Wir schreiben das Jahr 1999. Es ist Juni und noch immer haben wir kein Reiseziel für unseren Urlaub. Wir wälzen Kataloge, wägen ab und entscheiden uns: für Griechenland. Last Minute 3* Hotel an der Olympischen Reviera. Unsere erste Bekanntschaft mit Griechenland war gemacht.
Die Menschen hier waren alle sehr gastfreundlich, die Sonne schien jeden Tag und wir hatten einen wunderbaren Blick auf den Olymp. Okay, auf der Fahrt mit dem Taxi nach Platamonas beschlich uns kurzzeitig das nicht unbegründete Gefühl, dass wir auch hier sterben werden und dies gleich bei unserem ersten Griechenlandaufenthalt, aber der Taxifahrer hatte es sich doch noch überlegt und wieder erwarten das Auto in der Kurve nicht zum umkippen gebracht. Also kehrten wir gesund nach Deutschland zurück, aber für uns stand fest: "Wir kommen wieder"!
Seid dem verbringen wir jedes Jahr unsere Sommerferien in Griechenland. Wir fühlen uns zu Hause, haben Freunde gefunden und lieben das Land und die Menschen.
Eines Tages sagte mir meine Tante, es wäre kein Wunder , dass es mir in Griechenland so gut gefällt, schließlich ist ja mein Urgroßvater ein Grieche! Ich konnte es nicht fassen, mein Urgroßvater soll ein Grieche gewesen sein? Wie kommt ein Grieche Anfang des 20. Jahrhunderts nach Görlitz? Denn dort hatte meine Urgroßmutter zu dieser Zeit gewohnt. Ich fragte meine Tante und auch meinen Vater (mein Großvater war leider schon verstorben) was sie darüber wußten, aber leider kannten sie nicht einmal seinen Namen.
Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben, ich wollte wissen wer mein Urgroßvater war! Also ging ich auf das Standesamt in Görlitz und wollte aus der Geburtsurkunde meines Großvaters erfahren, wer sein Vater war. Aber so leicht sollte ich es nicht haben. In den Unterlagen stand nur: "Vater unbekannt". Wie nun weiter? Wir recherchierten im Internet und stießen auf eine unglaubliche Geschichte. Von 1916-1918 war das 4. griechische Armeekorps, ca 6400 Soldaten und Offiziere, in Görlitz als Gastgefangene interniert. Das Lager verfügte über einen exterritorialen Status, die Soldaten konnten sich frei bewegen, sogar eine griechische Zeitung wurde mit Hilfe eines Görlitzer Verlagshauses gedruckt. Also gab es zu der Zeit Griechen in Görlitz! Aber wie sollten wir aus 6400 meinen Urgroßvater finden? Wir wußten ja noch nicht einmal wie er heißt!
Mein Mann Klaus hat die wunderbare Idee, dass vielleicht in den Wehrmachtsunterlagen von meinem Großvater, die im Bundesarchiv in Berlin lagerten, etwas zu finden sein könnte. Es dauerte nicht lange und ich hielt einen Umschlag mit den kopierten Unterlagen in den Händen. Und wirklich, mein Großvater schrieb, sein Vater ist IOANNIS VAROUTIS , Armeegeistlicher (Diese Angabe ist sehr bedeutend für den weiteren Verlauf unserer Suche), geboren 1888 in Ayvalik. Verstorben 1922 (genaue Umstände nicht bekannt) auf der Rückreise nach Griechenland (er wollte Papier besorgen, für die bevorstehende Hochzeit mit meiner Urgoßmutter). Jetzt hatten wir Gewissheit: mein Opa hatte einen griechischen Vater!
Nun hieß es mehr über ihn heraus zufinden. Aber schon der Geburtsort Ayvalik lies unsere Suche wieder ins Stocken geraten. Niemand unserer Freunde und Bekannten in Griechenland wußte mit diesem Ort etwas anzufangen. Bis eines Tages ein kleiner Beitrag über eine kürzlich verstorbene Schriftstellerin, in der Griechenlandzeitung erschien. Diese war geboren in Ayvalik, gegenüber der Insel Lesbos, in der heutigen Türkei, "unser" Ayvalik war gefunden.
Mittlerweile waren einige Jahre ins Land gegangen und auch der MDR interessierte sich im Rahmen der Sendereihe "Spur der Ahnen" für unsere Geschichte und so gingen wir gemeinsam auf die Suche nach meinen griechischen Wurzel. Wir besuchten zusammen Herrn Gerasimos Alexatos in Berlin, der Autor des Buches "Die Griechen von Görlitz" . Er fand, durch den Hinweis "Armeegeistlicher" einen Artikel in besagter griechischer Zeitung und somit war klar, er war ein Diakon. Und das sollte noch nicht alles sein! Da es Anfang 1918 nur noch 2 Geistliche in dem Lager gab, einen Diakon (mein Urgroßvater) und einen Priester konnte mir Herr Alexatos auch ein Foto von meinem Urgroßvater zeigen! Nun waren wir so weit gekommen, jetzt wollte ich auch noch wissen, ob es noch Verwandte gibt. Und tatsächlich sollte auch noch dieses Puzzelteil zum Gesamtbild hinzugefügt werden können. Der MDR fand einen Nikos Varouis (sein Großvater und mein Urgroßvater waren Geschwister) und ich war sehr aufgeregt, als ich im Rahmen der Dreharbeiten Ihn und seine Famlie das erste mal in die Arme schließen konnte.
Seit dem ist schon wieder ein Jahr vergangen und wir durften erfahren, dass die Familie Varoutis noch viel größer ist.....
Vielleicht wird sich in nächster Zeit auch noch das letzte Puzzelteil fügen und ich kann erfahren, unter welchen Umständen mein Urgroßvater ums Leben gekommen und wo er begraben ist. Aber das spielt jetzt nur noch eine untergeordnete Rolle, da mich mittlerweile nicht nur die Liebe zum Land, sondern auch die Liebe zu meiner griechischen Familie mit Hellas verbindet.
Gesine Räbiger
Dieser Beitrag sowie die Fotos wurde uns im Rahmen unseres Leserwettbewerbes zum zehnjährigen Jubiläum der Griechenland Zeitung von Gesine Räbiger zugeschickt. Wir möchten uns dafür ganz herzlich bedanken!