Kassandra und Sithonia heißen die beliebten Destinationen der sonnenhungrigen Urlauber. Sanfte grüne Hügel und weiße Sandstrände prägen die Landschaft der Chalkidiki, der Halbinsel vor den Toren Thessalonikis.
Während die ersten beiden Finger (die Griechen nennen sie „Beine”, und man zählt sie von Osten aus) touristisch voll erschlossen und daher auch recht verbaut sind, ist der nach dem Berg Athos und der Mönchsrepublik benannte dritte Finger frei von großen Bausünden. Hier kann man noch Ruhe und menschenleere Strände finden. Der Besuch lohnt sich nicht nur für Strandgänger. Hübsche Bergdörfer wie Arnea oder Stageira laden zum Anhalten ein und im Aristoteles-Park kann man physikalischen Phänomenen auf die Spur kommen.
Wenn man von Thessaloniki kommt, führt der Weg nach Stageira über das Holomondas-Gebirge, in dessen Wäldern im Winter die Weihnachtsbäume geschlagen werden. Die Dörfer Taxiarches, Arnea und Paleochori, die man durchfährt, verführen mit ihren liebevoll renovierten Herrenhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert dazu, die Reise für einen Moment zu unterbrechen, um auf einer Plateia einen griechischen Kaffee zu trinken. Die Bergdörfer verdanken dem Obst- und Weinbau ihren einstigen Reichtum, der an den prächtigen Balkonen und Erkern der Häuser sichtbar wird. Arnea war bekannt für die Herstellung von Webteppichen, den Flokatis.
Mathe und Philosophie für künftigen König
Wenn man nach Stageira kommt, empfängt den Besucher gleich am Eingang der große Sohn des Ortes: Aristoteles, 384 v.Chr in Stageira geboren. Bis zum 17. Lebensjahr soll der „Stagirit” angeblich hier gelebt haben. Da seine Eltern, sein Vater war Leibarzt des makedonischen Königs Amyntas, früh gestorben waren, zogen ihn Pflegeeltern auf. Von Stageira aus ging Aristoteles direkt nach Athen, wo er in die Akademie Platons aufgenommen wurde und dort schon bald selbst Unterricht gab. Später lebte Aristoteles für einige Jahre am Hof Philipps II., wo er dessen Sohn Alexander, den zukünftigen König, in die Mathematik und Philosophie einführte.
Das Dorf Stageira hat in Erinnerung an den Denker und Naturwissenschaftler einen Park eingerichtet, der dazu einlädt, verschiedene physikalische Phänomene selbst zu untersuchen: Dreht man an den Optischen Scheiben, kann man beobachten, wie die Bilder zu einer einzigen Bewegung verschmelzen. Bewegt man die Kurbel an einem mit Wasser gefüllten Zylinder, verursacht dies einen Sog, der die Entstehung eines Wirbelsturms veranschaulicht. An einer horizontalen Sonnenuhr lässt sich die Zeit ablesen und ein Kompass zeigt verschiedene Standorte an. Doch die beeindruckendste Entdeckung macht man mithilfe der beiden Parabol-Schüsseln, die sich in einer Entfernung von 25 Metern gegenüberstehen. Spricht man ins Zentrum einer der beiden Schüsseln, dann hört derjenige, der an der zweiten Schüssel lauscht, die Worte so deutlich, als würde ihr Sprecher daneben stehen.
„Die Natur kreiert nichts ohne Bedeutung”, lautet ein berühmter Ausspruch des Philosophen, der die Wissenschaft in die verschiedenen Disziplinen eingeteilt hat. Wenn man dort oben zwischen den Ruinen antiker Wehrtürme und Mauern am Fuß des Berges Stratonikou, 540 Meter über dem glitzernden Meer steht und hinüber auf den Berg Athos schaut, fühlt man sich Aristoteles plötzlich sehr nah.
Der antike Ort Stageira-Akanthou war das administrative Zentrum des Erzbergbaus. Von hier aus wurden die Bergwerke der Region verwaltet. Aus dieser Zeit sind einige antike Überreste erhalten. Heute leben hier noch 500 Einwohner. An jedem 8. September feiern sie ein großes Volksfest auf dem Platz vor der kleinen Kapelle „Panagia i Spilotissa”, die ursprünglich in einer Höhle erbaut wurde.
„Seezunge in der Jacke” in einer Taverne am Meer
Von Stageira aus ist es nicht mehr weit bis nach Ierissos. Es geht nun immer bergab. Die Straße ist gesäumt von gigantischen Oleander-Büschen, die im Mai und Juni weiß, rot, lila und rosa leuchten und einen betörenden Geruch ausströmen. Ierissos ist als Ortschaft zwar ein bisschen farblos, man kann hier jedoch an den weiten Stränden laufen und anschließend in einer am Meer gelegenen Taverne mit Blick auf Athos, das Pangeon-Gebirge und die Insel Thassos fangfrischen Fisch essen. Empfehlenswert ist die „Seezunge in der Jacke” (γλώσσα στη σακέτα), die man besonders schmackhaft in der Taverne „To Kolatsi” zubereitet.
Ierissos, das der Sage nach im 7. Jahrhundert v. Chr. von Fischern der Insel Andros besiedelt wurde, ist ein bekannter und wichtiger Hafen. Die Fische, die vor der Stadt im Meer gefangen werden, kommen in ganz Griechenland auf den Tisch. Ierissos profitiert außerdem durch seine Nähe zur Mönchsrepublik. Sie ist vor Ouranoupolis, von wo aus die Ausflugsschiffe rund um die verschlossene Klosterwelt fahren, die letzte Station der „diesseitigen” Welt.
Auf dem Rückweg nach Thessaloniki, der jetzt über die Hauptstadt der Präfektur Chalkidiki, Poligiros, führt, sollte man an einem der Aussichtspunkte auf dem Bergkamm Halt machen. Von hier aus blickt man gleichzeitig auf alle drei Finger der Chalkidiki. Kurz vor Poligiros kann man noch einen letzten Stopp in Agios Prodromos einlegen, um sich vor der weiteren Fahrt mit den saftigen Souvlakia, für die der Ort weit über seine Grenzen bekannt ist, zu stärken.
Text und Fotos: Andrea Dimitriadis