Zwischen Schluchten, Seen und Gipfeln: Natur im Überfluss
Griechenlands Nordwesten ist im Ausland noch weithin unbekannt. Wir sind mit unseren Erkundungen im ersten Teil unserer Reise von Igoumenitsa bis Monodendri gekommen. Jetzt geht es weiter über Kastoria bis zu den Prespa-Seen und nach Nimfeo bei Florina.
Nach einer herrlich stillen Nacht mit schönstem Sternenhimmel steht früh am nächsten Morgen die Durchwanderung der Vikos-Schlucht auf unserem Programm. Sie gilt als tiefste Schlucht Europas – wenn man Breite der Schlucht und Höhe der Felswände in Relation zueinander stellt. Verstehen wir nicht, eindrucksvoll ist sie aber auf jeden Fall. Auf über 15 Kilometern Länge hat sie sich bis zu 700 Meter tief ins Gebirge eingegraben und sich in mehrere Nebenschluchten verzweigt. Talboden und Hänge sind mit Hain- und Hopfenbuchen, Ilex, Silberlinden, Walnussbäumen und Bergahorn dicht bewaldet. Über der Schlucht kreisen oft Schmutz- und Gänsegeier, halten Schlangen-, Stein- und Zwergadler nach Beute Ausschau. Ein Dorf oder auch nur einen Getränkekiosk gibt es in der Schlucht nirgends. Von Monodendri steigen wir eine Stunde stets nur bergab. Dann führt ein Wanderpfad vier bis fünf Stunden lang manchmal durch ein steiniges, im Sommer meist ausgetrocknetes Flussbett, meist aber in ständigem Auf und Ab an dessen Rand entlang. Am Ende heißt es, sich zu entscheiden: Am linken Flussufer entlang kann man in etwa 90 Minuten zum 320 Meter höher gelegenen Dorf Vikos hinaufsteigen, über dem rechten Flussufer klettert ein Pfad noch höher ins Dorf Megalo Papingo hinauf. Wir entscheiden uns für die kürzere Variante.
Das Dorf Vikos überrascht uns. Vor 20 Jahren waren wir zum letzten Mal hier. Damals war es ärmlich, heute wirkt es fein herausgeputzt. Die Taverne ist immer noch im Besitz der gleichen Familie, die als Zimmervermieter allerdings einige Konkurrenz bekam. Der Wirt erzählt uns, dass für den Aufschwung hier und vor allem im größeren Nachbardorf Aristi vor allem Israelis sorgen: Sie kommen zu Tausenden, um den Frieden in dieser Region zu genießen. Etliche haben sich hier auch schon Häuser gekauft.
Jede Menge Aktivitäten
Die Vikos-Schlucht und die Dörfer der Zagora – die Zagorochoria – sind zumeist Teil des Vikos-Aoos-Nationalparks, der zu den größten Griechenlands zählt. Er ist ein Dorado für Aktivurlauber. Fürs River Rafting auf dem Voidomatis-Fluss oder einen kleinen Ausritt zu Pferde genügt ein halber Tag Zeit, für Mountainbiking, Kajak-Wildwassertouren und geführtes Trekking im bis zu fast 2.500 Meter hohen Tymfi-Gebirge braucht es etwas mehr Muße. Relativ gut organisierte Veranstaltungsbüros vor Ort helfen bei allem. Besonders engagiert zeigt sich hier ganzjährig Trekking Hellas am Ufer des Voidomatis nahe der Nationalstraße von Ioannina nach Konitsa. 19 Guides sind beschäftigt, alle sprechen gut Englisch. Gleich neben der Station werden Zimmer vermietet, sorgt eine Taverne direkt am Fluss für frische Forellen vom Holzkohlengrill und Koteletts von Lämmern aus der Region.
Fresko in Agios Germanos: Das Jüngste Gericht.
Schönes Konitsa
Auf der Rückseite des Tymfi-Gebirges zieht sich Konitsa wie ein rasch breiter werdender Häuserstrom einen steilen Hang im Einschnitt zwischen zwei Bergen hinunter. Von Ferne gleicht es einem großen, am Hang liegenden Dreieck. Das Städtchen liegt genau da, wo der Fluss Aoos aus einer Schlucht austritt. An dieser Stelle überspannt ihn die größte einbogige osmanische Brücke des Balkans: 19,25 Meter hoch und 35 Meter lang. Man kann sie noch immer begehen. Aus osmanischer Zeit stammen auch die Überreste einer Moschee und die Ruinen der Paläste mehrerer osmanischer Beys. In einem von ihnen wurde einst Hamko, die Mutter von Ali Pascha geboren, des „Löwen von Ioannina“. Zu Konitsa gehören die 42 Dörfer der Mastorochoria, der „Dörfer der Maurermeister“. Von hier aus zogen die Handwerker in osmanischer Zeit durch ganz Griechenland und über den Balkan, denn bessere Häuser- und Brückenbauer als sie gab es weit und breit nicht. Ihre Heimatdörfer zeugen noch heute von ihrem Können.
Über 70 byzantinische Kirchen stehen in Kastoria.
Von Klaus Bötig