Finikounda liegt unweit eines kilometerlangen Sandstrands. Die ersten Touristen verirrten sich Ende der 1960er hierher. Jetzt kann der Ort samt Umgebung mit etwa 2.000 Betten aufwarten und hängt größtenteils vom Tourismus ab. Für Urlaubshöhepunkte a la grecque ist das kein Hinderungsgrund – ob landschaftlich, menschlich oder kulinarisch.
Von Klaus Holdefehr
Finikounda. Muss was mit Palmen zu tun haben. Dabei stehen in dem kleinen Küstenort in Südmessenien davon nur wenige. Oder haben gar die Phönizier die Siedlung gegründet? So alt ist das Dorf wohl bei weitem nicht. Einwohner mit Bezug zur Ortsgeschichte erzählen, dass es wohl Fischer aus Kreta waren, die hier die ersten einfachen Gebäude errichteten. „Vorher war hier nur Sand“, mutmaßen sie.
Textilfreie Strandzonen
Und davon gibt es auch heute noch reichlich. Vom Studio bis ins Ionische Meer sind es im besten Fall gerade einmal zehn Meter. Finikounda kann aber ein wenig außerhalb auch noch mit einem regelrechten Dünengebiet aufwarten, das von Anemomylos bis Mavrovouni in einem kilometerlangen Sandstrand ausläuft und inzwischen Raum für etliche Campingplätze bietet. Besonderheit: 200 bis 300 Schritte abseits der Zivilisation beginnt die textilfreie Strandzone, seit langem toleriert und in verschiedenen FKK-Führern verzeichnet.
Jede Menge Sand: Strand zwischen Mavrovouni und Anemomylos.
Mitten im Dorf steht eine große Kirche, die vermutlich mehr Besucher fasst als Finikounda Einwohner hat. Dahinter hat sich ein Supermarkt breit gemacht, der zwar nicht der einzige, aber der mit dem vielfältigsten Sortiment ist und sich diese Ausnahmestellung auch bezahlen lässt. Die Grundschule und einige kleine Hotels ergänzen dieses Ensemble. Quer dazu und parallel zur Küstenlinie verläuft die „Hauptstraße“ des Ortes, knapp einen Kilometer lang und gesäumt von gefühlt einem Dutzend Tavernen. Dazu Souvenirshops und noch ein paar „ganz normale“ Geschäfte, Eisdielen, Cafés, Bars. Wo sonst als auf dieser „Magistrale“ sollte die abendliche „Volta“ stattfinden, der Bummel mit ausgiebigen Sozialkontakten, der angesichts des Hin und Her auch auf häufiges Wiedersehen ausgelegt ist.
Vólta-Zeit in der Flaniergasse von Finikounda.
Berühmtes Stifado einer Witwe
Der Weg führt vorbei am „Omega“, einer Taverne, die Anastasia Vorliotis in einer „One-Woman-Show“ alleine bewirtschaftet. Wirklich alleine. Sie kauft ein, sie kocht, sie serviert – bis weit in die Nacht hinein. Eine erstaunliche Leistung für eine 74-Jährige. Erzwungen durch materielle Not? Als die Sprache darauf kommt, spricht sie tatsächlich von ihrer „Syntaxoula“. Die Griechen lieben Verniedlichungsformen, aber von einem „Rentchen“ haben wir bis dahin nichts gehört und sind begeistert ob der tiefen Wahrheit, die nach diversen von Europa erzwungenen Kürzungen in dieser Verkleinerung steckt.
Aber Tasía scheint ihr Auskommen zu haben, zumal sie weder Pacht noch Miete zahlen muss, sondern Eigentümerin des Hauses ist, „in dem ich geboren bin“. Der Grund für ihre Betriebsamkeit ist ein anderer: „Ich möchte aufrecht sterben“, sagt sie und beschreibt damit den Wunsch, lieber in der Küche bei der Zubereitung ihres weithin gerühmten Stifado tot umzufallen als auf dem Bett dem Sensenmann entgegenzuwarten.
Das „Omega“ ist beliebt bei Touristen, auch wenn sich die Fremdsprachenkenntnisse der Wirtin auf ein Minimum beschränken. Die Qualität ihrer Gerichte spricht für sich, und insbesondere in der Hochsaison sind die wenigen Tische „draußen auf der Gass“ schnell vergeben.
Eine Verabredung am Vormittag hilft, mit Tasia ausführlicher ins Gespräch zu kommen. Dabei wird eine Unmenge Knoblauch gehäutet und macht Vorfreude auf den Abend. Dabei hat sie Zeit zu erzählen. Von ihrer Kindheit in Finikounda, „wo viel weniger Häuser standen als heute. Wir waren fünf Mädchen und ein Junge. Davon leben heute noch zwei Mädchen. Ich habe nur sechs Jahre die Volksschule besucht. Mit meinem Mann habe ich diese Taverne eröffnet. Wir haben auch ein paar Zimmer vermietet. Seit 1996 bin ich Witwe.
Anastasia Vourliotis – beim Knoblauchschälen und vor der Seeschlacht von Navaríno.
Die Seeschlacht von Navarino
1967 kamen die ersten Touristen nach Finikounda. Deutsche, Österreicher. Damals haben noch mehr Menschen im Dorf gelebt. „Vor allem hatten wir viel mehr Kinder“, erinnert sich Tasia, „Strom haben wir erst ein paar Jahre später bekommen. Aber es gab eine Bäckerei, ein Lebensmittelgeschäft, sogar eine Mühle.“
Inzwischen hänge fast alles vom Tourismus ab. „Früher hatten die Menschen Gewächshäuser, Landwirtschaft. Ich habe selbst in einem Jahr 18.000 Tomaten gepflanzt. Aber inzwischen haben viele die Landwirtschaft aufgegeben, oder die Geschäftsleute betreiben Gärten und Gewächshäuser nur noch für ihren Eigenbedarf.“
Und wie hat Corona mit allen Kontaktbeschränkungen dieser tourismus-abhängigen Ökonomie zugesetzt? „Ich habe die Taverne zugesperrt und gemalt“, sagt Tasia und verweist auf ein großes Wandbild, das viel über das Leben im Dorf vor dem Tourismus erzählt. Es ist ein Kunstwerk, das Raum für viele kleine Episoden bietet. Und dann lädt uns die Autodidaktin zu einem Rundgang durch das Haus ein, das einer Galerie gleicht. Bleistiftzeichnungen von Verwandten, zeitgenössische Szenen, ein fantasiertes Afrika, in dem ein Elefant die anderen Tiere vor einem großen Feuer warnt, schließlich die Seeschlacht von Navaríno – das alles muss einmal in einer Galerie der Offentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Mit Campingplätzen fing es an
Szenenwechsel. Wir sitzen mit Konstantina, unserer Zimmerwirtin, auf ein Glas Wasser zusammen. Schnell kommen weitere Familienmitglieder hinzu, freuen sich über die Stammgäste aus Deutschland, mit denen auf Griechisch geplauscht werden kann. Jota, Konstantinas Schwiegermutter, freut sich besonders, denn ein chirurgischer Eingriff am Fuß hat sie eine Woche in die Horizontale gezwungen, und wenn sie nicht mit Harke und Gartenschere das Grün pflegen kann, das liebevoll die zehn Studios der Familie einrahmt, ist sie sehr, sehr unzufrieden.
Aber jetzt soll „Finikounda und der Tourismus“ Thema sein. Mein Großvater hat hier das Grundstück gekauft“, erzählt die 71-jährige Jota. „Hier standen zwei, drei Häuser von Fischern, ansonsten war hier nur Sand. Und es gab eine Taverne“.
Weit und breit soll das die einzige gewesen sein, weswegen der Ort auch „Taverna“ genannt wurde. Das sei wohl so gewesen, bestätigt Jota. In dieser Zeit seien nur wenige Touristen nach Finikounda gekommen, mit Anemomylos und Loutsa die ersten Campingplätze entstanden, „und wir haben 1984 die ersten Zimmer angeboten“, berichtet die 44-jährige Konstantina. „1986 sind weitere hinzugekommen, und 2000 ist der heutige Komplex mit acht Studios fertig gestellt worden.“
2002 hat Konstantina, die aus dem Bergdorf Chrisokellaria stammt, hinunter ans Meer geheiratet – und wurde damit Teil eines Familienbetriebs, der seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen aus dem Geschäft mit den Fremden bestreitet, die hier schnell Familienanschluss finden. Auf „rund 2.000 Betten“ sei das Beherbergungsvolumen von Finikounda unter Berücksichtigung der näheren Umgebung inzwischen angewachsen, schätzt ihr Ehemann Jannis.
Konstantina Tsonis
Die große griechische Kunst
Die beiden haben zwei Kinder: Die Tochter, die dem griechischen Familiensystem den Vornamen der Großmutter Jota weiterträgt, studiert mittlerweile in Patras. Was den Namen des Sohnes angeht, der jetzt in den Ferien seinen ersten Job als Kellner in einer der Tavernen angenommen hat, gilt das selbe: Er heißt Thanassis, wie sein Großvater.
Die beiden Senioren beziehen Rente, und das gesammelte Familieneinkommen scheint auch für die Finanzierung der weiteren Ausbildung des Nachwuchses und den Ausbau des Familienbetriebs zu reichen. Vor ein paar Jahren haben die Tsonis ein Grundstück mit kleiner Hütte direkt vor ihrem Studiokomplex erworben. Was daraus werden soll? „Ein Café“, antwortet Konstantina mit einer Geschwindigkeit, als stünde die Eröffnung bereits unmittelbar bevor.
Wenn die Familien-Ökonomie derart vom Fremdenverkehr abhängt, wie sehr haben dann eigentlich die Corona-Lockdowns eingeschlagen? „Na ja, ein paar Gäste hatten wir eigentlich immer“, versichert die sehr jugendlich wirkende Frau lächelnd und ruft damit einmal mehr die große griechische Kunst des Durchwurstelns ins Bewusstsein.
Aber würde Finikounda ohne den Tourismus überhaupt noch existieren? „Wohl eher nicht“, meint Konstantina. „Früher gab es hier viele Gewächshäuser, aber mit dem Beitritt Griechenlands zur EU sind die Preise gefallen, und jetzt werden die Gärten fast nur noch für den Eigenbedarf bewirtschaftet.“ Das praktiziert sie auch selbst, und gelegentlich beschert das ihren Gästen auch zwei Handvoll Eier von sehr glücklichen Hühnern, ergänzt durch eine Flache Olivenöl aus eigener Produktion.
Fisch mit Ladolemono-Sauce
Oliven hegt und pflegt auch Stavros, der Wirt einer Taverne im Osten der touristischen Ortsmagistrale. Er spricht passabel Deutsch, was ihm natürlich einen Marktvorteil beschert. Dazu kommt: Essen ist gut, Preise sind günstig. Stavros steht für eine (Liebes-) Geschichte, wie sie der Tourismus gelegentlich schreibt und in der eine Frau aus einer deutschen Großstadt eine große Rolle spielt.
Sie kam in den 80er Jahren als Touristin nach Finikounda. Aus den beiden wurde ein (Ehe-) Paar, und der Grieche vom Land folgte der Deutschen in die Großstadt. Während sie beruflich dem Recht zur Geltung verhalf, war er ein wenig Hausmann, kümmerte sich um den gemeinsamen Sohn und arbeitete in der Gastronomie.
„Aber er war in Deutschland nicht glücklich“, berichtet ein deutscher Freund in einer dieser zufälligen Kneipenrunden, wie sie unter abendlichem Urlaubshimmel so gern und leicht zusammenfinden. „Er war sogar so unglücklich, dass er krank wurde.“
Die Taverne in Finikounda, die es erst seit 2007 gibt, ist also auch Therapie für den drahtigen Man im siebten Lebensjahrzehnt – und funktioniert als Kompromiss unterschiedlicher Lebensbedürfnisse in einer Liebesbeziehung. Es gibt viele gegenseitige Besuche, und groß ist die gemeinsame Freude aufs zweite Enkelkind.
Die beste Zeit für einen Abend bei Stavos ist der frühe Herbst. Dann bevölkern die Gewässer vor der Südküste Messeniens Schwärme von Lamborda-Fischen – und etliche landen auf den Tischen der Taverne, frisch, gegrillt, filetiert, mit der traditionellen Ladolemono- (Olivenölzitronen-) Sauce. Ein kulinarischer Reisehöhepunkt.
Stavros Kalomiris