Beim „New Greek Wave Festival“ des Theaters Bremen präsentierte sich die aktuelle griechische Theaterlandschaft äußerst facettenreich, spannend und unterhaltsam. Vom 3. Bis zum 6. Mai waren acht Aufführungen von fünf ganz unterschiedlichen Stücken zu sehen.
Los ging's beim Festival mit dem vierköpfigen Performance-Kollektiv „Nova Melancholia“. Inspiriert von Baudelaires letztem Werk „Le spleen de Paris“ setzten sie die Folgen der griechischen „Krisis“ in Pantomime um. Die Kulisse war ideal: Die Front des Theaters am Goetheplatz mit seinen sechs dorischen Säulen. Zwischen denen hindurch sah man die Akteure erst in einem öden Kaffeehaus, dann vereinsamt auf den Balkonen zwischen den Säulen. Später kamen sie einzeln auf den Theatervorplatz, rezitierten melancholische Gedichte Baudelaires auf Französisch. Dann standen die beiden jungen Männer wie gefesselt mit heruntergelassenen Hosen an Laternenmasten und wurden von Schwertern zerstochen. Die erste junge Frau trat heraus, Schaum quoll aus ihrem Mund. Sie warf sich – untenherum vollständig ohne – auf die Stufen und zuckte. Eine zweite Frau kam, zeterte lautstark und verwirrt vor sich hin. Dann erklang „Gloomy Sunday“, das klassische „Lied der Selbstmörder“. Das war's in 45 faszinierenden Minuten.
Schon 45 Minuten später ging's im Kleinen Haus weiter mit dem aktuellen Werk „Die lächerliche Finsternis“ des deutschen Dramatikers Wolfram Lotz in griechischer Übersetzung. Der deutsche Text lief als Übertitel. In Athen war das Stück an der Experimentalbühne des Nationaltheaters zu sehen. In ihm wird 'mal nicht die Griechenlandkrise thematisiert, sondern somalische Piraterie, Krieg in Afghanistan und Bundeswehreinsatz dort. Zwei Stunden lang dauerte die phantastische Reise durch Afghanistan hinauf ins Hindukusch-Gebirge.
Deutsche Übertitel erleichterten dem Publikum auch das Verständnis des Dokumentarstücks „Clean City“, das 2016 am Onassis Cultural Centre in Athen uraufgeführt wurde. Es lässt fünf ausländische Putzfrauen in Athen von ihren Schicksalen berichten.
Von zwei deutsch-griechischen Schauspielern, Anna Jäger und Gerasimos Bekos, simultan übersetzt wurde das Impro-Stück „Lasciatemi Morire“, in dem Vasso Kamaratou und Kostas Koutsoselos bei jeder Aufführung anders ein Athener Ehepaar in der Krise vorstellen. Gerasimos Bekos las außerdem noch am Sonntag aus seinem noch unveröffentlichten, von ihm auf Deutsch verfassten Drama „Pera Pera“, das im April 2019 in Würzburg uraufgeführt werden wird.
Gleich auf Englisch stellte schließlich der Athener Theatermacher Simos Kakalas sein 45-minütiges Programm um, in dem es um die Geschichte des Karagiozis, die Krise und die deutsch-griechischen Beziehungen ging. Große Teile des Textes improvisierte er ganz spontan, sogar Loukoumia wurden dem Publikum während der Vorstellung gereicht.
Die Initiative fürs Festival ergriffen schon vor zwei Jahren die drei jungen deutsche Theatermacherinnen Marthe Labes, Caroline Anne Kapp und Isabelle Becker. Alle drei fanden das antike griechische Theater faszinierend, Marthe Labes aber hatte ihr Abschlussarbeit über die aktuelle griechische Theaterlandschaft geschrieben. Das führte zur Idee, eben diese einmal in Deutschland vorzustellen. Beim Bremer Intendanten fanden sie nicht nur ein offenes Ohr – er griff auch tief in die Theaterkasse. Die Kulturstiftung des Bundes beteiligte sich ebenfalls an der Finanzierung. Insgesamt kamen etwa 1.000 Zuschauer, fast die Hälfte davon wohl Deutsch-Griechen. Alle waren sich einig: Einen besseren und vielseitigeren Einblick in die zeitgenössische griechische Theaterszene, die Situation von Theatermachern und der theatralischen Aufarbeitung des Krisenjahrzehnts hätte es nicht geben können.
Klaus Bötig
Simos Kakalas in Bremen
Nuova Melancholia vor dem Theater am Goetheplatz