Zahlreiche Flusstäler durchschneiden die nordpeloponnesischen Berge von Süd nach Nord. Die nur im Winter wasserführenden geröllreichen Flüsse ergießen sich in den Golf von Korinth, so dass dort Kiesstrände vorherrschen. Eines dieser zur Küste sich senkenden Bergtäler, die Vouraikos-Schlucht, ist berühmt wegen ihrer zwischen 1885 und 1895 angelegten Zahnradbahn zum 700 m hoch gelegenen Städtchen Kalavryta. Der Zug, der sich vom Badeort Diakofto über schmale Viadukte, schäumende Wasserstufen und Felsentunnel in das Aroania-Gebirge hochschraubt, ist eine Touristenattraktion.
Von Ursula Spindler-Niros
Wir lassen jedoch die Vouraikos-Schlucht liegen und fahren weiter östlich in einen Gebirgseinschnitt hinein, der von der großen Gemeinde Akrata, zu der viele kleine Dörfer gehören, über eine leidlich ausgebaute Pass-Straße Richtung Zarouchla führt. Nach etwa 30 km endet die asphaltierte Straße in einer Waldnische am rückwärtigen Dorfrand. Wenn Regen- und Schneefälle sie nicht unpassierbar gemacht haben, kann man auf einer nichtasphaltierten Forststraße, die auch zum Wandern einlädt, über das große Dorf Feneos in weitem Bogen Korinth erreichen. Die Auffahrt nach Zarouchla, vorbei an Nadelwäldern, Platanenhainen und Kastanien- und Walnussbäumen, ist zu jeder Jahreszeit schön, bietet ein herrliches Bergpanorama, Ausblicke zum Meer und zu fernen Gipfeln.
Abstecher nach Aigeira
Doch bevor man Zarouchla „erstürmt“, bietet sich ein Abstecher zum antiken Aigeira an, das man über das moderne Ägira, Nachbargemeinde von Akrata, erreicht: Auf der Anhöhe über dem Ort sind österreichische Archäologen seit vielen Jahren tätig, die auf mehreren Terrassen ausgebreitete Stadt auszugraben. Unterhalb einer uralten, nur spärlich erhaltenen Akropolis blühte Aigeira von der archaischen über die klassische bis in hellenistisch-römische Epoche als eine bedeutende Peloponnes-Stadt, die im 3. Jh. v. Chr. zum „Achaischen Städtebund“, einem Verband gegen die makedonische Herrschaft gehörte. Neben Tempel- und Häuserfundamenten beeindruckt vor allem das in eine Felsmulde geschnittene Theater.
„Fasolakia“ im „Petrino“
Die Auffahrt nach Zarouchla geht von Akrata aus zunächst durch Olivenhaine und dann durch karge Berghänge, über die hin und wieder eine Schaf- oder Ziegenherde zieht. Nach dem Weiler Valimi bietet die Straße eine gerade Saumstrecke entlang einen letzten grandiosen Blick auf den Golf von Korinth mit dem Parnassgebirge über dem jenseitigen Ufer. Tiefer am Hang liegen verlassene Siedlungen oder einzelne leerstehende Bauernhäuser: stattliche zweistöckige Steinhäuser im kubisch geschlossenen Landhausstil von Achaia. Über eine scharfe Kurve biegen wir in die Schlucht der Styx ein, erst hoch über dem in unergründlicher Tiefe verlorenen Fluss und dann, bei Zyflos, parallel zu seinen sprudelnden Wassern. Das Dörfchen Zyflos besteht aus einer Schar alter Häuser und Schafställe, die sich um eine geduckte Steinkirche gruppieren, deren Dach man mit der Hand erreichen kann. Auf gartenähnlich kleinen Feldern wachsen Tomaten und Bohnen, die in einem schönen ländlichen Gasthaus („To Petrino“) im Sommer als grünes Gemüse („Fasolakia“), im Winter als Weiße Bohnensuppe („Fasolia“) eine Spezialität der Gegend sind. Unterhalb liegt der „See von Zyflos“, ein tiefblaues Bergwasser mit mehreren kleinen Buchten vor dicht ansteigenden Waldhängen – entstanden durch ein Erdbeben.
„Strom des Entsetzens“
Die strömende Styx, die man überquert, um dorthin zu gelangen, führte geradewegs in den Hades, sie galt in dieser einst unzugänglichen Bergwildnis als einer der unheimlichsten Eingänge zur Unterwelt; Homer nennt sie „Stygischer Strom des Entsetzens“. Bei ihren „todbringenden“ Wassern (sie fließen heute durch das Leitungssystem des Dimos Akratas) schworen die Götter, und wehe, es war ein Meineid, dann fiel der betreffende Gott an den Ufern der Styx in neunjährige Erstarrung. Achill, den seine Mutter Thetis in den Fluss tauchte, wurde unverletzlich, bis auf die Ferse, an der sie ihn hielt.
Der Weg zu den Wasserfällen der Styx gehört zu den schönsten Wanderstrecken der Peloponnes. Die mindestens vierstündige Fußtour beginnt im Dörfchen Peristera, auf dessen altem Platz (Platia) hohe Bäume ein steingefasstes Brünnlein umstehen. Durch fast schwarze Felsformationen und dunkle Nadelwälder gelangt man zum Fuß eines der höchsten Steilhänge des Aroania-Gebirges, wo das Wasser der Styx in dünnen Fäden 200 m tief hinabfällt. In den zwei Dorftavernen von Peristera kann man sich an holzkohlengegrillten, oreganobestreuten Forellen laben, frisch aus einer nahegelegenen Zucht. Eine nagelneue Straße führt steil hinauf ins Chelmos-Massiv und in das Skigebiet von Kalavryta.
Bevor wir Zarouchla erreichen – jetzt schiebt sich jenseits der Styx immer wieder der bis in den frühen Sommer schneebedeckte 2355 m hohe Chelmos-Gipfel ins Blickfeld – verlocken noch zwei Dörfer zum Halt: Bei Agridi hebt sich der schön gemauerte Langbau einer byzantinischen Kirche aus dem Wiesengrund, und das in einem grünen Hügel versteckte Aghia Varvara, das „mehr aus Platia“ als aus Häusern besteht. Der beherrschende Platz ist bei Kirchweihfesten, den „Panigyria“, am Barbara-Tag (4. Dezember) und am Panaghia-Fest (15. August) beliebtes Ziel für die ganze feiernde Gegend.
Gehobenes Ausflugsziel
Zarouchla, unser in grüner „Sackgasse“ mündendes Endziel, hat einige schöne alte Steinhäuser, darunter einen zum Gasthaus („Xenonas“) ausgebauten „Pyrgos“, ein turm-artiges „Archontiko“, ein einstiges Herrenhaus, sowie am Ortseingang eine uralte kleine Zentralkirche. Das Dorf liegt in Wald- und Wiesengrün, umstanden von einem traumhaften Bergpanorama. Es hat sich in den letzten Jahren mit mehreren neuen und auch gastronomisch anspruchsvollen Hotels im traditionellen Baustil sowie den nach wie vor florierenden alten Tavernen nebst altertümlichem Kaffeehaus zu einem gehobenen Ausflugsziel entwickelt. Hier kann man zu allen Jahreszeiten zu unvergesslichen Wanderungen starten, Fahrräder mieten und besonders auch den Winter genießen, wenn in der Taverne von Jannis der eiserne Kanonenofen glüht. Auf ihm wird das hausgebackene Brot geröstet, das zu den bereits genannten Bohnengerichten, dem ortstypischen Lammbraten und einheimischem Feta-Käse besonders gut schmeckt.
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