Heutzutage steigen die meisten deutschsprachigen Touristen für ihre Reise nach Griechenland in den schnellen, bequemen Flieger. Klimafreundlich mit dem Zug anreisen, tun die meisten Reisenden von vornherein als zu umständlich ab. Das war nicht immer so.
Als feststand, dass ich dieses Jahr längere Zeit in Griechenland verbringen würde, fasste ich den Entschluss, ganz entschleunigt mit dem Zug dorthin zu reisen. Voller Elan brach ich gleich zum Reisezentrum des Bahnhofs meines deutschen Heimatstädtchens auf, um nach der besten Verbindung zu fragen. Die Frau am Schalter sollte diesem Eifer schnell ein Ende bereiten. „Das ist viel zu umständlich“, wies sie mich und meine Öko-Pläne etwas forsch in die Schranken. Flugreisen nach Griechenland seien schneller, man müsse nicht fünfmal umsteigen, und außerdem sei alles viel günstiger. Enttäuscht trat ich an diesem Tag meinen Rückweg an. Mich ließ die Frage aber nicht los, ob es nicht doch irgendwie möglich ist, Griechenland halbwegs human mit der Bahn zu erreichen.
München-Athen in 38 Stunden
Wirft man einen Blick in die jüngste Geschichte, sieht man, dass Zugreisen von Mitteleuropa nach Griechenland bis vor dreißig Jahren noch gang und gäbe waren. Mit dem Akropolis-Express konnte man schon ab 1967 von München direkt bis nach Athen fahren. Die Strecke von 2.050 Kilometern legte man innerhalb von etwa 40 Stunden zurück – zum Teil mit E-Loks, zum Teil mit Diesellokomotiven. Betrieben wurde der Akropolis-Express gemeinsam von den Bundesbahnen aus Deutschland und Österreich, den Jugoslawischen Eisenbahnen und der Griechischen Bahn. Zwar fuhr der sogenannte Hellas-Express schon seit 1963 von Dortmund nach Athen, doch war diese Verbindung primär für die Gastarbeiter aus Griechenland und Jugoslawien gedacht. Der Akropolis-Express hingegen sollte ein exklusives Angebot für Touristinnen und Touristen sein. Täglich fuhr dieser legendäre Zug von der bayerischen Hauptstadt nach Athen ab – mit kurzen Halten in Salzburg, Villach, Ljubljana, Zagreb, Belgrad, Skopje und Thessaloniki. Was muss das für eine Reise gewesen sein: fast zwei Tage entspannt auf Gleisen tuckern, vorbei an den unterschiedlichsten Städten und Dörfern, an historischen Landschaften mit Bergen und Hügeln bis hin zu weiten Ebenen. Für viele „Augenzeugen“ unvergesslich ist noch bis heute der Blick aus den Waggons hinaus auf die tiefblaue Ägäis nahe der nordgriechischen Stadt Katerini. Man nahm Meereswitterung auf, denn die Fenster des Zuges durfte und konnte man noch öffnen.
Nicht sicher, dann nicht rentabel
Zu Beginn der 1990er-Jahre fand dieser Spaß sein jähes Ende: Als es zum Jugoslawien-Krieg kam, in dem der Vielvölkerstaat in blutigen Gefechten zerbrach, wurden alle passierenden Züge von Mitteleuropa nach Griechenland aus nachvollziehbarer Besorgnis um die Fahrgäste eingestellt. Der Akropolis-Express fuhr 1991 zum letzten Mal in einen Bahnhof ein. An dieser Situation änderte sich auch nichts, nachdem sich die Lage in den Balkanstaaten beruhigt hatte: Von Deutschland wurde keine Direktverbindung nach Griechenland mehr angeboten – wegen „Sparmaßnahmen“, wie die Bahngesellschaften damals mitteilten. Klar, rentabel waren Fernzugreisen spätestens zu Beginn der 2000er nicht mehr. Flugreisen wurden konkurrenzlos billiger und zeitsparender. 2011 stellte die Griechische Bahn dann sogar kurzzeitig jeden grenzüberschreitenden Zugverkehr von und nach Griechenland ein, um in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftsrise Kosten zu minimieren. Erst im Sommer 2014 wurden Fahrten von Thessaloniki nach Sofia, Belgrad oder Skopje wieder in den Fahrplan aufgenommen.
Bequem, aber klimaunfreundlich
„Wir empfehlen für die Anreise nach Griechenland hauptsächlich den Flug, es ist die schnellste und bequemste Methode.“ – Diese Antwort erhalte ich von so ziemlich jedem der Reisebüros mit Griechenland-Touren im Angebot auf meine bohrende Frage, wie ich denn ohne Flugzeug in mein Paradies im Süden kommen könne. In der Regel rechtfertigten die netten Mitarbeiter ihre ausweichende Auskunft damit, „keine Erfahrungen“ mit Zug- oder Schiffsreisen nach Griechenland zu haben. Aber wenn man als Reisender nun doch seinen ökologischen Fußabdruck schonen möchte? Der Österreicher Elias Bohun will dabei behilflich sein: Er hat sich mit seiner Reiseagentur „Traivelling“ das Ziel gesetzt, nachhaltige Verbindungen zum gewünschten Reiseziel zu erarbeiten und sucht nach „grünen Wegen“. Sein Tipp, von Deutschland aus nach Griechenland zu kommen?
Klimafreundlich nach Hellas
Einen einzigen Weg gebe es, weiß Elias, bei dem Fahrpläne der einzelnen Verbindungen so aufeinander abgestimmt sind, dass man so gut wie keine längeren Wartezeiten hat. Fast wie am Stück also. Von München aus fährt man dabei mit einer Tagzug-Nachtzug-Kombination knapp 20 Stunden über Rom in die italienische Hafenstadt Bari. Von hier aus geht es dann mit einer Fähre 16 Stunden über Nacht nach Patras in Westgriechenland. Dort fährt ein Bus in knapp drei Stunden nach Athen. Man ist also auch etwa zwei Tage am Stück unterwegs; die Gesamtkosten liegen bei rund 200 Euro. Im Sommer lässt sich die originale Route des Akropolis-Express noch etwas besser nachempfinden – dann könne man nämlich ganz auf Gleisen von München nach Zagreb mit dem Nachtzug reisen, dann weiter mit dem Tagzug nach Belgrad und dann wieder mit dem Nachtzug nach Thessaloniki. Auf dieser Strecke sind die Fahrpläne allerdings nicht aufeinander abgestimmt, Übernachtungen in Zagreb und Belgrad seien nötig, so Bohun. Übrigens: Anfragen bei traivelling sind im Moment wegen Umbauarbeiten an der Webseite nicht möglich.
Direkt per Bus für Verwegene
Eine Alternative, eine Reise nach Griechenland ganz ohne Flugzeug zu bestreiten – auch ohne allzu viele und stressige Umstiege – sei der Vollständigkeit halber hier noch festgehalten. Aktuell gibt es nämlich eine Direktverbindung nach Griechenland: eine knapp 47-stündige Busfahrt von Hamburg nach Athen. Diese Variante kommt aber wahrscheinlich nur für ganz Verwegene in Frage. Im schienenmäßig gar nicht so vereinten Europa ist es also nicht einfach, jedes Eck des Alten Kontinents auch tatsächlich per Zug zu erreichen. Wer dennoch Lust auf einen entschleunigten Trip auf Schienen bis an die Ägäis verspürt, kann wirklich mal darüber nachdenken. Ein Erlebnis wird das ohne Zweifel. Aber eines braucht man sicher: Zeit.
Text von Leon Zorn
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 836 am 10. Mai 2022.