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Eine Reise durch Epirus: ein noch zu entdeckendes Juwel (Teil 2)

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Eine Reise durch Epirus: ein noch zu entdeckendes Juwel (Teil 2)

Mit einem Fährboot lassen wir uns über den See auf die Ioannina-Insel bringen, die man hier liebevoll Nisaki nennt, Inselchen. Während sich das Boot langsam dem bewohnten, schilfumsäumten Eiland nähert, lassen sich schon einige der sieben besonders wegen ihrer byzantinischen Freskenkunst bekannten Klöster ausmachen, die der Insel den Beinamen „Klein-Athos“ beschert haben. Gleich hinter der Anlegestelle erwartet uns allerdings keine klösterliche Ruhe, sondern emsige Geschäftigkeit: Selbst jetzt in der Nebensaison sind viele Souveniergeschäfte und Tavernen geöffnet.

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Telemachos betreibt auf der Ioannina-Insel ein kleines Restaurant mit Spezialitäten aus dem See; früher arbeitete er lange Jahre in Bamberg.

Ein Grieche, der sein Geld in Bamberg verdiente
Vor einer sitzt ein altes Ehepaar, das uns auf ihre Spezialitäten aus dem See aufmerksam macht: Frösche, Aale, Süßwasserkrebse und Karpfen, die alle unappetitlich in Wasserbassins eingepfercht sind. Der fast 80-jährige Wirt Telemachos zeigt sich erfreut, als wir uns als deutsche Gäste vorstellen, hat er doch früher in Bamberg jenes Geld verdient, mit dem er vor vielen Jahren dieses kleine Restaurant gekauft hat – unter den griechischen Auswanderern nach Deutschland in den 1960er- und 1970er-Jahren waren viele Epiroten. Uns das Versprechen abnehmend, dass wir auf dem Rückweg mit ihm einen Tsipouro trinken – es wird nicht der letzte sein auf dieser Reise –, gehen wir zunächst zum 1292 errichteten Philanthropin-Kloster, das mit Überraschungen aufwartet. Die erste kommt uns in Gestalt einer 90 Jahre alten Greisin entgegen, die laut schimpfend mitteilt, dass wir eine Genehmigung des Metropoliten bräuchten, wollen wir das Kloster besichtigen. Mit zwei kurzen Telefonaten klärt der junge Archäologe Aris Sichlimiris, der uns heute begleitet, das Problem, um uns danach die zweite Überraschung zu offenbaren: im Klosterinneren finden sich nicht nur die obligatorischen Ikonen christlicher Heiliger, sondern auch aus dem 16. Jahrhundert stammende Bildnisse von sieben antiken (und damit heidnischen) Philosophen, darunter Plato, Aristoteles und Plutarch. Auch im nächsten, dem im 11. Jahrhundert  erbauten und damit ältesten Kloster der Insel, Agios Nikolaous Dilios, wird uns zunächst der Eintritt verwehrt, da hier Restaurierungsarbeiten im Gange sind. Doch nach einigen guten Worten unseres Archäologen lassen uns die ausnahmslos weiblichen Restauratorinnen gewähren und wir können dank der Arbeiten nicht nur die Fresken aus dem 16. Jahrhundert  bestaunen, sondern an den Wänden auch die z. T. freigelegten Lagen darunter betrachten.

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Im Inneren des Nekromanteions von Ephyra, dem einzigen Totenorakel von Griechenland

Der „Löwe von Ioannina“: Ali Pascha
Ein Kuriositätenkabinett ganz anderer Art erwartet uns auf dem Rückweg zur Anlegestelle: das Ali-Pascha-Museum, das im Panteleimon-Kloster untergebracht ist. Es ist die Heimat einer im Laufe von vier Jahrzehnten zusammengetragenen privaten Sammlung mit allen möglichen Waffen, Kostümen, Alltagsgegenständen aus der Zeit Ali Paschas, der auch als „Löwe von Ioannina“ bekannt ist. Museumsleiter Fotis Rapakousis hält am Ende des Rundgangs plötzlich inne und bietet mit reichlich schauspielerischem Talent die Ermordung Ali Paschas durch Abgesandte der Hohen Pforte dar. Nach dieser bluttriefenden Schilderung kommt uns der Tsipouro von Telemachos gerade recht, was allerdings dazu führt, dass wir das Schwanken der Fähre zurück nach Ioannina nicht mehr eindeutig auf den Wellengang im See zurückführen können.

Im Labyrinth der Tropfsteinhöhle
Nach einem (wie üblich) üppigen und (wie üblich) späten Mittagessen in einer der vielen guten Tavernen der Stadt, besuchen wir das etwas außerhalb gelegene Museum der Griechischen Geschichte, in dem der vor drei Jahren verstorbene Bildhauer Pavlos Vrellis in 36 Themenschaufenstern wichtige Stationen der nationalen Historie szenisch eindrucksvoll mit Wachsfiguren nachgestellt hat. Nach diesem Einstieg in die verwickelte Geschichte Griechenlands gibt es nach einer kurzen Fahrt auf die andere Seite von Ioannina noch einen Abstieg in die märchenhafte Unterwelt der vor 1,5 Millionen Jahren entstandenen Tropfsteinhöhle von Perama mit ihren labyrinthischen Gängen.

Ein Abstecher in die Unterwelt
Der Unterwelt, dieses Mal aber der aus der Antike, statten wir am nächsten Tag einen Besuch ab, genauer einem ihrer Eingänge. Zuvor aber geht es irdischer (und moderner) zu, denn empfangen werden wir an diesem Morgen in der kleinen Ortschaft Glyki von der einzigen weiblichen Bürgermeister im Epirus, Stavroula Braimi-Botsi. Sie erzählt uns von den vielfältigen Aktivitäten im Ort, z. B. von einer Frauen-Kooperative, die ihre traditionellen Kochkünste in Form eines Catering-Unternehmens privaten Feierlichkeiten in der Gegend zugute kommen lässt. Danach führt uns die Bürgermeisterin zum Acheron, jenem Fluss, der in der griechischen Mythologie einer der fünf Flüsse der Unterwelt darstellt. Über ihn, so heißt es, brachte Charon mit seiner Fähre die toten Seelen in den Hades. Dass der Acheron diesen Glauben nährte, hat vermutlich auch mit dem Phänomen zu tun, dass ein Teil seiner Quellen unterirdisch ist, was in Form vieler sprudelnder Stellen zu erkennen ist. Kurze Zeit später aber bricht der baumbestandene Weg entlang des Acheron jäh ab. Will man zu weiteren Quellen gelangen, muss man ins kühle Nass steigen und den Fluss durchwaten – ein erfrischender Spaß im Sommer. Auf dem Rückweg begegnen wir Andonis, der die einzige Metzgerei in Glyki betreibt und gerade dabei ist, mit einem langen Stab Oliven von den Bäumen zu schlagen, die seine Mutter unten in einer Plane aufsammelt. Uns erzählt er, dass er zehn Jahre auf Rügen gelebt und gearbeitet habe, doch das Heimweh – er seufzt, und wir verstehen.
Unweit Glyki, in der Nähe von Mesopotamos, dort wo sich früher die antike Stadt Ephyra befand, finden sich die Reste des im zweiten vorchristlichen Jahrhundert von den Römern zerstörten Nekromanteion. Eine Archäologin erläutert uns, dass dieser Ort womöglich wegen einiger Besonderheiten als Totenorakel ausgewählt wurde, findet er sich doch inmitten einer erst im letzten Jahrhundert trockengelegten Sumpflandschaft, deren Nebel einst eine „morbide Stimmung“ verbreitet hätten. Besonders spannend ist der über eine enge eiserne Treppe erfolgte Abstieg in den Innenraum des Orakels, in den keinerlei Laut von außen dringt. Dort konnten die Pilger mit ihren Toten kommunizieren, möglicherweise mithilfe halluzinogener Substanzen. Mutmaßungen darüber, wie das Orakel funktioniert hat, gibt es zuhauf und werden auf der Rückfahrt nach Ioannina eingehend, wenn auch nicht ganz ernsthaft debattiert.

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Der Acheron-Fluss galt in der griechischen Mythologie als einer der fünf Flüsse der Unterwelt. Über ihn schiffte der Fährmann Charon die toten Seelen in den Hades.

Text und Fotos: ©Thomas Plaul

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