Ios gilt als Partyinsel der Jugend, ihre Chora als Kykladenjuwel. Laut antiken Textquellen wurde hier Homer begraben. Kimolos hingegen darf als Aschenputtel unter den Kykladen gelten. Bergbau hat arg an der Insel genagt. Aber immerhin: Viele Häuser in Athen und Piräus wurden im 19. Jahrhundert aus Steinen von hier erbaut, in der Antike war Kimolos berühmt für seine Kreide.
Ios ist im Sommer ein Drehkreuz im griechischen Inselverkehr. Mehrmals täglich legen hier Fähren und Katamarane auf ihrem Weg zwischen Mykonos, Santorin und Kreta an, kreuzen sich mit schnellen und langsamen Schiffen auf dem Weg zwischen Milos, Amorgos und manchmal sogar dem Dodekanes. Yachtskipper schätzen die geschützte Hafenbucht, osteuropäische und andere Milliardäre protzen hier gern mit ihren Luxusyachten. Ios ist „in“.
Kimolos hat eigentlich nur zwei Anleger und gar keinen richtigen Hafen. Hauptnutzer ist eine offene kleine Autofähre vom Typus „Pantoffel“, die Kimolos mit dem nur 30 langsame Minuten entfernten Anleger von Pollonia auf Milos verbindet. Auch die Fähren von Ios in Richtung Westkykladen und Piräus stoppen hier kurz. Für den yachtenden Jetset ist Kimolos völlig uninteressant. Wenn schon, dann machen sie auf der vorgelagerten Privatinsel eines griechischen Reeders fest.
Ruhe vor dem Sturm: Die Platia von Ios.
Unterwegs auf dem Geowalk
Sich für Kimolos zu begeistern, fällt anfangs schwer. Die Hafensiedlung Psathi mit winzigem Strand, einer Autovermietung und drei Tavernen wirkt trostlos. Wir sind mit dem Jeep von Milos herübergekommen und starten gleich mit einer Rundfahrt auf dem Geo Walk der Insel, für den man im Bergbaumuseum auf Milos eine gute Karte erstehen kann. 17 Kilometer lang ist die Tour, 14 davon sind auch mit dem Geländewagen machbar. An der fjordartigen Bucht von Agios Minas schwelgen unsere Augen im rötlichen Braun des inseltypischen Tuffsteins: Mauern und Häuser sind aus ihm erbaut, heben sich kaum von den umliegenden Hängen aus dem gleichen Gestein ab. Einigen Kimolioten hat es im 19. Jahrhundert Wohlstand und Vielen Arbeit beschert: Aus solchen Tuffsteinblöcken wurden damals stattliche Häuser in Piräus und den westlichen Vororten Athens erbaut. Sie waren leicht zu schneiden, wogen wenig, waren leicht zu bearbeiten und äußerst haltbar.
Nur wenig später ist Weiß die landschaftsprägende Farbe. Wir stehen an einer alten Verladeanlage für Bentonit, das auch heute noch von etwa 40 Arbeitern auf der Insel abgebaut wird. Schön ist es auch hier nicht, aber anrührend schon. Wir denken an Alexis Sorbas und sein Bergwerk, in dem wohl mit ebenso primitiven Mitteln gearbeitet wurde. Das kleine Thermalbad ein paar hundert Meter weiter nördlich gehört in die gleiche Kategorie: drei Badewannen in einem Flachbau direkt am Meer, gefüllt mit schwefelhaltigem und leicht radioaktivem Thermalwasser, das direkt hier aus der Erde tritt. Einheimische nutzen es immer noch. Kurz darauf folgt der Strand von Prassa ganz ohne Sonnenschirmvermieter und Beach Bar. Dahinter steigt die Piste ins heute noch aktive Bentonit-Bergwerk ab.
Wir wenden und folgen der sehr holprig werdenden Piste landeinwärts. Zahlreiche Terrassen zeugen von einstiger landwirtschaftlicher Aktivität auf der Insel, doch bewirtschaftet wird kaum noch eine. Niemand wohnt im Inselinnern, nur Kirchen stehen noch mehr oder minder gepflegt in der bis auf 364 Meter Höhe ansteigenden Landschaft. Selbst Schafe und Ziegen sehen wir nirgends. Wilde Ölbäume, Heidekraut, Zistrosen und Mastixsträucher sind die dominierenden Pflanzen in der Phrygana, der für Griechenland typischen Form der Macchia. Wahrhaft herausragende Sehenswürdigkeit ist allein der Pilz von Skiadi, der nur über einen 1,5 Kilometer langen Fußpfad erreichbar ist: Über einen Fuß aus weißem Tuff spannt sich ein Schirm aus rötlich-braunem, auch „Feuerregen“ genannten Ignimbrit (viele schöne Fotos via Google unterm Suchbegriff „skiadi, kimolos, photos“).
Ganz schön fromm: Die Chora von Ios.
Stilles Chorio
Nach 13 Kilometern und insgesamt drei Stunden sind wir wieder in der menschlichen Zivilisation, parken am Rande des Chorio. Hier leben fast alle der nur noch 750 Kimolioten. Das Dorf hat sich kein bisschen für den Tourismus herausgeputzt. An der Hauptgasse gibt es nur wenige Tante Emma-Läden – und das Café „Kali Kardia“. Hier wird uns der leckerste Schokoladen-, Orangen- und Zitronenkuchen serviert, den wir je in Griechenland aßen – und auch die Kichererbsenbratlinge revithokeftedes sind exzellent. Unser Ziel ist das typisch kykladische Kastro-Viertel: Ein trapezförmiges Rechteck aus mittelalterlichen Häusern, deren Außenwände zugleich die „Stadtmauer“ bildeten, und auf dem Freiraum dazwischen eine Kirche, die bei Piratenüberfällen als letzter Rückzugsort diente. Anders als das ganz ähnliche Kastro von Antiparos verfällt dies hier zusehends, verströmt keinerlei romantisches Flair. Nur in der Gasse unmittelbar vor einem der beiden Tore zum Kastro gibt es ein kleines touristisches Angebot mit Taverne, Bar und einem erst 2006 eröffneten Archäologischem Museum.
Vor der Rückkehr zum Hafen schauen wir uns noch die Hauptstrände im Inselsüden an, die im Sommer sogar vom Inselbus angesteuert werden. In der Hauptsaison ist er von 10 Uhr morgens bis Mitternacht fast ständig zwischen ihnen, dem Chorio und dem Hafen unterwegs – und das bei nur 350 Fremdenbetten auf dem ganzen Eiland. Wir wundern uns, denn Touristen haben wir jetzt – Anfang Juni – fast gar nicht gesehen. An den Sandstränden Aliki, Kalamitsi und Bonatsa stehen die meisten Urlaubsquartiere, ein organisiertes Strandleben gibt es nirgends. Wir ziehen ein Fazit: Für Inselsammler ist Kimolos natürlich ein Muss. Ansonsten aber würden wir es auf der Liste der sehenswertesten griechischen Insel im untersten Fünftel ansiedeln.
Laute Chora
Im Gegensatz zum Chorio auf Kimolos ist die Chora von Ios ein Bilderbuchdorf. Ihre kubischen Häuser klettern schneeweiß von einem Bergsattel zwischen zwei sandigen Buchten zu einem konischen Gneisfelsen an, der einst die antike Akropolis und die mittelalterliche Burg trug. Palmen ragen wie Traumbilder über diese Symphonie in Weiß und geben der Chora fast ein afrikanisch anmutendes Gesicht. Blaue Kuppeln verbinden Kirchen und Kapellen mit dem Himmel. Der ganze Ort ist fein herausgeputzt, zahlreiche Boutiquen, Tavernen, feine Restaurants und vor allem Bars säumen die engen, oft blumenreichen Gassen. In der Vor- und Nachsaison ist alles Idylle, nur im Hochsommer für Viele die Hölle: Dann tobt sich hier die internationale Jugend aus, wer über Fünfundzwanzig ist, gehört schon zum alten Eisen.
Doch Ios ist mehr als eine Partyinsel mit exzellenten Sandstränden. Auch der Kulturinteressierte kann hier gut zwei oder drei Tage verbringen. Am unteren Rand der Chora wartet ein kleines, modernes Archäologisches Museum auf Besucher. Es birgt hauptsächlich Funde von Skarkos, der bedeutendsten archäologischen Stätte der Insel. Wer mag, kann von der Chora aus in etwa 20 bis 30 Minuten dorthin laufen. Die 1984 begonnenen Ausgrabungen der prähistorischen, bronzezeitlichen Siedlung Skarkos aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. sind erst seit 2008 für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Siedlung lag an einem niedrigen, flachen Hügel unterhalb der heutigen Chora. Dieser Hügel wird von mehreren Steinmauern umzogen, die die verschiedenen Siedlungsebenen voneinander trennten. Schautafeln zeigen das ursprüngliche Wegenetz im Dorf mit seinen vielen kleinen, platzartigen Erweiterungen. Von ihnen aus waren die einzelnen Hauskomplexe zugänglich. Die beiden Hauptwege im Dorf waren jeweils etwa zwei Meter breit. Zwischen den Grundmauern der Häuser sind immer wieder steinerne Treppenabsätze erkennbar, die von einem Obergeschoss zeugen. Die Häuser waren unterschiedlich groß, was für eine soziale Differenzierung innerhalb der Dorfgemeinschaft spricht.
Homer: Wurde er hier auf Ios begraben?
Grab des Homer?
Nur mit dem Mietwagen oder -moped kommt man von der Chóra zu einem der landschaftlich schönsten Flecken der Insel: dem sogenannten Grab des Homer. Die 18 Kilometer lange Fahrt dorthin führt zunächst durch die kleine, fruchtbare Hochebene von Pano Kambos und dann an Hängen entlang, deren verfallende Terrassen von einst intensiver landwirtschaftlicher Nutzung zeugen. Die bestens ausgebaute Asphaltstraße zum Grab des Homer, auf dem außer Urlaubern fast nie jemand fährt, endet an einem Rondell, das phantasievoll an einen traditionellen Dreschplatz und damit an den Fleiß der einstigen Bauern erinnert. Drei senkrecht aufgestellte Steilplatten markieren hier den Beginn eines etwa 400 Meter langen Fußwegs. Gleich rechts tragen fünf Marmorstelen Inschriften in fünf Sprachen. Es sind Zitate aus je einem Werk des antiken Historikers Herodot und des ersten Reiseschriftstellers der Weltliteratur, des Griechen Pausanias. Beide berichten, dass Homers Mutter aus Ios stammte und dass der Dichter auf Ios gestorben und begraben sein soll. Das Grab ist kaum mehr als ein Geviert von Trockensteinmauern, angereichert mit einigen in der Umgebung gefundenen antiken Architekturfragmenten. Schon immer an diesem Ort stand nur der marmorne Trilith, gefügt aus zwei senkrechten und einer waagerechten Marmorplatte. Er war aber auf keinen Fall Teil eines Grabes aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., sondern gehörte vielleicht zu einem hellenistischen Wachtturm. Doch das interessiert hier kaum Jemanden: Zu erhaben ist das Gefühl, sich hier einem der größten Dichter der Geschichte nahe wähnen zu dürfen. Und der Blick gen Norden auf die Kleinen Kykladen, Naxos und die Ägäis ist ohnehin faszinierend. Es gibt wohl keinen besseren Ort als diesen, aus ein paar mitgebrachten Kopien oder einem Download homerische Texte laut zu rezitieren ...
INFOS
Gute Websites: www.gokimolos.gr, www.loveiosgreece.com
Fährverbindungen: www.kimolos-link.gr (lokale Fähre Milos-Kimolos); www.gtp.gr (andere Fähren)
Empfehlenswerte Unterkünfte: www.kimoliagi.gr, www.kimolosrooms.com; www.acteon.gr; www.iospavezzo.com
Von Klaus Bötig