Von Eleonore Hillebrand, 2009. „Kimolos, mein Paradies“, dieses Bekenntnis steht in griechischen Buchstaben, in ebenso typisch griechischem Blau an eine kleine weiße Mauer gemalt. Dieser Auspruch ist der Anfang zu einem zweiten Teil, der die ganze Sehnsucht der durch mancherlei, vor allem auch türkische Fremdherrschaft vertriebenen Kimolaner nach der Heimat in sich trägt, nämlich „…käme ich nach Psathi, würde ich deinen Sand küssen.“
Von griechischen Freunden bekam ich immer wieder Fotos, die mich neugierig machten. Zweimal hatte ich schon einen Anlauf genommen, die Reise nach Kimolos zu buchen. Es war immer etwas dazwischen gekommen. Und so ganz leicht war eine Passage dorthin auch nicht zu bekommen, die die Reisezeit möglichst kurz hielt; denn meine Urlaubszeiten waren nur langfristig planbar und knapp bemessen. Besonders schwierig war es, einen Platz im Cityhopper von Athen zur Insel Milos zu ergattern, in der griechischen Ferienzeit, Juli, August bis Mitte September, schier unmöglich.
In einem Neusser Reisebüro traf ich auf eine griechische Reisekauffrau, die Kimolos gar nicht kannte. Sie war vom Festland aus dem griechischen Norden gebürtig. Aber dann packte sie der Ehrgeiz, als ich von meinen vergeblichen Versuchen berichtete, meine Sehnsuchtsinsel zu erreichen; denn das war sie inzwischen geworden. Sie schickte mich fort, meine anderen Besorgungen in der Stadt zu erledigen und als ich zurückkam, schwenkte sie ihren Bildschirm zu mir herüber und zeigte mir die Ergebnisse ihrer Recherchen. Hoffnung, endlich zum Ziel zukommen, keimte in mir auf. Und tatsächlich, noch ein paar Klicks und ich hatte Flug- und Hotelbuchung in den Händen.
Am 1. September flog ich also zunächst von Düsseldorf aus nach Athen. Am dortigen Flughafen Venizelos war im nahen „Sofitel“ gegen Vorkasse (155,- Euro) für mich ein Zimmer für eine Übernachtung gebucht. Ich konnte das Hotel bequem zu Fuß mit Gepäck aus der Ankunftshalle erreichen. Erste freundliche griechische Gastlichkeit mit einem kleinen Schönheitsfehler erfuhr ich.
Neben Griechisch selbstverständlich sprach man nur Englisch und Französisch, kein Deutsch. Alle Informationen, und das auch am Flughafen, der vor der Olympiade von 2000 von einer deutschen Firma erbaut wurde, nicht Deutsch, nur Griechisch, Englisch und Französisch. Der Flughafen steht, man bedenke, immer noch in deutscher geschäftlicher Verwaltung. Viele Deutsche lieben Griechenland aus den unterschiedlichsten Gründen und reisen gern dorthin. Und dann kein Wort Deutsch beim Empfang? Im Flugzeug war es diesmal anders, da gab es auch Informationen in Deutsch.
Bei der Rückreise traf ich in dem genannten Flughafen-Hotel auf eine junge Hotelkauffrau an der Rezeption, die gerade Deutsch lernte und es auch schon bemerkenswert gut sprach. Ihr erzählte ich von meinem Befremden und der Hotelleitung später auch.
Mir blieb nichts anderes übrig als inzwischen mein Schulenglisch zusammen zu kramen und so kam ich mit einigen zusätzlichen Brocken Griechisch und einem möglichst charmanten Lächeln besser zurecht als gedacht.
Später erfuhr ich, welches Trauma vor allem im Zweiten Weltkrieg durch Deutsche in den griechischen Seelen entstanden ist und bis heute nachwirkt.
Nach einem bescheidenen Frühstück am andern Morgen – es gab drei Kategorien zu unterschiedlichen Preisen - mit duftendem Kaffee, von sehr freundlichen Bedienern serviert, checkte ich aus und begab mich zügig zum Flughafen zurück; denn der Flug von Athen nach Milos beunruhigte mich, weil ich ihn noch nie geflogen war und weil er angeblich so schwer zu bekommen war. Die Formalitäten erledigten sich dann unerwartet komplikationslos, und mit einem Bus ging es zur Boardingzeit zum weit draußen wartenden Propellerflieger mit der sichtlich kleineren Platzkapazität. Nach einer winzigen Verspätung, startete er lautstark und brachte Griechen und eine kleine Zahl Touristen über silbrig glitzerndes Meer und karge Berge in knapp 40 Minuten in die Mitte der Insel Milos.
Der Flughafen besteht einzig as einer Piste und einer ziemlich leeren, klimaanlagegekühlten An- und Abflughalle mit ein paar Sitzgelegenheiten. Draußen in der Mittagshitze steht glücklicherweise eine Reihe ebenfalls klimatisierter Taxis, die in einer guten viertel Stunde in belebtere Teile der Insel der Aphrodite, in die Plaka oder nach Pollonia, in den kleinen malerischen Fischerhafen, bringen, von dem aus eine kleine Autofähre nach Kimolos ablegt.
Jetzt kann sich der Tourist durch Mieten eines Gefährts motorisieren, wie er es für seinen Aufenthalt auf Kimolos für nötig hält. Wer die Insel wirklich kennenlernen will und nicht Dauerläufer oder passionierter Wanderer ist, ist gut beraten, sich in Milos oder Pollonia mit einem motorisierten Gefährt auszurüsten. Die einzige gelegentliche Busverbindung auf der Insel reicht dazu nicht aus. Man geht zu Fuß oder reitet auch noch auf dem Esel – als Tourist leider nicht.
Manche Bauern fahren einen kleinen Lastwagen oder Traktor mit einem ebenso kleinen Anhänger beim Transport von Waren oder zur Feldarbeit. Die jungen Leute malträtieren ihre Motorräder – auch in der Nacht noch.
Natürlich fahren die Einheimischen auch einen PKW, immer schön weiß überpudert von der kreidigen Erde. Kimolos ist vulkanischen Ursprungs mit vielen Gesteinsformen. Glatt geteerte Straßen gibt es nur wenige.
Auf dem Flughafen von Milos hatten mich meine griechischen Freunde in Empfang genommen, das Taxi schon geordert, das uns nach Pollonia brachte. Auf ein Glas Wasser und eine Cola kehrten wir unter Tamariskenbäumen – dort Armires genannt - in eine Taverne nahe der Anlegestelle ein. Dann näherte sich auch schon das Fährboot, das uns in zwanzig Minuten nach Psathi, den Hafen von Kimolos, bringen sollte. Ich ging auf das Oberdeck, ließ den warmen Wind durch mein Haar fahren und schaute gebannt auf das einmal türkis, dann wieder dunkelblau schimmernde Meer, dazwischen immer nach den weißen flachdachigen Häusern des Hafens ausspähend, die ich von Fotos schon so gut kannte. Gelandet wartete ein weiteres kleines Empfangskomitee auf mich. Ich fühlte mich
geehrt. Mein Koffer wurde auf das Dach eines betagten aber funktionstüchtigen Jeeps geladen und auf ging es hinauf ins einzige Dorf, der Insel - das Chorio – mit gleichem Namen, Kimolos, benannt nach seinem ersten Siedler. Zu Fuß mit Gepäck wären die gut achthundert Meter Anstieg ein wenig mühseliger gewesen.
Kimolos bietet keine Hotels, schon gar keine Hotelburgen. Das haben die Insulaner bisher erfolgreich verhindern können. Die Investoren sitzen aber angeblich schon in den Startlöchern. Ganz verstreut über Dorf und Insel gibt es Pensionen. Die meine hieß „Pharos“, der Leuchtturm, und lag direkt am Eingang des Dorfes vom Hafen Psathi aus gesehen. Ich traute meinen Augen kaum als ich die Treppe in den ersten Stock zu den modernen neuen Appartements hinaufstieg und von der gemeinsamen Terrasse aus das unvergleichliche Panorama von Meer, Teile des Hafens und die Nachbarinsel Polyegos vor mir liegen sah. Und das nun für zwei Wochen, und ich kann versichern, ich habe es jeden Tag, immer aufs Neue genossen mit unvergleichlichen Sonnenaufgängen am Morgen und den Lichtern im Hafen bei Dunkelheit. Sogar beim Duschen konnte ich unentwegt aufs Meer sehen. Unten am Berg entdeckte ich auf einer Anhöhe eine zu Ferienappartements ausgebaute weiß schimmernde Mühle, natürlich ohne ihr so typisches Stangenrad mit den Segeltuchdreiecken. Sie ist zu einer Art Hotel umgebaut. Rechts davon auf einer weiteren Höhe drei Bauruinen, die die Anmutung von kleinen Göttertempeln hatten; denn über das Betonpfeilergerippe waren die Bauarbeiten nicht hinaus gekommen, Baukörper, die ich bei späteren Griechenlandaufenthalten öfter entdeckte.
Man baut, wenn man Geld hat. Das kann viele Jahre dauern. Ich war aber bereit, sie Göttertempel sein zu lassen.
Solche Bausünden lassen meine Freunde ärgerlich werden; denn das Dorf steht quasi unter Denkmalschutz. Es sind nur die traditionellen kubischen Häuser erlaubt, maximal zweigeschossig, weiß gekälkt – inzwischen auch mit chemisch erzeugter weißer Farbe versehen - und mit Türen, Fenstern und Fensterläden in blauer Farbe gestrichen. Erlaubt sind noch die Farben Grün und Braun. Letztere vor allem für Fenster, Balkonbalustraden und Fensterläden von Häusern, die nicht Wohnhäuser sind, wie das Heimatmuseum meiner Freunde. Da das alles auf dem Papier steht aber wenig kontrolliert wird, kommt es immer wieder zu Ausrutschern, die den Unwillen meiner Freunde erregen.
Ein erster Spaziergang führte auf einer mit großen Pflastersteinen ausgelegten schmalen Straße, der Hauptstraße, zwischen eng aneinander gebauten Häusern leicht bergan. Der Ort Kimolos ist, wie jedes Gebäude auf der Insel, auf gewachsenen Fels gebaut.
Wenn mir ein Auto entgegen kam, drückte ich mich nicht nur der Sonne wegen vorsichtshalber in den Schatten einer Wand. Viel Platz blieb nicht für einen Gegenverkehr. Links und rechts zweigen hin und wieder kleinere Gassen ab. Alle Böden tragen eine weiße Bemalung als Umrahmungen der einzelnen Steine und somit meistens quadratisch oder rechteckig wie ein Netz, für mich vor allem bei Dunkelheit sehr hilfreich, den Weg gewiesen zu bekommen. Manche Muster sind Fischschuppen nachempfunden, das eine oder andere Herz oder auch eine Blume tauchen auf den Seitenwegen auf. In der „Agora“, dem Ortskern, ist eben dies buchstäblich auf die Straße gemalt. Manche Wege bestehen zwar nur aus Beton, die Bemalung fehlt aber nicht. Ursprünglich sollte die weiße Farbe die Fugen zwischen den Steinen vor Austrocknung und Zerfall schützen.
Von meiner Terrasse aus hatte ich die große gelbe Basilika mit ihren zwei Türmen gesehen und den Stundenschlag der Uhr vernommen. Ich konnte sie aber zwischen den Häusern einfach nicht finden, ich hätte in eine der Nebengassen einbiegen müssen und dann wieder in eine andere. Das scheinbare Gassengewirr zu durchblicken, lernte ich aber in den nächsten Tagen.
Einen Besuch in der Kathedrale machte ich häufiger, auch weil es dort angenehm kühl war. Ihr gegenüber liegt in einem restaurierten Altbau das neue, ganz nach modernen Erkenntnissen eingerichtete Archäologische Museum von Kimolos, das man so oft wie man will besuchen sollte, nicht nur weil der Eintritt kostenlos ist. Dort sind die Funde versammelt, die man bei Ellinika, der Insel Agios Andreas gegenüber, aus dem Meer geborgen hat, Funde aus der versunkenen, ehemals an anderer Stelle direkt am Meer gelegenen Stadt Kimolos.
In der Agora liegt hinter der Wohnbebauung das „Kastro“, eine Burganlage aus dem Mittelalter, die allerdings weitgehend in ihrem Inneren verfallen ist. Weil das so ist, gibt sie dem Besucher einige einzigartige Einblicke in seine Bauweise und somit auch in die spartanische Lebensweise ihrer damaligen und an manchen Stellen auch heutigen Bewohner. Der Lebensraum war und ist äußerst beschränkt.
Eine architektonische Besonderheit war in früherer Zeit die Dichtung des aus Holzbalken und Rohrmatten konstruierten Dachs. Den Abschluss bildeten kleine, an den Rändern und in der Mitte gehäufte Erdhügelchen, die sich bei Regen über das Dach verteilten und es wasserdicht machten. Sie mussten aber jedes Jahr neu aufgebracht werden, denn die in der Erde enthaltenen Samen gingen auf und ließen die Erdkruste porös und damit wasserdurchlässig werden.
Wer mehr über solche Gepflogenheiten aus alter Zeit wissen will, besucht das in den Mauern des Kastros gelegene Heimat- und Maritim-Museum des „Iatrós“ an der „Pano Porta“, dem oberen Tor.
Der „Iatrós“ (gesprochen: Jatróss), der Arzt, so wird der Museumsstifter respektvoll von den Einwohnern genannt, ist Emmanouel gen. Manolis, Aristidis Christoulakis aus Piräus, ehemaliger Kardiologe, weitgereist, Autor, Heimatforscher und –bewahrer. Er ist auf Kimolos geboren, wohnt dort im Sommer und kennt seine Insel wie kaum ein anderer.
Er spricht viele Sprachen und glücklicherweise sehr gut Deutsch. Mit seinen 86 Jahren erzählt er immer noch voller Begeisterung, mit der Ehrfurcht des orthodoxen Christen, dem heißen Herzen eines Griechen und mit ebenso großer Sachkenntnis über die wechselvolle Geschichte seiner Insel und der griechischen überhaupt.
Dabei nennt er die Deutschen Franken.
Sein Museum hat er in seinem Geburtshaus, einer Mitgift seiner Mutter Maria, und zu ihren Ehren, eingerichtet. Dort kann der Besucher die täglichen Gebrauchsgegenstände der gängigsten Gewerke anschauen und sich erklären lassen, wie die alten Inselbewohner gekleidet waren und wie sie wohnten. Auf den Webstühlen hat der Museumstifter alles so hergerichtet, dass sofort mit dem Weben begonnen werden kann. Porzellan und Keramik, Korbwaren und jede Art von textilen Handarbeiten füllen die Vitrinen. Aber auch das Handwerkszeug des Seemanns aus vergangener Zeit interessiert vornehmlich Männer, wie ich beobachten konnte. Bei Aktionen mit der Bevölkerung zu besonderen Festtagen werden auch die kunstvoll geflochtenen Gebildebrote gebacken.
Gebackene Brote spielten auch eine Rolle, als in einer der vielen orthodoxen Kapellen, die meistens in Privatpflege oder sogar -eigentum sind, das Fest der Kreuzerhöhung feierlich begangen wurde. Das ganze Dorf war modisch festtäglich gekleidet zusammen gekommen, hatte nacheinander in der Kapelle eine Kerze erworben und entzündet zur Ehre der Kreuz-Ikone, um dann draußen ihrer Verehrung, den umfangreichen Gesängen, den Segnungen und der Prozession beizuwohnen. Nach dem Gottesdienst wurden fünf großlaibige runde Brote, die mit Puderzucker bestreut beim Gottesdienst auf einem Kredenztisch gestapelt gelegen hatten, von vorwiegend Männern zerteilt und mit einem Segenswunsch aufs nächste Jahr an alle Teilnehmer ausgeteilt. Dieses ist eine Erinnerung an die Speisung der Fünftausend in der Wüste, wie es die Bibel erzählt. Dazu gab es Ouzo, den berühmten Anisschnaps, aber auch Wasser und kleine in Puderzucker gewälzte Mandelplätzchen von köstlichem Geschmack, alles ausgeteilt mit weißen Papierservietten von der Eignerfamilie und deren Verwandten und Freunden. Auch untereinander wünschten die Teilnehmer sich Glück und es waren viele. Dass ich durch meine Freunde mitfeiern durfte, empfand ich als große Ehre.
Noch auf eine andere Weise erfuhr ich etwas vom Sinn der vielen kleinen Kapellen und der orthodoxen Frömmigkeit der Bewohner von Kimolos. Der Familie Sardis, Herkunftsfamilie mütterlicherseits des Museumsgründers, in der Oberstadt gehört eine solche Kapelle, und Eleftheria, die Haushälterin des „Iatros“ und Geschäftsführerin seiner Stiftungen, sucht sie regelmäßig zur Pflege auf. Sie ist der heiligen Anna geweiht und entsprechend mit ihrem Bild neben vielen anderen, die der Familie wichtig sind, als Hauptikone ausgestattet. Nach dem Betreten zündete Eleftheria zunächst ein Öllicht, dann drei dünne Bienenwachskerzen an, die sie in ein kostbar gestaltetes Gefäß mit einem Samenbett steckte. Abgebrannte Kerzenreste lagen in einem ebenso kostbar erscheinenden Metallgefäß am Boden. Danach brannte sie in einem Keramikgefäß eine Holzkohlentablette an, die sie vor der Tür zum Glühen brachte, legte ein paar Körnchen Weihrauch auf und bekreuzigte mit dem Weihrauchgefäß zunächst die Landschaft vor der Tür, dann die Hauptikone, jedes Kreuz und jede einzelne Kleinikone im Raum, um draußen zu enden. Das wiederholte sie zweimal in zügiger aber ehrfurchtgebietender Art und Weise. Auch ich erfuhr eine Segnung. Dann räumte sie alles wieder weg, löschte die Kerzen, schloss die Tür ab und wir gingen zurück ins Museum.
Inmitten des Kastros steht die mittelalterliche Doppel-Kapelle zur Geburt Jesu Christi mit der Kopie einer kleinen Ikone des Gründers Joh. Ramfos, des Eigentümers der Burganlage Ende des 16. Jahrhunderts. - Das Original befindet sich im Museum in Athen.
Ihr benachbart liegt die Einsiedlerzelle der Heiligen Methodia, die im ganzen west-kykladischen Inselbereich hoch verehrt wird. Dank meiner Freundschaft zum „Iatros“ konnte ich beide Gebäude besuchen als die Pflegerin dort ihren Dienst versah. Einen kleinen Basilikumzweig schenkt sie mir vom dem üppigen Busch im Innenhof der Kirche. Meine Versuche, ihn im kalten Norden zu kultivieren, scheiterten leider sehr bald.
Alles, was man zum Essen und Trinken braucht in dem kleinen Ein-Zimmer-Appartement mit Kleinküchenzeile, in dem ich wohnte, kann man im Dorf kaufen, in zwei kleinen Supermärkten. Beim Bäcker gibt es neben anderem eine kleine, frische original griechische Pizza – denn die kommt originär aus Griechenland, bestehend aus Hefeteig, belegt mit Tomaten, Käse und Zwiebeln – die Italiener hätten sie abgekupfert. So berichtete mir mein Freund.
Wichtig ist aber, immer frisches Wasser in Flaschen zu holen. Dies besorgen die Wirtsleute auch gern für ihre Gäste. Das Leitungswasser ist für den Verzehr ungeeignet. Ich sah einmal, dass sogar die Blumen mit Wasser aus eben diesen Flaschen gegossen wurden. Die Zähne kann man sich aber mit Leitungswasser putzen.
Gelegentlich kommt ein Gemüsewagen durchs Dorf mit frischen Tomaten, Trauben oder Melonen. Es ist alles nicht billig, aber von guter, sonnengereifter Qualität.
Der Honig ist eine Sünde wert.
Meinen Kaffee, ohne den der Tag nicht gelingen kann, genoss ich am Ende fast griechisch - die Griechen kochen Kaffeemehl und Wasser miteinander auf. In eine große Tasse – die Griechen benutzen ein kleine – gab ich eine gehörige Portion Kaffeemehl und goss mit kochendem Wasser auf, gab einen kräftigen Löffel Honig hinein, rührte um und ließ das Gebräu ziehen. Dann trank ich normal die Tasse fast leer. Nach einer halben Stunde nippte ich immer noch an dem inzwischen erkalteten Getränk und der Kaffeesatz gab immer wieder eine kleine Menge aromatische Flüssigkeit frei. So trinken Griechen ihren Kaffee, allerdings mit Zucker, nicht mit Honig.
Genießen kann man den Muntermacher auch in einem Cafe auf dem Corso, einem kleinen Platz mit Blick auf eine alte in Naturstein gebaute, typisch orthodoxe Kirche, in deren Vorhof ich an einem Wochenende die Feierlichkeiten einer Hochzeit verfolgen konnte, die das ganze Dorf auf die Beine gebracht hatte. Zum Kaffee schmeckt der frische Jogurt, umlegt mit kandierten Quitten köstlich.
Kaffee im Hafen von Psathi mit Blick auf das sanft an den kleinen Strand plätschernde türkisgrüne Meer zu genießen, am besten mit Freunden, ist ein weiteres Vergnügen. Von der dort gelegenen viel besuchten Taverne aus kann man sogar sofort ins Meer zur Abkühlung eintauchen, zumindest mit nackten Füßen durch den warmen Sand schlendern oder beim opulenten Essen die Zehen dort hinein bohren; denn die Tische sind unter riesigen Sonnenschirmen direkt auf dem Sandstrand eingedeckt.
Als Naturstranderlebnis genoss ich das besonders mit weiteren griechischen Freunden in Alyki in der einsam am Wasser gelegenen Taverne der Ventouris. Dort gab es keine Sonnenschirme mehr, sondern nur noch die überdachte Terasse und am Strand entlang Tamarisken, die Armires, - Bäume, die als einzige bekanntermaßen Salzwasser vertragen - und die den Strand zum Weg hin abschirmten und einen leichten Sonnenschutz gewährten. Das Meerwasser umhüllte mich angenehm warm und schien mir salziger zu schmecken als etwa die Nordsee. Eine kleine Felsbarriere machte das Erreichen des tieferen Wassers ein wenig beschwerlich. Die Freunde trugen deshalb Plastiksandalen, die sie vom Meer aus wieder an den Strand warfen.
Nach dem Schwimmen bog sich dann langsam der Tisch unter dem schattenspendenden Vordach, der schon eingedeckt war, von den griechischen Köstlichkeiten aus gebackenen Gemüsen, Ei-, Fleisch- und Fischgerichten, eine nach der anderen aufgetragen. Für mich ein Genuss immer wieder der frische Olivenölgetränkte Tomatensalat mit Zwiebeln und Wildkapern, in dem sich das gebrochene Brot, bevor man es verzehrte, so herrlich vollsog. Zum Abschluss gab es „U-Boot“, eine weiße klebrige Mastixmasse, die an einem Teelöffel in einem Glas Wasser steckte und langsam genüsslich - oder weniger - abgeleckt wurde. Eigentlich schmeckte sie außer süß einfach nach Nichts, neutralisierte vielleicht den Geschmackssinn nach einem sehr ausgiebigen Essensgenuss, bei dem ein gutes Glas Weißwein nicht gefehlt hatte.
Ein kleiner Verdauungsspaziergang ließ mich unter Tamarisken im Sand ein Heer der weißen kleinwüchsigen Muttergotteslilien entdecken. Die Blüte ähnelt in der Form unserer Osterglocke, der Stil ist aber sehr kurz. Der Strand war übersät mit vielfarbigen Kieseln in Weiß, Creme, Grün und Rot und rundlichen Muscheln.
Von meinem Schlafzimmerfenster in der Pension aus blickte ich nicht nur auf den nahen, über Hundert Meter hohen von unterschiedlichster Vegetation bewachsenen Berg, sondern auch auf riesige dunkelpinkfarbene Bougainvillea und viele andere mir unbekannte Büsche an den weißen Häuserwänden. Eine Bougainvillea diente sogar als Sonnenschutz für ein Auto.
An unbebauten Stellen und am Berghang wucherten riesige Kakteenbäume mit gelben und roten Früchten am Rand ihrer Stachelbewehrten, über Handflächengroßen, dickhäutigen Glieder. Natürlich Olivenbäume, aber auch Palmen, Zitronenbäume und riesige Agaven zierten sogar kleine Gärten im Dorf und den Hang. Eukalyptusbäume in vielen Größen und zartfiedrige krüppelige Pinien säumten die einzige asphaltierte Straße hinunter zum Hafen von Psathi.
In den Spalten an Häuserwänden und Wegen wucherten Wildkapern, zum Teil mit Blüten und Früchten an einer Pflanze. Unterschiedlichste Wildkräuter, die wir bei uns nicht kennen, gab es in großer Zahl. –
Und die Warnung der Freunde vor den Schlangen, giftigen Vipern, ließ mich immer auf der Hut sein. Ich habe glücklicherweise keine zu Gesicht bekommen.
Im Schulzentrum der Oberstadt mit phantastischer Aussicht auf Hafen und Meer stand ein mächtiger Eukalyptusbaum. Er war der Schlafplatz der Spatzen, die es in großer Population auf Kimolos gibt. Abends versammelten sie sich in diesem, ihrem Schlafbaum zum lärmenden Nachtritual.
Das Schulzentrum umfasste in gesonderten Gebäuden die in Griechenland übliche sechsklassige Grundschule und nebenan das sogenannte Gymnasium, unserer Realschule vergleichbar, und das Lyzeum, der Oberstufe unseres Gymnasiums vergleichbar.
Der Ausblick von dort hinunter auf die Unterstadt, den Hafen und das Meer, war von besonderem Zauber wenn die Dunkelheit einfiel und ringsum die Lichter aufflammten.
Mit dem Jeep unternahmen wir Ausflüge über die Insel.
Einmal waren wir eingeladen bei einem ursprünglichen Insulaner, der nach dem Sommeraufenthalt in seinem kleinen Haus am Meer Abschied feierte, um nach Athen in sein Architekturbüro und zu seiner Familie zurückzukehren. Es hatte ihn gerade die freudige Nachricht erreicht, dass sein Sohn eine Professur an der Universität dort übernehmen würde.
Zwei Dinge sind mir von diesem Abend unvergesslich geblieben, das Lauschen auf die muntere Unterhaltung in griechischer Sprache bei einem fruchtigen roten Dessertgelee, vom Hausherrn zubereitet, und die Entdeckung der Milchstraße auf der nächtlichen Rückfahrt ins Dorf. Einen ähnlichen Sternenhimmel hatte ich zuletzt in meiner Kindheit am Niederrhein gesehen, als die Städte den Himmel noch nicht mit ihrem künstlichen Licht überstrahlten.
Zu einem unvergesslichen Lichterrlebnis wurde ein Ausflug mit besagtem Jeep gegen Abend auf den Berg „Elias“ im Innern der Insel. Rebhühner tauschten sich aus zwischen den Klüften und in der Betrachtung des Sonnenuntergangs verstummten für eine Weile alle anderen Wünsche, eine wunderbare Welt kennenzulernen. Unter anderem die Schönheit einer wilden Hyazinthe, Asphodelos, auf dem „Elias“ und auf anderen Felsgesteinen der Insel sehr verbreitet.
Die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Griechen durfte ich vor allem bei den vielen Mahlzeiten erleben, zu denen mich mein Freund, der Iatrós, den ich von seinem ehemaligen Deutschlandaufenthalt her kannte, immer wieder in sein Haus einlud. Mir zu Ehren gab es neben vielen Fischgerichten, die ich sehr genossen habe, einmal Hummer, den der Hausherr mundgerecht für mich aufbrach. Aus den Kaktusfeigen, die üppig überall fruchteten, hatte er für mich einen Kompott gekocht, der köstlich schmeckte. Fruchtige Salate und Desserts füllten den Mittagstisch. Bei unseren Ausflügen kehrten wir in unterschiedliche Tavernen ein und er ermunterte mich, die Vorspeisen und Fleischgerichte zu kosten.
Dann kam der Tag, an dem ich in meinem Appartement meinen Morgenkaffee ein letztes Mal griechisch kochte und ihn auf dem Balkon in der aufgehenden Morgensonne, mit griechischem Honig gesüßt, genüsslich in mich hinein schlürfte. Die Rückreise mit dem Boot von Psathi nach Milos bleibt in mir als weißer wehender Tüll auf türkisgrünem Wasser mit einem letzten Blick auf die sich unerbittlich entfernende Insel mit liebenswerten Menschen in immerwährender Erinnerung als ein kleines Stück Lebensgück.
© Eleonore Hillebrand – 2010/2014
Kimolos