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„Was Hampton für New York ist, ist mein Spetses für Athen“

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„Was Hampton für New York ist, ist mein Spetses für Athen“
Nur einen Steinwurf von der Vier-Millionen-Metropole entfernt warten Spetses, Hydra und Methana mit Luxus und Abenteuer auf.
 
Die Küstenstraße, die Spetses-Stadt nach einer etwa 30 Kilometer langen Rundfahrt mit sich selbst verbindet, führt uns durch eine liebliche Hügellandschaft, die mit grünen Pinien und harzig duftenden Aleppokiefern bewachsen ist. Ab und zu kommt uns ein mit Holz beladener dreirädriger Mini-Pickup entgegen oder ein verbissen kämpfender Mountainbiker. Nach der kleinen Kapelle biegen wir mit unseren Leih-Vespas links ab in einen staubigen Weg, der zum Anargyri-Strand führt und halten wenig später vor dem wirr dekorierten Garten der Taverne Tassos. Das Meer changiert zwischen glänzendem Silber und karibischem Grün. Monika und ich gehen etwa einen Kilometer über den Kiesstrand und stoßen dann nach einer Treppe im schroffen Fels auf das Schild „Cave“. Es handelt sich um eine von der Brandung ausgewaschene Tropfsteingrotte, die Bekiri-Höhle, die vom gebrochenen Tageslicht dramatisch inszeniert wird. In der Mitte befindet sich ein kleines Bassin, in das tropfenweise Wasser von einem mächtigen Stalaktyten hineinfällt. Ist man verliebt, so eine alte Inselsage, und trinkt von jenem Wasser, dann wird dieses Gefühl für immer anhalten. 
Liebestrunken setzen wir uns in der Taverne unter einem Palmwedelschirm. Der Kellner klammert tatenfröhlich eine Papiertischdecke an. Als wir Wein bestellen, verschlechtert sich seine Laune schlagartig. Wir hätten heute schon gegessen, begründet Monika. „Ja, und wieso habt ihr denn da nicht gleich was getrunken?“ lautet seine nächste Frage. Schon Henry Miller fiel 1939 bei seiner legendären Reise durch den Saronischen Golf der sanfte Wahn der Inselweltbewohner auf.
 
Die Fata Morgana hatte Schwingtür und Rezeption
 
Vor zwei Tagen waren wir mit der Fähre aus Piräus angekommen. Ein aufgeregter Grecoyankee auf Heimatbesuch meinte: „Was Hampton für New York ist, ist mein Spetses für Athen.“ Ich war noch nie in Hampton, aber es war eine großartige Passage, mit einem kurzen Halt auf Ägina, dann ging es weiter durch die spektakuläre Meerenge von Poros, vorbei an dem kahlen Felshaufen von Dokos, bis wir dann schließlich auf die für griechisches Inselleben völlig atypische, pompöse und festlich illuminierte Fassade des Hotels „Poseidonius“ zusteuerten. Dessen surreale Erscheinung im Zentrum der 3000-Einwohner-Stadt wirkt so, als ob das Negresco in einen Diavortrag über griechische Inseln gerutscht wäre. Doch die Fata Morgana hatte tatsächlich eine Schwingtür und eine Rezeption unter dem mächtigen Habsburger Lüster. Ganz offenbar tragen Schuldenschnitt und Eurodesaster nach überfetten Jahren dazu bei, dass Hellas wieder mit verdaubaren Tarifen operiert. Also bezogen wir ein fürstliches Zimmer mit Blick über Hafen und Meer. Ein gewisser Reeder namens Sotiris Anargyrou, der eine Menge Geld machte in den USA mit Virginia-Tabak, kam um 1910 auf seine Insel zurück und baute für seine Jet-Set-Royals ein überdimensioniertes Jagdschloss, einen neuen Treffpunkt der High-Society mit Spa, Orchester, Glücksspiel, Tanz und vor allem für die herbstliche Jagd auf Zugvögel. Dafür ließ er 100.000 Pinien anpflanzen, die dem Federvieh Schutz und Schatten vortäuschen sollten. So zügig dieses abnahm, so rasant vermehrte sich die Anzahl der Bäume, was die heutige Vegetation von Spetses erklärt. Zum Steinwaygeklimper knabberten ein paar Vertreter von jungem und altem Geld Erdnüsse und nippten am Gin-Tonic und verbreiteten, umgeben von kühn-moderner Wandkunst, mannshohen Pflanzen und antikem Mobiliar, die Stimmung einer mäßig besuchten Gatsby-Party. Vor dem Portal warteten bunt bemalte Pferdekutschen auf Passagiere, denn auf Spetses ist das Autofahren weitgehend verboten; ich dachte kurz an Doktor Schiwago, der in einen falschen Film geraten ist.
 
„Das ist Folklore im besten Sinne“
 
Spetses-Stadt ist relativ schnell erschlossen. Neben dem neuen Hafen befindet sich der Dopia-Platz mit den handelsüblichen 08/15-Cafes, Bars, Ouzerien und Tavernen, dem sich eine etwa ein Kilometer lange Zone aus neuen wie alten Geschäften und Boutiquen anschließt. Dazwischen stehen immer wieder hübsche Patrizierhäuser, mit hohen Mauern versehen und behangen mit türkisfarbenen Bougainvilleas. Vor vielen der alten Reedervillen sind akkurat gestaltete Bodenmosaike aus bunt bemalten Kieselsteinen angelegt. Diese erzählen oft in einer Art naivem Dreiercomic eine sehr einzigartige Familiensaga. Das ist Folklore im besten Sinne, typisch und  schön. In den Jasminduft mischt sich jener von Zweitakterbenzin, denn ab neun Uhr abends knattert die ganze Insel aus allen Ecken und Enden zusammen ins ampellose Zentrum; zum Einkauf, zur Volta, zur Brautschau oder einfach, um der massiven Langeweile ein Schnippchen zu schlagen. 
Am Alten Hafen, zwischen Leuchtturm, Agios Nikolas-Kirche und den kleinen Werften, wo die Bootsbauer wie vor zwei Jahrhunderten prächtige Kaikis zurechtzimmern, brummen bis weit nach Mitternacht die Bars. Auf den unzähligen Terrassen werden Mykonos-Cafe-del-Mar-Sound, fetziger Santana und melodischer Griechenrock gespielt.
Am letzten Tag besuchen wir das Museum der Bouboulina. Madame Bouboulina, das ist die Jeanne d’Arc Griechenlands, die zornige Underground-Amazone, das nationale Symbol für Befreiung und Vaterlandsliebe. Jedes hellenische Dorf hat eine nach ihr benannte Straße und ihr Portrait war auf den 500-Drachmen-Scheinen abgebildet. Beim großen Aufstand 1821 gegen die türkische Besatzung warf die Waffenschmugglerin, Erotomanin und siebenfache Mutter ihr gesamtes Vermögen in den Ring, spielte mit ihrer 18-Kanonen-Korvette „Agamemnon“ die entscheidende Rolle in den saronischen Seeschlachten und demonstrierte den hellenischen Maulhelden, wie man Revolutionen anzettelt und mit Erfolg zu Ende führt. 
 
Hydra ragt aus dem Meer wie „ein versteinerter Laib Brot“
 
Dann kommt der Freitag und wie aus dem Nichts fallen die vielbesungenen „reichen Athener“ ein. Die Wassertaxis zum nahen Peloponneshafen rotieren wie Seilbahnen, windschnittige Schnellboote rasen herbei, überall blitzen Gold auf und teure Guccibrillen, und es fehlen nur noch Walkürenritt-Helicopter und Bargusin-Zobelmäntel. Es ist Zeit jetzt weiterzureisen, die paar Seemeilen hinüber nach Hydra. „So long Marianne“, trällert Monika, lehnt sich unten am Fährhafen gegen eine Laterne und liest aus ihrem zerfledderten Reise-Miller vor: „...wollte man über Hydra erzählen, müsste man ein Buch über ein Volk von Wahnsinnigen schreiben, und das Wort – tollkühn – müsste mit feurigen Lettern ans Firmament geschrieben werden. Hydra ist ein Felsen, der aus dem Meer ragt wie ein riesiger versteinerter Laib Brot ...“ 
 
Insel-Profis beim Frappé und Tavlispiel
 
In so einem Flying Dolphin sitzt man wie in einem rasenden U-Boot und die sanften Schläge machen rasch mürbe. Deswegen stehen wir dort angekommen schnell auf der Rampe und betrachten diese erleuchtete Puppenstube aus weißen Häuschen, die wie die ansteigenden Sitzreihen im nahen Epidauros rund um den sichelförmigen Naturhafen angeordnet sind. Über der wundersamen Kulisse liegt der Halbmond wie ein vergessener Mandarinenschnitz. Ungefragt landet unser Gepäck auf einem Eselsrücken. Auf Hydra existiert außer einem Müllwagen definitiv kein Auto, und so schnallen flinke Hände all die Koffer, Hühnerkäfige, Zementsäcke und Fensterrahmen auf die Holzsättel der bunt verzierten Lasttiere. Wir schicken Muli und Führer ins nahe Leto-Hotel und bleiben am Hafen. 
Zwischen obszönen Yachten mit russischer Beflaggung schiebt sich ein Fischerkaiki mit seinem halb gefüllten Korb. „Money for nothing“ dröhnt es aus einer schummrigen Matrosenkneipe. Weitere berittene Mulis eilen herbei, denn eine neue Fähre kündigt sich an. Hunderte spindeldürre Katzen lauern auf platzende Tüten. Menschen umarmen sich zur Begrüßung oder zum Abschied. Vor dem Campanile der Hafenkirche hat sich ein uniformierter Musikchor aufgebaut. Ein rauchender Pope sitzt unter einem Rauchverbotsschild und betrachtet sich die miniberockten Sängerinnen. 
In den hübschen Bars mit den hübschen Korbstühlen thronen hübsche Leute, die für griechische Inseln typischen kosmopolitischen Künstlercliquen mit beblumten Strohhüten, grauen Bärten, bunten Späthippietrachten, verhaltensgestörten Hunden und lautem Insider-Gelächter. Daneben sitzen die mit allen Wassern gewaschenen Hydra-Profis beim Frappé und Tavlispiel und ignorieren die Neuankömmlinge mit gespannter Neugier. Es ist wie bei einer Stuttgarter Modeshow. Wir nehmen in der Pirate’s Bar Platz und passen uns zügig dem voyeuristischen Posenkodex an. 
 
Von Wolf Reiser
 
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