Die Insel Spetses, Teil 1
Anmutig schmiegt sich die Insel Spetses vor der Südküste der Argolis ins Meer. Inmitten einer ohnehin schon grandiosen Landschaft scheint sie selbstbewusst um ihre herausragende Stellung zu wissen. Tatsächlich ist es ja auch nicht nur ihre natürliche Schönheit, auf die sie sich dabei unwidersprochen berufen kann. Die enormen Verdienste ihrer Bewohner während des griechischen Freiheitskampfes sind unvergessen, und schon im früheren 20. Jahrhundert etablierte sich die Insel als Reiseziel für Angehörige der High-Society. Damit kann sie letztlich für sich beanspruchen, die erste griechische „Tourismusinsel“ überhaupt gewesen zu sein.
Heute ist Spetses eine beliebte Feriendestination, und aufgrund ihrer Nähe zu Athen von dortigen Ausflüglern gerne besucht. Dabei wirkt der einst mondäne, kosmopolitische Flair – nicht allein die Rothschilds hatten hier eine Sommerresidenz – bis heute nach und trägt weiterhin maßgeblich zum Ruf der Insel bei. Über ganz Spetses verstreut gibt es zum Teil recht ansehnliche Anwesen, und die unmittelbar benachbarte, kleine Insel Spetsopoula befindet sich seit den 1960er Jahren im Privatbesitz der Reedersfamilie Niarchos. 2010 feierte einer der Söhne des griechischen Ex-Königs mit illustrer Gästeschar aus den Reihen des europäischen Hochadels auf Spetses seine Hochzeit. Bereits wenn man sich der Insel aus der Ferne nähert, wird man sich dem Reiz ihrer sanften Landschaft mit den bis zu 291 Meter aufsteigenden, grünen Höhen nur schwer entziehen können. Der mancherorts dichte Kiefernbewuchs lässt kaum mehr erahnen, dass 1990 weite Teile des damals ausgedehnten Baumbestandes durch einen verheerenden Großbrand vernichtet worden waren. Und auch der langgezogene Inselort, der sich dem peloponnesischen Festland zuwendet, wirkt in seiner Erscheinung schon vom Schiff aus attraktiv und einladend. Trotz seiner Geschlossenheit im Ganzen vermittelt er ein durchaus vielfältiges Bild, und bei der Ankunft im „Neuen Hafen“, der nach dem anschließenden Platz oft so genannten ‚Dápia‘ (Ντάπια), bietet sich ein bunter, lebendiger Anblick. Cafés und kleine Läden reihen sich aneinander, Einheimische ziehen ihrer Wege, Besucher lassen sich gemächlich treiben. Taxis und von Vierbeinern gezogene Kutschen harren der Kundschaft ebenso wie die rotweißen Wassertaxis im Hafenbecken. Daneben kündet das mächtige Luxushotel Posidónio stolz von alter Pracht. Nach Vorbildern an der Côte d‘ Azur erbaut wurde es im Schicksalsjahr 1914 eröffnet. Die umliegenden, gepflegten Gassen warten mit den obligatorischen Souvenirshops auf, aber auch mit schmucken und geschmackvoll ausgestatteten Modegeschäften.
Eine der vielen hübschen Gassen im Ortszentrum
Wahrzeichen Uhrturm
In unmittelbarer Nachbarschaft zahlreicher Cafés und Tavernen werden auf einem beschaulichen Fischmarkt die frischen Fänge angeboten. Nicht weit davon entfernt findet sich mit dem alten Uhrturm an der nach ihm benannten Platia eines der Wahrzeichen des Ortes. Vereinzelt anzutreffende Herrenhäuser zeugen noch heute vom Reichtum und Wohlstand ihrer einstigen Bewohner. Eines der großartigsten Beispiele ist – an einem kleinen Platz gleich hinter dem Hafen gelegen – die im frühen 20. Jahrhundert erbaute Villa des Sotírios Anárjiros, des wohl größten Wohltäters der Insel. Das benachbarte Haus der Bouboulína, der großen Heldin des griechischen Freiheitskampfes, ist für Besucher zugänglich und vermittelt einen eindrucksvollen Einblick in die Wohnkultur der bürgerlichen Elite jener Zeit. Nicht allzu weit entfernt liegt auch das Haus des Chatzijánnis Méxis, einstiger Freiheitskämpfer und über einen längeren Zeitraum hin die führende Gestalt auf Spetses. Es beherbergt heute das Museum der Insel mit Exponaten vor allem zu ihrer Geschichte.
Neuer Hafen mit Wassertaxis
Von Kiefern bewaldet
Auf die eigene Vergangenheit schaut man dann auch mit besonderem Stolz zurück, denn wie schon dem nahe gelegenen Hydra haftet auch Spetses in Griechenland ein ganz besonderer, geradezu legendärer Ruf an. Dieser ist in der neuzeitlichen Entwicklung der Insel begründet und geht vor allem auf ihre zentrale Bedeutung für den griechischen Freiheitskampf gegen die Osmanen im 19. Jahrhundert zurück. Ohne den beherzten Einsatz der speziotischen Flottenkontingente hätte dieser wohl kaum zum Erfolg führen können. In Antike und Mittelalter dagegen hatte die Insel ganz offensichtlich noch ein wenig spektakuläres Bild geboten, auch wenn erste Spuren menschlicher Besiedlung bereits bis in die Bronzezeit zurückreichen, bis ins 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. also. Im fortgeschrittenen Mittelalter nutzte die Seerepublik Venedig Spetses dann als Versorgungsbasis, indem ihre Schiffe dort regelmäßig frisches Wasser nachluden. Damals hieß die Insel zunächst noch Petsa, was zumeist auf ihre antike Bezeichnung Pityussa („von Kiefern bewaldet“) zurückgeführt wird. Durch Vermittlung der Venezianer soll aus Petsa schließlich Spetses geworden sein. Einer anderen Hypothese zufolge geht der Name dagegen darauf zurück, dass die Insel in der Serenissima Isola di Spezzia („Gewürzinsel“) genannt wurde. Daraus habe sich in der lokalen Tradition die heutige Form gebildet.
Das imposante Hotel Posidonio
Das Ende von Kastélli
Mit der Eroberung der Peloponnes durch die Osmanen brach im 15. Jahrhundert für Spetses eine neue Zeit an. Vor allem christliche Albaner, so genannte Arvaniten, waren es, die in größerer Zahl vor der türkischen Übermacht vom gegenüberliegenden Festland auf die Insel auswichen. Dort waren sie von den Besatzern des Landes, die selbst nur wenig Interesse an dem Eiland zeigten, weitgehend unabhängig, und so folgten bald weitere Flüchtlinge nach. Im natürlichen Schutz zweier Schluchten entstand in etwa 500 Metern Entfernung vom Ufer am Abhang oberhalb des heutigen Ortes die durch eine Mauer gesicherte Siedlung Kastélli (Καστέλι). Eine wichtige Lebensgrundlage ihrer Bewohner war zunächst der Fischfang, mit der Zeit aber wandte man sich zusehends auch der Schifffahrt zu. Dabei blieben die Inselbewohner von der fremden Obrigkeit weiterhin halbwegs unbehelligt, so dass Spetses auf längere Sicht eine Entwicklung nehmen konnte, die es zu einem wichtigen Faktor im Seehandel werden ließ. Die Werften im ‚Alten Hafen‘, der Báltiza (Μπάλτιζα), lieferten die dafür erforderlichen Schiffe, und um die Mitte des 18. Jahrhunderts sah sich die Insel in einer durchaus komfortablen Situation. Dieser war jedoch ein jähes Ende beschieden, als die Spetsioten sich 1770 im Rahmen des Russisch-Türkischen Krieges am Aufstand gegen die Osmanen beteiligten. Als Vergeltung für ihre Mitwirkung bei dieser so genannten Orlow-Revolte – in Griechenland als Ορλωφικά (Orlofiká) bekannt – suchten die Türken die Insel heim und brannten Kastelli nieder. Die Überlebenden flohen ans gegenüberliegende Ufer und kehrten zusammen mit anderen erst nach dem Ende des Krieges 1774 wieder zurück.
Das Haus des ehemaligen Freiheitskämpfers Mexis beherbergt heute ein Museum.
Insel der Kapitäne
Es sollte den Spezioten damals gelingen, erfolgreich an ihre frühere Tätigkeit anzuknüpfen, und rasch erlebte die Insel eine Zeit größter wirtschaftlicher Blüte. Grundlage dafür waren Zugeständnisse, die die siegreichen Russen dem Sultan bei den Friedensvereinbarungen abgerungen hatten und die sich für die Griechen als überaus vorteilhaft erweisen sollten. Von herausragender Bedeutung waren in diesem Zusammenhang insbesondere der ungehinderte Verkehr griechischer Schiffe unter russischer Flagge sowie deren freier Zugang zu den wichtigen Märkten des Schwarzen Meeres. Zwar war man auf Spetses verpflichtet, Seeleute zum Dienst in der türkischen Marine abzustellen, die eigene Flotte aber beherrschte bald schon neben der von Hydra und Psara den ganz überwiegenden Teil des Seehandels im Osmanischen Reich. Um den Bau auch größerer Schiffe vorantreiben zu können, wurden Genossenschaften gegründet, und eigens zu diesem Zweck eingerichtete Schulen bereiteten die künftigen Seefahrer auf ihre Aufgaben vor. Der damals auf der Insel herrschende Wohlstand fand seinen Niederschlag nicht nur in der großen Zahl der Einwohner: Immerhin sollen um 1800 weit mehr als 10.000 Menschen auf Spetses gelebt haben. Auch die Häuser der vermögenden Führungsschicht, zu jener Zeit vornehmlich Reeder und Kapitäne, spiegeln – soweit erhalten – zum Teil noch heute den einstigen Reichtum ihrer Besitzer wieder. Für die Errichtung wurden bisweilen sogar Architekten aus Italien beschäftigt, und auch das Mobiliar hat man nicht selten dort eingekauft. Das Baumaterial selbst stammte zumeist von der benachbarten Insel Dokos, auf der noch bis ins frühe 20. Jahrhundert Steinbrüche in Betrieb waren. Ein ganz charakteristisches Element der speziotischen Herrenhäuser war ein Hof, den oft dekorative, sorgfältig aus hellen und dunklen Kieselsteinen gelegte Mosaiken schmückten. Als traditioneller Bodenbelag ist dieses so genannte Votsalotó („βοτσαλοτό“, von βότσαλο / vótsalo, dt. „Kiesel“) auf Spetses bis in unsere Zeit lebendig und begegnet allenthalben auch in den schmalen Gassen des Einkaufsviertels am Neuen Hafen oder auf verschiedenen Plätzen des Ortes.
Der traditionelle Bodembelag „Votsaloto“ (hier im Hof des Nikolaos-Klosters)
Im zweiten Teil des Beitrags über die Insel Spetstes lesen Sie u. a. davon, wie Spetses zu seiner immensen Prosperität kam und welche Rolle der Tourismus heute spielt. Außerdem stellt der Autor in einem längeren Porträt die Freiheitsheldin der Insel, Bouboulina, vor.
Fotos und Text von Jens Rohmann