Wo isst man am besten in Griechenland? Zu Hause, bei der Mutter oder der Schwiegermutter. Das galt bis vor ein paar Jahren. Die jungen, teils weitgereisten griechischen Gastronominnen und Gastronomen sind dabei, sich neu zu erfinden.
In Griechenland gibt es viele kulinarische Köstlichkeiten zu entdecken. Das ist kein Geheimnis. Die Grill- und Fischtavernen sind traditionell gute Adressen für solides, lokales Essen. Zusammen mit hervorragenden Produkten aus der griechischen Landwirtschaft lassen sich neue und ungeahnte kulinarische Erfahrungen kreieren. Das weiß die Gastroszene in Griechenland. Sie hat sich in Bewegung gesetzt, und junge griechische Köchinnen und Köche sind zu neuen Horizonten aufgebrochen. Sie haben früher in London oder Paris für verwöhnte Gäste gekocht, doch nun sind sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt, haben Häuser ihrer Eltern oder Vorfahren renoviert und dort mit handwerklichem Können, traditioneller Gastfreundschaft, Charme und Seele einfache, aber nachhaltige Gaststätten eingerichtet.
Im Schlepptau der Slow-Food-Bewegung
Innovative Restaurants und Produzenten der Ägäis haben sich vor wenigen Jahren unter dem Begriff „Authentische ägäische Küche“ (www.aegeancuisine.org; englisch und griechisch) zusammengetan. Sie sind auf den 24 Inseln der Kykladen zuhause – Amorgos, Anafi, Andros, Antiparos, Donousa, Folegandros, Ios, Iraklia, Kea, Kimolos, Kithnos, Koufonissia, Milos, Mykonos, Naxos, Paros, Santorini, Schinoussa, Serifos, Sifnos, Sikinos, Syros, Thirasia und Tinos – sowie auf 15 Inseln des Dodekanes: Agathonissi, Astypalaia, Kalymnos, Karpathos, Kassos, Kastellorizo, Kos, Lipsi, Leros, Nissyros, Patmos, Rhodos, Symi, Tilos und Chalki.
Frangesko auf Sifnos
Diese Restaurants und ProduzentInnen folgen weitgehend der Philosophie der Slow-Food-Bewegung: Das bedeutet saisonale Produkte, Terroir, Bio, Nachhaltigkeit usw. Die Gastronomen pflanzen die Gemüse und Kräuter teils selber an oder arbeiten mit lokalen Landwirten, Schaf- und Ziegenzüchtern, Käsern, Bäckern usw. zusammen. Die sonnenverwöhnten Inseln sind voller wilder, aromatischer Kräuter, von „Rigani“ (Oregano), Rosmarin, Minze bis hin zum Fenchel, von dem sowohl die Stängel als auch die Samen Verwendung finden. Dass die Fische und Meeresfrüchte aus den umliegenden Gewässern kommen und somit fangfrisch sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Das ist anderswo leider nicht immer der Fall.
Frangeskos Käse (Fotos: Paul Gügler)
Ohne verspieltes Beiwerk
Auf unserer Recherchereise haben wir auf Amorgos und Iraklia meistens köstlich gegessen. Besonders aufgefallen ist uns das Restaurant „Araklia“ auf der Insel Iraklia. Der Gastronom Jannis Gavalas, geboren 1970, hat früher in Athen und Mykonos für die Prominenz gekocht. Nun hat er das Haus seiner Großeltern, das auf einer Anhöhe zwischen dem Hafen Agios Georgios und dem schönsten Strand der Insel, Livadia, liegt, zu einem wunderbaren „Estiatorio“ ohne verspieltes Beiwerk umgebaut. Sein Angebot reicht von der lokalen Fischsuppe „Kakavia“ zu umwerfend guten Käsekroketten (Tyroloukoumades), zu Salaten aus lokalen Produkten, zu griechischer Pasta „Striftoudia“ und zu einem unvergesslichen „Katsiki gemisto“ (Gefülltes Zicklein). Die Reisfüllung ist dabei von einem vollständigen Rippenkranz der dünnen Ziege umgeben. Schmökern Sie auf www.yiannisgavalas.gr (nur griechisch)
Ein Abend im „Araklia“
Man kann es aber nicht allen immer recht machen. In einem kläglichen Tripadvisor-Beitrag beklagt sich ein weiblicher Gast, dass sie auf ihrem Teller mit „Katsiki gemisto“ nur Knochen gehabt habe. Dabei war die knusprige, von warmem Fett durchdrungene Haut des Zickleins köstlich, und da, wo die Rippen in die Wirbelsäule übergehen, war das Filetstück verborgen, das mit aromatischer Sanftheit den Gaumen entzückte. Es war ein kulinarischer Höhepunkt unserer Entdeckungsreise. Gewiss, man isst auch mit den Augen, aber manchmal ist es besser, sich ganz auf den Palast des Gaumens zu verlassen. Und man muss sich mit Messer und Gabel, manchmal gar mit den Fingern, zu den versteckten Genüssen vorarbeiten. Und man muss bereit sein, sich auf neue Erfahrungen einzulassen. Wir waren leider nur für drei Nächte auf Iraklia und haben jeden Abend im „Araklia“ gegessen und jedes Mahl genossen. Gerne hätten wir die ganze Speisekarte „abgearbeitet“! Die Preise sind zwar höher als in einer traditionellen Taverne, doch das Preis-Leistungs-Verhältnis ist hervorragend, die angebotenen Weine charaktervoll und der Service professionell und freundlich. Ins „Araklia“, zu Jannis Gavalas und seinem Team, werden wir jederzeit gerne zurückkehren.
Im Restaurant Araklia
Ein „Ferry-, Sail- und Gourmet-Trail”
Unweit vom „Araklia“, am Strand von Livadia, befindet sich ein weiteres interessantes Lokal, das „Pera Panta“ von Petros Petrou, der ebenfalls bei der neuen ägäischen Küche mitmacht. Da habe ich einen köstlichen „Xtapodi stifado“ (Pulpo-Eintopf) mit karamellisierten Zwiebeln mit „xydi (Essig) gegessen. Da müsste man nochmals einkehren. Der Aufbruch zur neuen ägäischen Küche geht auf das „Manifesto of the Cycladic Cuisine“ zurück, das die Meisterköche und Gastronomen Ilias Mamalakis und Dimitris Rousounelos im März 2015 verfasst haben. Sie propagierten nicht nur die Rückkehr zu einer authentischen Küche der Inseln, sondern forderten auch die Zusammenarbeit mit lokalen Produzentinnen und Produzenten ein. Ganz wichtig ist ihnen die Zusammenarbeit und der Austausch. So kann man auf der Homepage der „ägäischen Küche“ nicht nur die Adressen von Restaurants und Angaben zu lokalen Spezialitäten finden, sondern auch die Rezepte zu den angebotenen Speisen. Wer nun bedauert, dass die meisten dieser teils neueröffneten Restaurants den Winter über geschlossen sind, kann sich bis zur Wiedereröffnung im Mai an den Speisekarten und den publizierten Rezepten verlustieren. Da wird einem das Wasser im Munde zusammenlaufen! Und das Fernweh, die Reiselust, wird unbändig. Die neue ägäische Küche hat ihre Segel gesetzt und bringt uns neue kulinarische Erfahrungen und Freuden. Ein Grund für ein ausgedehntes Insel-Hopping, das man auch mit der kleinen Fähre „Express Skopelitis“, die die Inseln der Kleinen Kykladen abfährt, machen kann. Ein Ferry-, Sail- und Gourmet-Trail, eingerahmt vom magischen grand bleu der ägäischen See, mit großem kulinarischem Potenzial. Kali orexi – guten Appetit und Ygia – Gesundheit!
Text und Fotos: Thomas Pfister
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 870 am 28. April 2023.