Pylos, ein mittelgroßes nettes Kleinstädtchen an der Navarino-Bucht auf der südlichen Peleponnes, ist mein Zuhause. Mein Herrchen hat mich im Alter von sechs Wochen auf der Straße aufgegabelt und verpasste mir den göttlichen Namen Athene. Ich bin ein reinrassiger griechischer Straßenhund mit blauen Augen, schwarzem Fell, weißen Pfoten und weißer Schwanzspitze. Bin gut gebaut, dezent zu schlank – was definitiv der momentan mangelnden Ernährung zuzuschreiben ist -, und ich kann gucken, sag ich euch. Ich begegnete einmal einem Deutschen Dackel, sein Blick war grandios – genauso gucke ich! Unweigerlich
wurde ich erwachsen, kam vom Welpenalter in das Flegelalter. Dies war die Zeit, in der sich alles änderte. Nachts, wenn vor dem Tor ein schmucker Rüde saß und mir Avancen machte, rastete mein Gebieter erzürnt aus. Er schimpfte, was sein Vokabular hergab, trat mich, entzog mir das Futter. Kann man das verstehen? Als sich dieses Spiel im nachfolgenden Monat wiederholte, schmiss er mich kurzerhand raus. Mein Verehrer stellte mir ein paar Tage durch das Dorf nach, wurde zu meinem Liebhaber, und war verschwunden, als er bemerkte, dass sich Nachwuchs ankündigte. Ich schlich vorsichtig nach Hause und durfte tatsächlich ins Haus. Herrchen verwöhnte mich, wie er es früher tat. Jedoch hielt der Luxus nur bis kurz vor dem Wurf. Wir fuhren, im Auto, hinter das knapp sechs Kilometer entfernte Gialova. Stoppten inmitten des Naturschutzgebietes, das ich bisher aus der Ferne kannte. In der Nachbarschaft gab es einen Campingplatz, einen kleinen Bach mit Süßwasser und weiter nichts als Sand, Meer und tausende Moskitos. Mein Familienoberhaupt schleppte einen alten Karton und eine Decke in eine halb zerfallene Gartenlaube und verschwand. Da saß ich, die göttliche Athene. An einem fremden Ort, vor lauter Aufregung setzten die Wehen ein. Drei Babys bekam ich zügig hintereinander. Hunger und Durst begannen mich zu quälen. Vier Tage hoffte ich, Herrchen würde uns wieder holen, aber nichts dergleichen geschah. Dieser starrsinnige Ignorant begriff nicht die Sorgen eines stolzen Hundes. Im Prinzip hatte er keine Ahnung von einer verletzlichen Hundeseele, sonst hätte er mich wohl kaum ausgesetzt. Verstoßen, wie einen pestgeplagten Aussätzigen. Den Tod vor Augen, sah ich mich gezwungen, nachts vorsichtig über den Campingplatz zu schleichen, um nach Essensresten zu suchen. Was die Menschen alles wegwarfen - jedenfalls konnte ich mich damit solange über Wasser halten, bis meine Zwerge ebenfalls Hunger anmeldeten. Der erste Familienausflug endete erneut auf dem Campingplatz, da in den hinterlassenen Müllbeuteln und Plastikbechern am Strand und Straßenrand nichts Verwertbares zu finden war. Wir hatten Glück und wurden lieb aufgenommen, gehätschelt, getätschelt und verwöhnt. Drei Wochen fehlte es uns an nichts. Hoffnung keimte, eine neue Menschenfamilie gefunden zu haben, die ich bewachen durfte, wurde jedoch schnell eines Besseren belehrt. Aus unbegreiflichen Gründen verjagte uns unsere vermeintlich neue Familie, sie warfen mit Schuhen nach uns. Total verstört hetzte ich mit meinen drei Babys davon und versteckte mich. Als ich Tags darauf zum Campingplatz zurückkehrte, waren die Menschen weg. Andere dafür da. Hier flogen mir zur Begrüßung Steine um die Ohren. Mit eingezogenem Schwanz suchte ich das Weite, konnte es nicht fassen. Ungerechte Welt. Wo waren die lieben Menschen hin, warum haben sie uns nicht mitgenommen? Begriffen sie nicht die Notwendigkeit einer ausgesetzten Hundefamilie zu helfen? Womit stopfe ich meine 6 Wochen alten Hundemäuler? Ich war verzweifelt und sah mich schon als einen Streuner herumirren. Dabei kann ich es nicht leiden in Abfällen zu wühlen oder angstvoll zu betteln. Ein paar Tage vergingen bis ich allen Mut zusammennahm und am frühen Morgen versuchte, mein Zuhause in Pylos zu erreichen. In Gialova traf ich auf meinen Ex-Liebhaber und musste mich ihm kräftig zur Wehr setzen. Die Menschen sollten ihn kastrieren, dann wäre von seiner Seite her die Gefahr gebannt. Dass dies funktioniert und zu unserer Gesundheit beiträgt, ist allgemein unter uns Hunden bekannt. Aber nein, Männer darf man nicht entehren. Schwachsinn! Ob Herrchen mich und meine Welpen bei sich wohnen lässt? Bringt er mich zur Sterilisation zum Tierarzt? Ich wünschte es mir, denn unter solchen Bedingungen macht Muttersein keinen Spaß. Völlig am Ende meiner Kräfte erreichte ich in sengender Mittagshitze Pylos und bellte so lange, bis sich die Türe endlich öffnete. Er sah mich an, als hätte er einen Anflug von schlechtem Gewissen. Mein Herz schlug freudig schneller. Es folgten Wasser und eine riesige Portion Futter. Nach einer kurzen Erholungsphase wollte ich erneut weg, zu meinen Babys. Herrchen ließ mich aber nicht raus. Jetzt begann ich sauer zu werden, zerlegte Kissen und Decken in Einzelteile, was ihm kräftig missfiel. Wie vermutet, dauerte es nicht lange, bis sein Jähzorn siegte und er mich zurück in die zerfallene Hütte brachte. Voller Entsetzten traf ich nur noch zwei meiner Kinder an. Eine Blutspur ins Bambusschilf machte mir klar, dass der Fuchs hier gewesen war. Dieser beäugte unsere Anwesenheit schon die ganze Zeit mit Misstrauen, eigentlich war es seine Behausung. Kampf der Tiere ums Überleben? Trauer und Wut stiegen dramatisch an, drohten Überhand zu nehmen. Meine kleine Lady war leicht verletzt, nichts Schlimmes. Und Junior - was zum Henker hatte Herrchen mit Junior vor? Er drehte und wendete ihn, herzte meinen kleinen, frechen Rüden, packte ihn ins Auto und fuhr davon. Und wir? Was ist mit uns? Ich hasse ihn! Mit meinem letzten Baby wanderte ich abermals zum Campingplatz. „Hallo, Menschen, hier sind zwei liebe Hunde, die nichts für ihr Schicksal können. Hilft uns jemand? Streicheleinheiten am Strand, Worte wie „oh, wie süß“, „niedlich“, mehr nicht. Da, endlich, erbarmte sich noch jemand: Wasser, Fressen, gefolgt von Unfassbarem: Nach der Mahlzeit flogen erneut Schuhe. Warum? Was ist das für eine Welt? Erst Freund, am Ende Feind. Sterben, gleich hier, vor aller Augen, kommt mir in den Sinn, aber wie? Verhungern und verdursten will ich nicht! Ich bin ein gut aussehender, stolzer griechischer Straßenhund mit einem göttlichen Namen, der mir nichts nützt. Ich bin ratlos.
Text: Claudia Konrad, Foto: Eurokinissi