Der Flüchtlingsgipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel brachte Athen auf dem Papier eine gewisse Entlastung – in der Praxis war bisher allerdings noch kaum etwas davon zu spüren. Beim Treffen hatten sich die 28 EU-Staats- und Regierungschefs mit dem türkischen Premierminister Ahmet Davutoglu darauf geeinigt, dass Griechenland ab sofort Flüchtlinge, die illegal über die Ägäis nach Griechenland kommen, in die Türkei zurückschicken kann. Für jene aber, die in Griechenland Asyl beantragen möchten, muss vor allem noch eine entsprechende Infrastruktur ins Leben gerufen werden.
Geschätzt werden an die 4.000 Experten benötigt, um diese Aufgabe bewältigen zu können. 2.300 von ihnen sollen Beamte aus anderen EU-Staaten sein, darunter auch von der Frontex (Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der EU-Mitgliedstaaten) und des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO). Vorgesehen sind vor allem Aufsichtspersonal sowie rund 400 Asyl-Experten und weiteren 400 Dolmetscher. Die Kosten für diese Maßnahme werde für die kommenden sechs Monate auf etwa 300 Mio. Euro veranschlagt; 30 Mio. Euro soll das griechische Militär erhalten, um die Ankömmlinge betreuen zu können. Dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zufolge sollen pro Monat etwa 6.000 Flüchtlinge in andere EU-Mitgliedstaaten umquartiert werden. Derzeit halten sich mehr als 50.000 Migranten in Griechenland auf.
Ministerpräsident Alexis Tsipras wies am Sonntag darauf hin, dass es bei der Anwendung der getroffenen Vereinbarung Schwierigkeiten geben könnte. Viele Punkte müssten noch konkretisiert werden. Damit eine reibungslose Koordination gewährleistet ist, wurde ein Regierungsrat gebildet. Vorsitzender ist Tsipras persönlich. Aufgaben des Gremiums sind etwa die Ausarbeitung gesetzgeberischer Initiativen und die Kontrolle der Umsetzung der Vereinbarungen. In diesem Rat sitzen die Minister für Verteidigung, Justiz, Äußeres, Handelsschifffahrt und Inselpolitik sowie Staatsminister Nikos Pappas. Kooptiert, aber ohne Stimmrecht, sind die Chefs des Generalstabs, der Polizei und der Küstenwache sowie der Generalsekretär der Regierung.
„Die europäische Option ist die bessere“
Trotz der mit der Türkei getroffenen Vereinbarung hält der Zustrom von Flüchtlingen auf den griechischen Inseln in der Ostägäis nahezu unvermindert an; am Sonntag und Montag waren es insgesamt mehr als 3.000 Menschen, die über das Meer kamen. Unterdessen trafen die ersten 24 Beobachter aus der Türkei in Griechenland ein. Eingesetzt werden sie auf den Inseln Lesbos, Samos, Leros und Kos. Parallel dazu wurden mehrere griechische Beobachter in die Türkei entsandt. Ziel ist es, die Koordination zwischen beiden Staaten bei der Eindämmung der Flüchtlingsbewegung zu koordinieren.
Dass die Umsetzung der in Brüssel getroffenen Vereinbarung nicht einfach sein werde, konstatierte Ministerpräsident Alexis Tsipras am Montag noch einmal in Athen während eines Treffens mit dem für Migrationsfragen zuständigen EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. Trotz aller zu erwartenden Schwierigkeiten sei die europäische Option die bessere, sagte er. Ansonsten sei man konfrontiert „mit einem Domino einseitiger Aktionen“. Der für Migrationspolitik zuständige stellvertretende Minister Jannis Mouzalas erklärte, dass die Regierung das Beste getan habe, was man angesichts eines derart großen internationalen Problems habe tun können. Nun müsse man ein gemeinsames nationales Engagement zeigen, um die Vereinbarungen umzusetzen. Was das Flüchtlingslager bei Idomeni im Norden Griechenlands betrifft, so brachte er die Eischätzung zum Ausdruck, dass sich dieses langsam aber sicher von selbst auflösen werde. Es brauche einige Zeit, ehe man die Menschen überzeugen könne.
Im Parlament forderte Mouzalas die Opposition am Montag dazu auf, die Vereinbarung nach Kräften zu untestützen. Prinzipiell begrüßte auch die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) die in Brüssel gefundene Regelung. Im gegenteiligen Fall wären die „Phänomene Idomeni und Piräus gigantisch angewachsen“. Allerdings handle es sich um eine ausgesprochen „komplizierte Vereinbarung“, sagte der ND-Pressesprecher Jorgos Koumoutsakos. Es sei fraglich, ob sie tatsächlich umgesetzt werde. Die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge in Griechenland leben müssten, seien eine Provokation für das Land selbst, aber auch für (das gesamte) Europa.
Jan Hübel
Unser Foto (© Eurokinissi) zeigt Ministerpräsident Alexis Tsipras (r.) am Montag während der Begegnung mit dem für Migrationsfragen zuständigen EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos.