Im Interview mit der Griechenland Zeitung (GZ) beschreibt der deutsche Rembetiko-Musiker Simon „Sid“ Steiner, wie er die Brandkatastrophe auf Nordeuböa erlebte. Wie durch ein Wunder wurde das Haus, in dem er mit seiner Frau Rebekka lebt, verschont, doch die Wälder und überhaupt die Natur in der gesamten Region vermitteln ein gespenstiges Bild, ein Bild der Trauer.
GZ: Wie ist die derzeitige Lage auf Nordeuböa?
STEINER: Unser Haus steht in Vassilika am Ortsrand, praktisch genau gegenüber am abgebrannten Wald. Um mich herum ist alles vernichtet, es fühlt sich an wie im Schwarz-Weiß-Film. Es sind Schwarz-Weiß-Fotos, die auf uns einprallen. Ich bin kein Experte, aber ich schätze, dass der Wald hier zu drei Viertel zerstört ist. Wir konnten von hier aus die Flugzeuge sehen, die über uns hinwegflogen, um den großen Brand im Nachbarort Ellinika zu löschen. Und in den Bergen brannte es auch …
GZ: Könnt ihr vom Haus aus noch immer Flammen sehen?
STEINER: Nein, die Flammen sind momentan gelöscht, aber es qualmt noch und überall sind kleine Brandherde. Wir haben beispielsweise in einer Nacht am Meer übernachtet, weil es hier zu verraucht war. Man kriegt hier praktisch eine Rauchvergiftung, aber unten am Meer ging es einigermaßen. Als wir uns dann im Schlaf mal umdrehten, haben wir gesehen, dass es im Hintergrund schon wieder gebrannt hat. Daraufhin fuhren die Jungs vom Dorf sofort wieder auf Patrouille. Dadurch, dass sie rund um die Uhr im Dorf unterwegs sind und sofort wiederaufflammende Feuer im Keim ersticken, ist die Sache unter Kontrolle. Die größte Arbeit verrichtet hier bei uns die Dorfbevölkerung.
GZ: Ist die Feuerwehr auch präsent?
STEINER: Es gibt hier so gut wie keine Feuerwehr. Zehn Kilometer von hier gibt es vereinzelt in den Orten Feuerwehrfahrzeuge und sogar Hydranten. Hier gibt es keine Hydranten oder Feuerwehren, wie man es etwa aus Deutschland gewohnt ist.
GZ: Ihr wurdet am Wochenende evakuiert bzw. musstet flüchten. Wie lief das ab?
STEINER: Das Feuer haben wir von Montag bis Donnerstag von unserem Haus aus beobachtet. Wir wussten sofort: In unseren Bergdörfern brennt es. Wir waren dann guten Mutes, haben unser Auto aufgetankt, Lebensmittel gekauft und morgens um drei sagte ich noch zuversichtlich: „Leute, ich glaub‘ wir können mal ‘ne Stunde schlafen“. Gerade ausgesprochen, laufe ich drei Meter von der Terrasse weg, und sehe, wie aus der anderen Richtung ein gewaltiger Brand über Psaropouli tobt, das unten am Meer liegt.
Dann haben wir die Koffer gepackt, alles in das Auto gestellt und im gleichen Moment kommt ein Fahrzeug der Gemeinde hupend vorbei und man ruft: „… zum Hafen, alle zum Hafen!“ Ich wollte aber lieber in die nächste größere Stadt, da man dort bekanntlich bessere Hilfe bekommt. Von dort aus sind wir glücklich aufs Festland gekommen. Dort hat uns ein unglaublich toller Tavernenbesitzer aufgenommen und ein kleines Haus zur Verfügung gestellt. Wir konnten beobachten, wie der Norden Euböas abbrannte. Wir haben dann gewartet, bis wir wieder zurückkehren konnten, und sind am Montag nach drei, vier Tagen wieder nach Euböa in unser Dorf gekommen.
GZ: Wusstet ihr in der Zeit, in der ihr weg wart, ob euer Haus noch steht oder ob es eventuell verbrannt sein konnte?
STEINER: Nein, das wussten wir nicht. Als wir zurückkehrten, war es ein einziger Schwarz-Weiß-Film, das war alles ganz, ganz traurig. Es gab nur noch einen schwarzen Wald und weiße Asche.
GZ: Mit wie vielen Leuten wart ihr unterwegs? Und was habt ihr bei der Rückkehr empfunden?
STEINER: Wir waren zu sechst unterwegs plus zwei Katzen und zwei Hunde. Jetzt bin ich gemeinsam mit meiner Frau wieder in unserem Haus. Als wir abends angekommen waren, haben wir erstmal geheult. Es steht ja nur noch das Haus und alles andere ist schwarz. Wir bekamen dann durch die Hilfe der Nachbarn innerhalb von zwei Stunden einen neuen Generator, der eine Stunde später auch angeschlossen war. Außerdem haben wir Wasserflaschen geschenkt bekommen, weil es hier zurzeit kein Wasser gibt. Die Griechen helfen sich blitzartig. Wir haben Benzin mitgebracht und die anderen geben uns Wasser oder den Generator. So hilft eine Hand der Anderen.
GZ: Hilfe kommt also eher nicht vom Staat, sondern von der Nachbarschaft?
STEINER: Das ist alles Nachbarschaftshilfe. Der Staat hat die Löschflugzeuge, die über unser Haus geflogen sind, am Dienstag voriger Woche nach Attika und Olympia beordert. Attika und Olympia hatten Priorität und Nordeuböa wurde irgendwie abgetan ...
GZ: Wie haben die Griechen selbst auf die Katastrophe reagiert?
STEINER: Am Anfang haben sie zunächst nur die Arme erhoben und Gott um Hilfe gebeten … Dann haben sie gesagt, dass sie ja das Meer hätten, wohin man sich zurückziehen könne. Und die Brände waren ja auch anfangs 15 Kilometer von uns entfernt. Als es ernst wurde, nahmen die Einwohner die Sache selbst in die Hand. Sie löschten Feuer vor Ort mit eigener Hand, trampelten auf dem Boden herum, bis die Flammen ausgingen, schlugen mit Oleanderzweigen darauf ein, bis alles gelöscht war. Sie ergreifen selbst die Initiative und fahren mit ihren eigenen Autos, löschen mit Hilfe der Wassertanks, die sie für ihre Pickups haben, was immer sie löschen können.
GZ: Wie gestalten sich die kommenden Tage und Wochen für euch?
STEINER: Wir bleiben hier und würden uns freuen, wenn es in ein paar Tagen wieder Wasser gäbe. Das Telefonnetz und das Internet funktioniert ja bereits wieder. Wir bleiben hier und helfen den Menschen, deren Häuser teilweise ganz oder bis auf den Grundmauern abgebrannt sind – Stein für Stein. Wer Benzin hat, fährt in den nächsten Ort und holt Benzin für die Generatoren der anderen. Wir helfen so gut wir können. Ab Ende Oktober werden wir wahrscheinlich nach Stuttgart zurückgehen, da dort auch noch was zu erledigen ist. Wir bleiben aber so lange wie möglich hier und unterstützen alle so gut wir können.
Das Interview führte Jan Hübel (Griechenland Zeitung).
Diese Aufnahme (© sd_privat) entstand in besseren Tagen, vor der Brandkatastrophe auf der Insel Euböa: Der Philhellene und Musiker Simon „Sid“ Steiner rechts und „Latino“ Klaus H. Pfeiffer links im Bild.