Kea oder Tziá, wie die Einheimischen ihre Insel nennen, gehört zur Inselgruppe der Kykladen und liegt nahe bei Athen. Vom Küstenort Lavrio auf dem Festland, vorbei an der ehemaligen Gefangeneninsel Makronissos, braucht die Fähre nur eine Stunde, um in Korissia, dem Hafenort Keas, anzukommen. Aufgrund ihrer Nähe zur griechischen Hauptstadt haben viele wohlhabende Athener ihren Sommersitz nach Kea verlegt. Weswegen Kea bei den Griechen auch als „die schöne Insel der Athener“ bekannt ist.
„I love Acorns“, Teil 1
Die Insel ist bis heute schlicht und schön geblieben. Und das trotz der vielen Villen und Feriendomizile, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind. Ein Grund für diese dezente Schönheit liegt in den wohldurchdachten Bauplänen der Architekten verborgen, die die Neubauten sehr elegant in das Landschaftsbild eingefügt und dazu auch noch die Außenmauern mit dem inseleigenen bleigrauem Schiefergestein ummantelt haben. Aus der Ferne betrachtet vermag man die sich an die Berghänge schmiegenden Häuser mit bloßem Auge kaum wahrzunehmen. Für die Touristen ist es deshalb besonders reizvoll, die Insel zu umfahren und sich an ihren Ortschaften zu erfreuen.
Ferienhaussiedlung auf Kea
Abseits der historischen Sehenswürdigkeiten
Die knapp 3000 ständigen Einwohner auf Kea haben dem fremden Gast aber noch mehr Interessantes anzubieten. Zum Beispiel zahlreiche archäologische Stätten, wie die prähistorische Siedlung von Agia Irini aus dem 3. Jahrtausend vor Christus, oder den berühmten Löwen von Kea, einem aus Stein gemeißelten Löwen aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert. Doch seit knapp vier Jahren macht Kea aus einem anderen Grund von sich Reden. Die einheimischen Bauern haben ein altes landwirtschaftliches Produkt wiederentdeckt: Eicheln! Sie werden geerntet und auf einzigartige Weise verarbeitet. Keas Landschaft besteht zu 95 Prozent nicht, wie sonst üblich, aus Olivenbäumen, sondern aus wildwachsenden Valonea-Eichen (lat. Quercus Aegilops, gr: Welanidiés). Zwar konnte ich bei der Anfahrt auf Kea weit und breit noch keinen einzigen Eichenbaum erkennen. An der Küste ist Kea recht steinig und karg. Dafür erwartete mich im Inneren eine umso größere Überraschung.
Löwe von Kea
Ankunft bei einer deutschstämmigen Eichensammlerin
Als ich die „Red Tracktor Farm“ von Marcie Mayer im Hafenort Korissia erreiche, empfängt mich eine mittelgroße Frau um die Fünfzig in schweren Boots und klassischem Arbeiteroutfit: weite Latzhose und langer Pullover. Die Erntezeit für Eicheln (gr. Welanídia) hatte Mitte Oktober gerade begonnen. Und das bedeutete für die deutschstämmige Marcie Mayer aus Nordkalifornien harte Knochenarbeit. Bis zu zehn Tonnen Eicheln kann sie mit ihrem Team in der Saison sammeln. Und sie sammelt aus voller Leidenschaft. Denn, wenn sie sich für etwas in ihrem Leben seit frühen Kindertagen jemals wirklich interessiert hat, dann sind das Eichenbäume. Deshalb zog Marcie Mayer vor einigen Jahren von ihrem Hauptwohnsitz Athen weg, um das ganze Jahr über auf Kea zu leben. Inzwischen ist sie für die Einheimischen zu einer Leitfigur geworden. Manche sprechen von ihr sogar von der Eichelkönigin. Denn ihr allein ist es zu verdanken, dass die Keaner inmitten der griechischen Krise die Verarbeitung eines uralten Traditionsprodukts wieder aufgenommen haben. Und dafür musste Marcie zunächst einmal die Älteren für sich gewinnen. Sie wusste nur eins: Während des 1. und 2. Weltkriegs hatte sich fast jeder auf Kea von Eicheln ernährt. Und ebenso auch in der Zeit der Hungersnot nach dem Krieg. „Als ich die Keaner in der Stadtgemeinde zusammenrief, um sie darüber zu informieren, was ich mit den Eicheln vorhatte und wie ich sie am liebsten in meine Plänen involvieren wollte, kamen vor allem die Älteren auf mich zu und mit deutlichem Scham im Gesicht erzählten sie mir ihre Geschichten aus alten Kindertagen. Sie mussten Eicheln essen, erklärten sie, um zu überleben“, so berichtet mir Marcie über die Anfänge ihrer Aktivitäten auf Kea. Aber während es allen peinlich war, von dieser inseleigenen Baumnuss zu erzählen, weil sie traditionell zur Fütterung von Schweinen genutzt wurde, war Marcie besonders stolz, allen erklären zu können, wie gesund Eicheln für den Menschen sind. „Die Keaner warfen damals die Eicheln ins Kaminfeuer, damit sich die Schalen lösen, aber was die Leute nicht wussten, war, dass dies eine gute Methode war, um sie von den Bitterstoffen zu befreien“.
Marcie Mayer mit geernteten Eicheln
Entdeckung eines alten Wirtschaftszweigs
In ihrer Küche schenkt mir Marcie eine Tasse frisch gebrühten Kaffees ein, während sie mir weiter über ihre Initiative erzählt. „Ich konnte feststellen, wie sich die Einstellung der Keaner zu den Eicheln langsam änderte, weil sie merkten, dass ich ganz anders darüber dachte. Ich war stolz, dass die Ureinwohner Amerikas Eicheln als wichtige Nahrungsmittelquelle ansahen und ich von dort stamme.“
In den Augen der engagierten Frau gab es keinen Grund, sich schlecht zu fühlen, wenn man Eicheln wirklich mochte. Darüber hinaus fand sie im Gespräch mit den Inselälteren heraus, dass die Inselwirtschaft Keas bereits viele Jahrhunderte zuvor fast ausschließlich vom Verkauf der Eichelkapsel florierte. Die Eichelkapsel wurde für das Gerben von Leder eingesetzt, wegen ihres hohen Tanningehalts. 1965 brach dieser Wirtschaftszweig auf Kea aber komplett zusammen, weil die meisten Gerbereien weltweit damit angefangen hatten, auf chemische Gerbmittel zurückzugreifen. Ein fataler Fehler, wie sich Viele heute eingestehen müssen. Auf Kea hatte das den wirtschaftlichen Ruin zur Folge, weswegen eine große Bevölkerungsflucht einsetzte. Die Keaner mussten ins Ausland emigrieren. Das Wissen um die Verwendungsmöglichkeiten der „Hamada“, wie man auf Kea die Eichenkapsel nennt, ging größtenteils verloren. So gründete Marcie eine neue Hamada-Initiative. Inzwischen sind 40 Familien in diesem Bereich wieder auf Kea aktiv. Denn die Nachfrage nach diesem qualitativ hochwertigen Produkt wird von Jahr zu Jahr immer größer, verrät mir die Eichelexpertin.
Im nächsten Teil lesen Sie über das Exportgut Eichenkapsel, Volontäre und Keksen aus Eichenmehl.
Text und Fotos von Marianthi Milona