Im Winter kahl, vielleicht die eine oder andere übersehene Frucht aus dem vergangenen Jahr noch am Ast, gilt der Mandelbaum als ein Symbol für das Wiedererwachen der Natur. Im frühesten Frühling, oft noch im Winter, explodieren förmlich seine Knospen unter den ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Dicht zusammen stehen die weißen bis rosafarbenen Blüten, wenn sie sich öffnen.
Schaumkronen auf dem Meer gleich heben sie sich von einem endlos scheinenden tiefblauen Himmel ab, wie er sich nur um diese Jahreszeit zeigt. Und wenn ein milder Wind durch den Hain zieht, wird der betörend süße Duft wie in Wellen weitergetragen. Die reifen Früchte werden im Herbst geerntet, wenn ihre filzige Schale – eigentlich das (ungenießbare) Fruchtfleisch dieser Steinfrucht – aufplatzt. Letztere wird entfernt, so dass nur der Stein übrigbleibt. Der muss dann geknackt werden, um an den essbaren Samen, die eigentliche Mandel, zu kommen. Noch immer gibt es bei uns einen runden, aber harten Marmorstein mit einer Kuhle, ausgehöhlt vom Aufklopfen. Wenn man weiß, dass in Griechenland köstlichstes Marzipan und fein schmeckendes Mandelgebäck zu jeder Jahreszeit genascht wird, immer frisch gemacht, dann kann man sich vielleicht vorstellen, wie viele Mandelkerne er aufgebrochen hat, wie oft die Hand den schweren Stein erheben musste ... Schon lange vor Christi Geburt waren Mandeln sehr begehrt. Aber die Ernte der wilden Form war gering, und die Griechen mussten auf importierte Ware aus östlicheren Ländern zurückgreifen. 300 v. Chr. sank ein Schiff vor Zypern, beladen mit 10.000 Mandelsäcken. Es war ein 15 Meter langes Handelsschiff der Phönizier, die viele Jahrhunderte das alte Hellas mit den amýgdala versorgten. Amygdale hieß bei den Phöniziern vermutlich die Göttin, der der Mandelbaum geweiht war, bei den Griechen war es Kybele, die Große Mutter, die Fruchtbarkeitsgöttin aus Kleinasien vom Berge Ida. Als die Griechen dann die Kunst des Veredelns beherrschten und ein richtiger Anbau stattfand, lieferten sie Mandeln an die Römer, die sie als Griechische Nüsse bezeichneten. Als Mutter der Götter wurde Kybele später auch in Rom verehrt. Ihr Tempel stand angeblich da, wo heute der Petersdom auf dem Vatikanhügel erbaut ist. Bei Abbildungen von Maria und Jesus findet man noch die Mandorla, den mandelförmigen Heiligenschein. Nicht viel, was von der einstigen Verehrung des Mandelbaums, der der „Großen Mutter“ heilig war, übrigblieb. Aber immer noch tragen Kostbarkeiten wie Mandelöl, Mandelmilch und der Duft des Parfüms seine Schönheit in sich, und sein Blühen zeugt vom Wiedererwachen der Natur nach jedem Winterschlaf.
Der Mandelbaum ‒ Prunus dulcis ‒ (η) αμυγδαλιά (amygdaliá); altgr. (ἡ) ἀμυγδαλέα, ἀμυγδάλη (amygdaléa, amygdále)
Der Mandelbaum als Heilpflanze
Süße Mandeln wirken beruhigend auf den Magen. Das aus ihnen gewonnene, sehr fette Öl gilt als mildes Abführmittel. Kalt gepresstes Mandelöl ist eines der teuersten Öle in der Kosmetik, aber auch eines der hautfreundlichsten. Bei trockener, gereizter und schuppiger Haut, auch bei Neurodermitis, wirkt es pflegend. Als Lebensmittel wird das Öl kaum gebraucht, da es schnell ranzig wird. Der Pressrückstand bei der Ölgewinnung liefert die Mandelkleie, die zur Herstellung von Waschemulsionen und Gesichtsmasken für unreine Haut verarbeitet wird. Auch süße Mandeln enthalten Blausäure, welche den unverwechselbaren Mandelgeschmack liefert, aber in so geringen Mengen, dass sie nicht schädlich ist. 60 Bittermandeln sind tödlich, für Kinder reichen 5-12. Amygdalin ist dieser zuckerähnliche Stoff, der bei der Verdauung, schon im Mund beginnend, Blausäure abspaltet. Das kalt gepresste Bittermandelöl enthält keine Blausäure. Homöopathische Zubereitungen sind im Handel. Früher gab es in der Kinderheilkunde Zubereitungen aus süßem Mandelöl bei Husten. In der Pflanzenheilkunde des 16. Jahrhunderts kannte man 38 verschiedene Krankheiten, die durch Mandeln und deren Auszüge geheilt werden könnten. Dioskurides schrieb zwei ausführliche Kapitel zum Mandelöl und zum Mandelbaum. Interessant ist die Verwendung der gekochten Wurzel, die Sommerflecken im Gesicht vertreiben soll.
Rezept für ein „Amygdalotá“
Zutaten: 6 Wassergläser voll gemahlener Mandeln, 2 Gläser mit feinem Zucker, Rosenwasser (gibt es in der Apotheke oder aus den duftenden Rosenblütenblättern des eigenen Gartens), Puderzucker, ev. Zimt
Mandeln und Zucker gut mischen. Vorsichtig und langsam Rosenwasser dazugeben. Gleichzeitig mit den Händen mischen und kneten, um das richtige Gefühl für die Menge zu bekommen. Es darf nicht zu feucht werden! Dann kleine Kugeln, Sterne oder Herzen formen, alles was die Marzipanmasse und die Phantasie hergeben. Zum Schluss Puderzucker mit einem feinen Sieb darüber streuen.
Möchte man die feine, helle Art des Mandelmarzipans, so muss erst die braune Haut der Mandeln entfernt werden: Samen mit kochendem Wasser überbrühen und braune Haut durch leichtes Drücken abziehen. Die abgezogenen Mandeln 1-2 Tage gut durchtrocknen lassen, dann fein mahlen und im Verhältnis 3:1 mit Zucker mischen und weiter so verfahren, wie oben beschrieben.
Aus dem Buch: „Garten der Götter - Pflanzen am Mittelmeer: Heilkraft, Mythos, Geschichten & Rezepte“, das gerade in 2. überarbeiteter Auflage im Verlag der Griechenland Zeitung erschienen ist.