Tod fand, gab man ihm zu Ehren seinen Namen (Σαρωνικόϛ Κόλπος – Saronikós Kólpos).
Jens Rohmann