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Alles bleibt gleich auf Paros

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Alles bleibt gleich auf Paros

Jeden Tag Eieromeletten, weil es sie von neun Uhr an in jeder Taverne gibt, weil sie billig sind und trotzdem sättigend, und die einzige Abwechslung dazu sind Papadopoulous-Kekse aus dem Supermarkt, dem einzigen Geschäft in Alyki. Die Omeletten, das Café, die ausgestorbene Strandpromenade mit den mürrischen Griechen und verrammelten Geschäften, eigentlich ganz Alyki und ganz Paros sind meiner Mutter gehörig verleidet. Besonders seit sie beim Aufwachen eine Zecke an ihrem Kinn gefunden hat, als sie und ihr Freund in einer verlassenen Ziegenhütte übernachtet haben.

Sie sind zufällig nach Paros gelangt, in Athen haben sie eine Blue-Star-Fähre bestiegen und an einem Inselhafen willkürlich verlassen, nachts um zehn sind sie in Paroikia angekommen und haben am Strand im Schlafsack übernachtet. Am nächsten Morgen haben sie – natürlich nach einem Omelette – die Busse studiert, die in alle Winkel der Insel fahren: Levkes, Naoussa, Drios, und Alyki. Meine Mutter wusste, dass sie weg wollte aus den grossen Städten und in einen kleinen Ort, wo sie die Menschen kennen lernen konnte. Sie hat die Leute beobachtet, wie sie in die Busse steigen, und sich für denjenigen entschieden, in den nur Schüler und alte Griechinnen eingestiegen sind, keine Touristen, und der nach Alyki gefahren ist. Aber jetzt, so erklärt sie dem Cafébesitzer Kosta bei ihrem Eieromelette, wollen sie wieder weg, eine andere Insel ausprobieren. Das ewige Schlafen am Strand ohne Dusche und richtiges Essen, das ist nicht die Gemütlichkeit, die sie sich vorgestellt haben, es ist jeden Tag das Gleiche, und Kontakt mit Griechen haben sie auch keinen.

„Geht doch zu Antonio“, sagt Kosta, „das ist ein Freund von mir“. Er schickt meine Mutter und ihren Freund mit einem Gruss und der Wegbeschreibung los – und so hat vor fünfunddreissig Jahren die Geschichte begonnen, weshalb ich mit meiner Familie jedes Jahr auf der gleichen Insel im gleichen Dorf Ferien mache. Antonio, ein älterer Mann, der die Sommermonate in seinem Häuschen am Meer verbringt, ein Zimmer bewohnt und die anderen vermietet, lässt meine Mutter und ihren Freund für ein paar Drachmen das Duschhäuschen benutzen und kocht ihnen Kaffee. Bald zahlen sie nichts mehr für die Trauben, Omeletten und Fischsuppen, sie sitzen mit ihm auf dem grossen Balkon, und er nimmt sie mit, wenn er mit dem Boot fischen geht.

Ich sitze auf dem flachen Dach des Duschhäuschens, meinem liebsten Aussichtspunkt, den Rücken an die warme Mauer gelehnt, und schaue aufs Meer hinaus. Meine Haare sind salzverklebt, und zwischen den Zehen reiben sich Sandkörner, die ich später unter der Dusche zwar abspülen werde, aber schon morgen vergrabe ich die Füsse wieder im Sand, es ist jeden Tag das Gleiche. Am Nachmittag sitzen alle auf dem Balkon und plaudern, ich erinnere mich sehr gut daran, wie Antonio jeweils für alle Kaffee gekocht hat, in den kleinen Tässchen, in denen am Boden der Satz übrigbleibt, dazu Trauben und Wasser aus seinem kleinen Kühlschrank. Er hat geraucht, alle haben auf den Plastikstühlen gesessen, die Freunde aus Deutschland, Italien, der Schweiz, die jedes Jahr wiederkommen, und mein Bruder und ich sind auf dem Plattenboden umhergekrochen und haben die Ameisen verfolgt.

Vor ein paar Jahren ist Antonio gestorben, und niemand kann den herzlichen Mittelpunkt auf dem Balkon ersetzen, aber die alten Freunde kommen noch immer, Antonios Sohn und dessen Frau kümmern sich um die Vermietung der Zimmer und haben alles renoviert. Abgesehen davon bleibt also alles gleich. Die Ferientage verfliessen mit Baden in der kleinen Bucht unterhalb von Antonios Haus, wo ich schwimmen gelernt habe, und meine Mutter mit ihrem Freund übernachtet hat, wir essen jeden Tag Brot mit Honig zum Frühstück, Brot mit Käse am Strand und Brot mit Feta und Oliven am Abend. Es ist vielleicht langweilig, aber mir wird nie langweilig, weil wir für den nächsten Abend einen guten Fisch im Restaurant organisieren müssen, der Koch zeigt uns in der Küche die Schubladen mit Eis, und der Besitzer nimmt uns mit auf ein Fischerboot im Hafen, wo er umherhüpft und aus den vermeintlich leeren Kisten einen grossen Fisch hervorzieht.

Sobald sich Gewohnheit einstellt, und man ein ganz alltägliches Leben führt mit Einkaufen, Kochen, Eier von den Hühnern holen und Freunde besuchen, hat man immer etwas zu tun. Wir sitzen bei Maria in der Küche, weil wir eine Bratpfanne ausleihen wollten, sie erzählt uns, was im letzten Jahr passiert ist, wer gestorben ist, wie das Café läuft, und füttert dazu das Baby. Meine Mutter konnte bei ihrem ersten Besuch noch nicht in den Alltag der Griechen hineinblicken, aber weil sie immer wieder gekommen ist, sind wir jetzt verwurzelt.

Aeschlimann

Dieser Beitrag  wurde uns im Rahmen unseres Leserwettbewerbes zum zehnjährigen Jubiläum der Griechenland Zeitung von Frau Aeschlimann zugeschickt. Wir möchten uns dafür ganz herzlich bedanken!

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