ORIENT-EXPRESS: VON STAMBUL NACH SKOPELOS
Reisenotizen von Eberhard Rondholz
Istanbul, Sirkeci Istasyonu, 19. September, 19.30. Start zu einem kleinen Reiseabenteuer, von Stambul nach Skopelos, zu Lande und zu Wasser, umsteigen in Saloniki, Larissa und Volos, planmäßige Fahrzeit 19 Stunden. Am Bahnhof einen letzten türkischen Tee genommen. Das Bahnhofsrestaurant heißt Orientexpress. Ein Hauch von Nostalgie. Der Schlafwagenzug, vier Waggons, ist schon da. Ein Hauch von Nostalgie auch hier, die Tür zum Abort steht auf, ein Plumpsklo traditionellen Typs, na ja. Komfortzug, haben die griechischen Staatsbahnen OSE den Express Filias, den Express der Freundschaft, angepriesen. Eine frisch eingeweihte neue Reiseverbindung, die Inauguration durch die Verkehrsminister der jetzt ja wirklich offiziell so befreundeten Länder war ein event. Mitgefahren sind die Minister allerdings nicht, und sie wussten wohl warum. Die Waggons stammen von der französischen SNCF, wo die Veteranen aus den 70er Jahren irgendwo auf dem Abstellgleis übersehen worden waren und so der längst anstehenden Entsorgung entgingen. Ausrangiert wurden sie, vor Jahr und Tag, wie die Tageszeitung „Kathimerini" enthüllt hatte, wegen Asbestbelastung, und deshalb richtig billig. Inzwischen seien sie saniert und gesundheitlich unbedenklich, hört man vom OSE-Personal, wollen wir es also glauben.
Vom Einsammeln von Pässen
Der Zug ist halbleer, kein Problem, ein Zweibettabteil für sich allein zu bekommen. Dem Fußboden hätte ein Staubsauger mal gut getan. Im Waschbecken fließt kein Wasser, dafür gibt's jede Menge Zigarettenkippen in den Aschenbechern, die hat die Putzkolonne, wenn sie denn da war, wohl übersehen, kein Wunder, in einem Nichtraucherabteil. Das obere Bett lässt sich nicht hochklappen, Mechanismus defekt, sitzen geht also nicht, macht nichts, ist ja ein Schlafwagen. Aber an Schlaf wäre einstweilen sowieso nicht zu denken, die Federung der Uraltwaggons ist dem ramponierten Gleiskörper nicht gewachsen, man wird so richtig durchgeschüttelt, und das Bier aus der Mini-Bar muss man gut festhalten, wenn man nichts verschütten will. Irgendwann gegen Mitternacht doch noch eingeschlafen. Für kurze Zeit, dann hämmert's an die Abteiltür. Wir sind in Uzunköprü, sehe ich durchs Fenster. Die türkischen Grenzer sammeln die Pässe ein (warum hat das eigentlich nicht der Schlafwagenschaffner gemacht, zu Anfang der Reise?). Eine halbe Stunde später eine neue Ruhestörung, die Pässe kommen zurück, flüchtige Gesichtskontrolle. Der Zug ruckelt wieder an, zur anderen Seite der Grenze. Da geht das wieder los – wummern an der Tür, Passkontrolle. Die Frage nach den Papieren wird nicht gesprochen sondern irgendwie gebellt. Im Hinterkopf taucht, komisch wie sowas geht, jene merkwürdige postbyzantische Christophoros-Ikone auf, die ich vorgestern in der Georgskirche in Cengelköy gesehen habe - Christophoros Kynokephalos, der hundsköpfige Heilige, der weit gereist ist, um das Evangelium bis ans Ende der Welt zu tragen. Bald wieder das Hämmern an der Tür, Pässe zurück. Irgendwann hämmert's noch einmal, der Zoll. Formsache, kontrolliert wird nicht, hier könnte man allerlei Verbotenes kiloweise durchschleusen.
Unterschiedliche Freundschaften
Vier Uhr morgens, der Zug steht immer noch, keiner weiß warum. Auf dem Gleis gegenüber kommt kurz der Gegenzug ins Bild. Den hat die Türkei gestellt, der ist nagelneu, sieht blitzsauber aus und irgendwie luxuriös, wirklich ein Komfortzug, rein optisch. Der Türke hat sich seinen Freundschaftsexpress offenbar was kosten lassen, aber der Türke will ja noch nach Europa und der Grieche ist schon drin. Unser Zug rumpelt wieder los. Andrang am Plumps-Klo, nach drei Stunden Benutzungsverbot auf dem Grenzbahnhof. Kurzes Gespräch mit dem griechischen Geschäftsmann aus dem Nachbarabteil, der sonst immer fliegt. Irgendwie nicht gerade europäisches Niveau, dieses Verkehrmittel, deute ich vorsichtig an - man will ja als Gast des Landes nicht beleidigend werden. Der Nachbar lacht. Europa? Sie glauben doch wohl nicht im ernst, dass hier Europa ist? Noch lange nicht. Was mir die Zunge löst. Ja ja, sage ich, in Europa würde jetzt ein Zugchef die verehrten Fahrgäste um Nachsicht bitten für die Verspätung und 20-Euro-Gutscheine verteilen, der Schlafwagenschaffner ein Getränk anbieten. Ja, bei euch in Europa. Wie denn überhaupt diese endlos lange Abfertigung an der Grenze zu erklären sei, frage ich, bei nur vier halbleeren Waggons? Wenn Sie mich fragen, kommt es zurück, da ist kein Interesse auf griechischer Seite, dass so ein Freundschaftsexpress allzu viele Freunde findet. Könnte doch der eine oder andere ausländische Pauschal-Tourist die Gelegenheit zu einem kleinen Abstecher nach Konstantinopel nützen und sein Taschengeld im Großen Basar lassen. Statt es in Griechenland auszugeben. Ach so.
Irgendwann dann doch wieder eingeschlafen. Beim Aufwachen ist draußen heller Tag. Fast zehn Uhr ist es schon, draußen Felder weit und breit, Saloniki immer noch nicht in Sicht. Ankunft um sieben Uhr dreißig, hatte der Fahrplan verheißen. Um acht Uhr zehn ist mein Zug nach Larissa abgefahren mit Anschluss nach Volos, Weiterfahrt von dort mit dem Flying Dolphin nach Skopelos, kannst du jetzt alles vergessen. Zum Minibistro gegangen, einem winzigen Kabuff mit Propangaskocher. Niemand drin, der Schlafwagenschaffner unauffindbar, hat sich irgendwo versteckt. Ein Königreich für einen Kaffee. Und ein Glas Wasser. Die mitgebrachte Reserve zum Zähneputzen verbraucht. Selber schuld.
21. September, 11.00, Ankunft in Saloniki. Gerädert, hungrig, durstig. Kleiner Kampf mit dem Schlafwagenschaffner, der meine Fahrkarte nicht mehr rausrücken will. Endlich Frühstück, ein Croissant und ein Cappuccino im Bahnhofswartesaal. Den nächsten Zug nach Larissa genommen. Der Zug ist voll. Einen Zugbegleiter gefragt, ob er mir irgendwo zu einem Sitzplatz verhelfen könne. Ob ich denn keine Platzkarte habe? Die hätte ich schon, sage ich ihm. Aber mein Zug aus Istanbul hatte Verspätung, und da klappte das mit dem Anschluss nicht. Was geht mich das an, sagt der Schaffner doch tatsächlich. Wenn Sie keine gültige Platzkarte haben, müssen Sie eben stehn, bellt er mich an. Es gibt Formen der groben Unhöflichkeit, die einen sprachlos machen, selbst wenn man sie früher auch in Mitteleuropa beim uniformierten Personal eines Staatsmonopolisten gewohnt war. Fühle, wie ich die contenance verliere und gebe auf, nicht ohne den Uniformträger nach seinem Namen zu fragen. Der bleibt lieber anonym. Einen Moment lang sehnsüchtig an die neue Höflichkeit des Begleitpersonals im deutschen ICE gedacht.
Die Sporaden-Fähre ist weg
21. September, 16.00. Ankunft in Volos. Die letzte Sporaden-Fähre ist längst weg. Aber kein Problem, in Volos ein Hotelzimmer zu finden um diese Jahreszeit. Abends im Bett daran gedacht, dem griechischen Bahnchef eine Reise mit dem Express Filias nach Konstantinopel zu empfehlen. Idee als abwegig verworfen. Griechische Bahnchefs fahren nicht mit der Bahn nach Konstantinopel. Die kennen ihr eigenes Verkehrsmittel zu gut. Und fliegen. Ich nächstes Mal auch wieder.
22.9., 12.00 mittags, Ankunft im Hafen von Glossa. Vierzig Stunden hat die Reise schließlich gedauert von Stambul nach Skopelos. Die Freunde warten schon. In Marias Hafenkneipe „I ORAIA ELLAS". Ach ja, du schönes Griechenland. Immer noch Balkan. Aber trotzdem schön.
©Griechenlandzeitung, erschienen im Ausgabe Nr.1 vom 14.10 .05