Nur knapp 6.000 Einwohner hat die kleine Insel Skiathos in den Nördlichen Sporaden. Doch ihr Ruf ist ziemlich groß: Einige der schönsten Strände der Ägäis, ja ganz Griechenlands besitzt sie, ist ungewöhnlich grün und liegt herrlich in ein Inselarchipel eingebettet. Nur zwei Stunden dauert der Flug von Frankfurt. Bis Mitte Oktober gibt es Direktflüge zum kleinen Flughafen, der bei Planespottern legendär ist: Die Landebahn ist kurz und nur wenige Meter über den Köpfen von Schaulustigen donnern die Maschinen in einem spektakulären Anflug herab.
Ein Taxi bringt uns ins kleine, überaus charmante Altstadthotel Mato, wo Gastgeberin Fofi uns begrüßt. Das Zimmer ist noch nicht ganz fertig. Wir machen also einen ersten Gang durch die weiß leuchtende Altstadt, die rund um zwei Hügel erbaut ist. Es ist Ende September. Es sind noch eine Menge Touristen in der Stadt, doch hören wir, das wäre kein Vergleich zu den Sommermonaten, wo die Menschen sich durch die Gassen zwängen würden. Es herrscht nachsaisonale Stimmung. Einige der Restaurants haben schon geschlossen – oder sind gerade dabei, ihre Häuser winterfest zu machen. In den kommenden Wochen werden immer mehr Bars, Geschäfte und Tavernen schließen, bis das Leben hier, so sagen Einheimische, im November dann beinahe ganz zum Stillstand kommen wird.
Doch noch befriedigt man herzlich die Bedürfnisse des Tourismus. Man muss hier kein Auto mieten – es gibt eine Straße, welche die Insel durchquert. Auf dieser fährt jede halbe Stunde ein Bus die Stationen 0 bis 26 ab. An beinahe jeder erwartet uns ein neuer, schöner Strand, doch die meisten Strandtavernen haben nun schon geschlossen.
Warum fährt man auf die nur 11 Kilometer lange Insel Skiathos, welche die kleinste bewohnte Insel der Nördlichen Sporaden ist? Vor allem des Badens wegen. Über 60 schöne, gepflegte Strände gibt es. Zumeist Sandstrände wie der lange, bekannte Koukounariés-Beach oder der eindrucksvolle Kieselstrand Lalária, der unter steilen Klippen mit unfassbar türkisblauem Wasser aufwartet. Natürlich bieten viele kleinere und größere Boote Ausflugsfahren zu verschiedenen Stränden und auch zu den Nachbarinseln an.
Wandern kann man aber auch: Es gibt über zwanzig markierte Routen, deren Ziel oft auch Strände sind. Es ist ein Deutscher, der diese Wege markiert hat und bis heute pflegt: Ortwin Widmann, der seit 1997 hier lebt und auch einen Wanderführer geschrieben hat, der in Buchläden und Souvenir-Shops auf der Insel – oder auch über seine Internet-Seite zu erwerben ist. 200 Kilometer Wanderwege gibt es.
Man durchwandert also auf Widmanns Spuren hügelige Kiefern- und Pinienwälder – und kann dabei herrliche Blicke auf das Inselarchipel der Sporaden und auch auf das Festland werfen. Etwa vier Kilometer ist dieses entfernt: der sanft geschwungene Gebirgszug des Pilion. 15 km nordöstlich liegt die große Insel Euböa. Die Insel Skopelos – auch in Sichtweite – liegt etwa 8 km gen Osten. Nach Skiathos kommt man nicht nur mit dem Flugzeug, sondern auch mit dem Schiff. Es gibt Fährverbindungen zu den Inseln Skopelos und Alonnisos und nach Volos und Thessaloniki. Wein, Oliven, Fischfang – das war einmal. Heute leben die Menschen vom Tourismus. Kulturreisende finden hier nicht viel, doch immerhin: viele kleine Kirchlein, die allesamt geöffnet sind, die aus dem 13. Jahrhundert stammende Ruine einer ehemaligen venezianischen Festung auf der Halbinsel Boúrtzi, die verfallene, mittelalterliche Siedlung Kástro aus dem 14. Jahrhundert (ein stiller, mystischer ehemaliger Zufluchtsort vor Piratenüberfällen, zu dem man auch wandern kann) und schließlich das Kloster Evangelistria, wo die damals neu entworfene und hier gewebte griechische Flagge, das weiße Kreuz auf blauem Grund, von Freiheitskämpfern im Jahr 1807 das erste Mal gehisst wurde.
Schließlich gibt es auch noch das Museum und ehemalige Wohnhaus des 1911 verstorbenen, in Skiathos geborenen Dichters Alexandros Papadiamantis, der auch dem Flughafen seinen Namen gegeben hat. Sein bekanntestes Buch „Die Mörderin“ bietet schöne Schilderungen eines vergangenen Skiathos, wurde auch ins Deutsche übersetzt – und ist eine zwar wenig sommerliche, aber dennoch eindrucksvolle Urlaubslektüre. Das alles ist aber etwas zu wenig, um allzu viele Kulturtouristen nach Skiathos zu locken. Und so kommen Segler und Bootsleute, die von Hafen zu Hafen hüpfen. Sowie all jene, die einen eher individuellen Badeurlaub auf einer erstaunlich grünen, griechischen Insel erleben wollen. An einem Ort, der zwar den Tourismus seit einigen Jahren kennt, doch keine Bettenburgen und keine Großgastronomie, sondern gerade in der Nachsaison sympathisch überschaubar geblieben ist. In der Saison bieten viele Wassertaxis Fahrten zu nahegelegenen, kleinen, unbewohnten Inseln an, etwa zur Insel Tsougrias, wo weitere schöne Strände und kleine Strandbars auf Besucher warten.
Tatsächlich ist es die Kleinheit, die Überschaubarkeit, die hier viel Geborgenheit vermittelt. Nach drei, vier Spaziergängen kennt man die verwinkelten, mit Stein gepflasterten Altstadtgassen einigermaßen, auch wenn man sich in diesem Gewirr von Häusern aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert immer wieder verläuft.
Schnell aber hat man seine Lieblingstaverne gefunden. Manche halten das „Amfliki“ für die beste Adresse für traditionelle Küche. Wir ziehen aber das „Milos“ in der alten Windmühle am neuen Hafen oder vor allem das „Mesogia“ in der Altstadt vor. Beide funktionieren ganz nach dem Prinzip einer traditionellen Taverne: einfache Holztische, eine Papierdecke darüber, Brot mit Butter, Wein aus Blechkaraffen in kleinen Gläsern und die Klassiker der griechischen Küche von Oktopus und Sardinen zu Lamm, Stifádo und Briám.
Drei Wochen waren wir auf der Insel, dachten ab und an daran, eine der Nachbarinseln wie Skopelos zu besuchen – und haben es doch nicht getan. Skiathos kann auch drei Wochen beglücken!
Von Marc Peschke