Im Norden Athens liegt an den Ausläufern des Pentélikon (ngr.: Πεντέλη / Pendeli) der Vorort Dionysos. Er verdankt seinen Namen einem kulturgeschichtlichen Ereignis allerersten Ranges, das sich hier – in der antiken Gemeinde Ikaria – in grauer Vorzeit zugetragen haben soll.
Der Überlieferung zufolge war dies nämlich der Ort, an dem Dionysos den Menschen den Wein brachte. Wie es heißt, kam eines Tages ein fremder, junger Mann ins Dorf. Einer der Bewohner, der wackere Ikarios, bat ihn in sein Haus, um ihn zu bewirten. Der Fremde nahm die Einladung an, wies die ihm angebotene Ziegenmilch aber freundlich zurück, um seinen Gastgeber stattdessen an einem selbst mitgebrachten Trank teilhaben zu lassen. Auf diese Weise lernte Ikarios den Wein kennen, denn sein Gegenüber war kein Geringerer als der für diesen zuständige Gott Dionysos höchstpersönlich. Aus Dankbarkeit für die gastliche Aufnahme machte der Gott Ikarios eine aus deren Früchten Wein herzustellen. Allerdings sollte Ikarios selbst nicht mehr allzu viel von der neuen Errungenschaft haben. Als er übers Land zog, um seine Mitmenschen von dem wohlschmeckenden und betörenden Getränk probieren zu lassen, fand seine Gabe, wie zu erwarten, allgemeinen Zuspruch. Einige Hirten jedoch genossen den Wein in solchem Übermaß, dass er seine unangenehmen Wirkungen zu entfalten begann. In der Vermutung, Ikarios wolle sie vergiften, töteten sie ihn. Erschrocken über ihre Tat vergruben sie den Leichnam am nächsten Morgen unter einer Kiefer und flohen. Aus Trauer über den Tod ihres Vaters erhängte sich Erigone, die Tochter des Ermordeten, an eben jenem Baum. In Attika wurde zu Ehren der beiden ein Fest gestiftet; überdies fanden sie und ihre treue Hündin Maira zeitlose Aufnahme am nächtlichen Sternenhimmel: als Boótes, Jungfrau und Sirius.
Jens Rohmann