Milos – Ein besseres Santorin? Von Santorin träumt alle Welt, nach Milos kommen nur Kenner. Vulkanismus hat beide Inseln geprägt. Das verbindet die beiden. Doch Santorin hat sich jetzt total dem Tourismus verschrieben. Auf Milos hingegen spielt der Bergbau noch eine große Rolle.
Santorin zählt oft in einer Woche mehr Besucher als Milos im ganzen Jahr. Allein im Juli 2017 laufen 61 Kreuzfahrtenschiffe Santorin an – nach Milos kommt eins jede Woche. Auf dem Flughafen von Santorin landen rund um die Uhr Jets, brachten 2016 fast 1,7 Millionen Gäste auf die Insel. Milos wird nur mit Propellerflugzeugen angeflogen, die 2016 gerade einmal 45.000 Passagiere auf die Insel transportierten. Dabei ist Milos auch noch fast doppelt so groß wie die berühmtere Schwester.
An Schönheit steht sie ihr kaum nach. Was für Santorin die weißen Kraterranddörfer, sind für Milos seine Syrmata: Küstensiedlungen mit aneinander gereihten, zweigeschossigen Häusern: Oben Wohnraum, unten Bootsgarage. Oft sind sie in den Fels hineingeschnitten, immer geben sich Türen und Fensterrahmen äußerst farbenfroh. Die meisten werden noch heute zumindest als Sommerhäuschen von den Einheimischen genutzt. Klima, Mandrakia und Fyropotamos sind wohl die schönsten von ihnen.
Weitaus attraktiver als Santorin ist Milos, wenn es um Strände und Bademöglichkeiten geht. Manche sind vom Haupturlaubs- und Hafenort Adamas (was „Diamant“ bedeutet) zu Fuß oder mit Linienbus erreichbar, viele mit Moped oder Mietwagen, einige nur per Jeep und andere wiederum allein mit dem Boot.
Typisch Milos: Klima.
Mit dem Boot um die Insel
Wir nehmen Milos erst einmal mit der „Kapetan Yiangos“ in Augenschein, dem traditionsreichsten Kaiki für Inselumrundungen. Kapitän Stavros, der barfuß auf der Brücke steht, dreht die ganztägige Runde seit 22 Jahren. Er kennt jede Untiefe, jeden Fels. Manchmal fährt er so dicht an spektakuläre Gesteinsformationen heran, dass man sie anfassen kann. Er schiebt den Bug des Doppeldeck-Bootes in Felstore und Grotten hinein und kennt die besten Ankerplätze. Derweil rufen die zumeist griechischen Passagiere an Bord immer mal wieder staunend „possa diaforetika ta chromata – wie unterschiedlich die Farben“ und meinen damit die Küstenformationen. Mal leuchten sie schwefelgelb, dann wieder rostrot, tiefschwarz, gar grünlich und bläulich. In Sarakiniko ist die ganze Küste kreideweiß, im alten Bergwerk von Vani bilden Manganknollen ein senkrechtes, rot-graues Pflaster direkt überm Meer. Bei den Glaronissia, auf denen tatsächlich Hunderte von Möwen nisten, steigt Säulenbasalt aus dem Wasser, wie man ihn sonst in Europa nur in Island und am nordirischen Giant's Causeway sehen kann.
Immer wieder passieren wir aktive und stillgelegte Verladerampen von Bergbaubetrieben. Schon vor 11.000 Jahren wurde auf Milos Obsidian gewonnen, der wegen seiner messerscharfen Kanten für Speerspitzen und Werkzeuge benutzt wurde. Lange hatte die Schwefelgewinnung größte Bedeutung. Baryt, Mangan, Kaolin, Pozzolan und Silicium-Sände wurden zumeist im Tagebau abgebaut. Heute sind Perlit und Bentonit die bedeutendsten Mineralien, die mit Frachtern abtransportiert werden.
100 Strände
Ein anders Naturgeschenk gewinnt erst durch den Tourismus an Bedeutung: Die Vielzahl der melischen Strände. Bei unser Inselrundfahrt mit der „Kapetan Yiangos“ sehen wir alle. Am Lagada Beach gleich neben dem Hafenort Adamas steht schon seit 1972 völlig unauffällig das älteste und größte Hotel der Insel mit gerade einmal 90 Zimmern. Völlig menschenleer sind die neun Strände von Ammouradaki. Hinter den Stränden von Agios Ioannis liegt das bedeutendste Kloster der Insel, gleichen die Küstenfelsen braun meliertem Halva. Ganz im Südwesten der Insel wirft Kapitän Stavros zum ersten Mal vor den weißen Felsen von Kleftiko den Anker. Eine Stunde gönnt er seinen Fahrgästen zum Schwimmen im türkisfarbenen Wasser, durch das noch in 20 Meter Tiefe der Grund durchscheint. Felstore können durchschwommen werden, ein paar Passagiere schaffen es sogar bis ans Land. Da steht kein Auto, kein Haus – nur mit dem Boot gelangt man hin.
Von den vielen Stränden, die noch folgen, bleibt mir der Tsagrada Beach besonders im Gedächtnis: Wer dort baden will, muss über zwei abenteuerliche Leitern in einem Felsspalt hinunterklettern.
Kleftiko – nur mit dem Boot zu erreichen.
Kreuz und quer mit dem Jeep
Für den nächsten Tag haben wir einen Jeep angemietet. Große Teile der Insel sind durch gute, meist breite Pisten erschlossen, die zu den Bergwerken führen. Davon profitiert auch der Tourist. Sie werden gut instandgehalten, damit die Lkw der Minenbetriebe sie problemlos befahren können und im Sommer teilweise sogar besprenkelt, um den Staub in Zaum zu halten. Das geschieht in Hellas sonst wohl nirgendwo.
Jetzt steuern wir Strände und Orte an, die wir gestern nur vom Boot aus sahen. Am Paliochori Beach, fast einen Kilometer lang und bis zu 40 Meter breit, überrascht uns die Speisekarte der Taverne „Scirocco“ mit „volcanic food“: Fleisch und Gemüsegerichte werden über Nacht stundenlang in Tontöpfen im heißen Sand gegart und dann an Tischen serviert, deren Tischplatten jeweils mit einem großformatigen Milos-Motiv bedruckt sind. An den Wänden hängt Kunst, im Bücherbord steht gute Lektüre zur kostenlosen Ausleihe. Auf dem Sand, an den Felsen dahinter und im Wasser steigen an mehreren Stellen Schwefeldämpfe auf – hier könnte man gut ganze Tage verbringen.
Blühende Thymiankissen
Wir fahren weiter. Passieren die warmen Thermalquellen am Inselkraftwerk, die rötlich schimmernden Quellerwiesen auf der erst 1986 aufgelassenen Saline und den kleinen Inselflughafen gleich dahinter. Staunen über die vielen Getreidefelder der Insel, die manchmal bis ans Meer reichen, über die jetzt Ende Mai überall blühenden Thymiankissen und über gespenstische Steinwüsten aus bizarren Felsbrocken. Ich halte gelegentlich nach einer Macrovipera schweizeri Ausschau, einer hochgiftigen Kykladenviper. Sie kommt nur auf Milos und den umliegenden Inseln vor, ist bei Sammlern hochbegehrt und wurde deswegen häufig gefangen und ins Ausland geschmuggelt, wo sie Preise von mehreren tausend Euro pro Exemplar erzielte. Jetzt gilt sie als strengstens geschützt. Ich bekomme sie nicht zu Gesicht. Ist vielleicht auch angenehmer ...
Zum Baden steuern wir Sarakiniko an. Vom Parkplatz gehen wir 400 Meter durch eine Mondlandschaft aus vulkanischen Tuffen in strahlendem Weiß. Drei Meter Sand erleichtern den Einstieg ins Wasser, die Jugend springt von den Felsen. Ein einziger Baum spendet Schatten, kleine Gruppen haben in Höhlen Schutz vor der Sonne gefunden. Niemand vermietet Sonnenschirme, alles ist kommerzfrei, nur oben am Parkplatz steht eine simple Kantina.
Ähnlich ergeht es uns später in den typisch melischen Küstenorten mit ihren Syrmata. In Klima und Mandrakia gibt es jeweils eine einzige Taverne, in Klima verkauft ein Künstler seine Werke aus Treibholz – ansonsten gibt es keine Möglichkeit, Geld auszugeben. In Fyriplaka gar fehlt jedwede Gastronomie. Dafür steht da eine kleine Kirche direkt überm Meer vor Felsen, die wirken, als hätten Riesenkinder gerade damit gespielt.
In den Katakomben von Milos.
Ein wenig Antike
Am Abend geht es dann noch ins Milos Mining Museum, das eine Bergbaufirma finanziert hat. Hier gibt es alle melischen Mineralien zum Anfassen, Infos zur Bergbaugeschichte und einen Film, in dem Menschen von den Arbeitsbedingungen in den Minen erzählen. Mit ihnen tauschen möchte man nicht. Fünf exzellente Wanderkarten für geologische Exkursionen zu Fuß, per Rad oder Auto stehen zum Verkauf, alle Routen sind draußen bestens markiert und beschildert.
Am nächsten Morgen widmen wir uns endlich der Antike. Wir werden durch die einzigen frühchristlichen Katakomben Griechenlands geführt und stehen im gut restaurierten Theater. Im kleinen Archäologischen Museum der historischen Inselhauptstadt Plaka kann uns die berühmte Venus von Milos nur als Kopie begrüßen: Das Original steht im Louvre. Gerasimos Damoulakis, der Insel-Bürgermeister, hätte sie wie viele Insulaner gern zurück. Den Klageweg will er nicht beschreiten, setzt auf diplomatische Kanäle. In unserem Gespräch im Rathaus zeigt er sich auch sonst sehr vernünftig. Er ist stolz darauf, dass sich 99,9 Prozent aller Hotels, Pensionen und Tavernen von Milos im Besitz von Einheimischen befinden und dass es bis auf eins kein Hotel mit mehr als 40 Zimmern gibt. Er will bewusst aus den Fehlern von Mykonos und Santorin lernen.
Die Bergbauindustrie sieht er dabei als Helfer: Mit 250 Mitarbeitern sorgt sie ganzjährig für Arbeitsplätze, generiert zusätzlich ganzjährig Einkommen für Subunternehmer wie die Besitzer der 250 Lastwagen und Bulldozer der Insel, Taxifahrer und Autovermieter. Für die Ökonomie der Insel ist sie ebenso wichtig wie der Tourismus und ein großer Stabilitätsfaktor. Den vermissen die meisten anderen griechischen Inseln gerade in Krisenzeiten wie den letzten Jahren schmerzlich.
Ganz in Weiß: Die Küste von Sarakiniko.
INFOS
Flugverbindungen: Ab Athen mit Olympic Air und Sky Express, ab 2018 voraussichtlich auch mit Santorin und Naxos (Naxos Air).
Schiffsverbindungen: Mehrmals täglich mit Piräus, Ios und Santorin, außerdem u. a. mit Iraklio/Kreta und Rhodos.
Empfehlenswerte Hotels: www.hotelportiani.gr, www.villazampeta.gr, www.artemismilos.gr, www.goldenmilosbeach.com
Empfehlenswerte Websites: www.mymilos.gr, www.bestof-milos.gr, www.milosminingmuseum.com, www.miloterranean.gr
Von Klaus Bötig