Ob Kreta, Santorin oder Milos – so gut wie alle griechischen Inseln in der Ägäis sind von Piräus, einem der bedeutendsten Mittelmeerhäfen, zu erreichen. Doch was spielt sich ab in einem Hafen, von dem aus allein im Zeitraum vom 15. Juni bis 31. Juli über 2,3 Millionen Passagiere und fast 250.000 Autos verschifft wurden? Wir sahen und hörten uns um im „Limani" von Piräus, an einem heißen Sommertag, mitten im August, um 15 Uhr, Gate E 6.
Dunkelblau gekleidete Hafenpolizisten mit Schirmmützen, auf den Rücken als coast guards bezeichnet, versuchen die Autoschlangen zu bändigen. Mit energischen „Parakalo"-Rufen lotsen sie Fahrzeug für Fahrzeug in die Spur, die zur Urlaubsfähre führt. Dort angekommen, ist der Weg zur Schiffsrampe und somit zur griechischen Trauminsel nicht mehr fern. Doch bis dieses Plätzchen im Piräus-Hafen ergattert ist, könnte eine erste Übung für griechische Gelassenheit überaus Nerven schonend sein. „Vorhin sind schon zwei Autos zusammen gekracht", sagt ein älterer Grieche. Angelehnt an seine Autotür spielt er an seinem Schnauzbart und betrachtet das Getümmel aus der Distanz. Es scheint, als bringe ihn die Hektik im griechischen Hauptreisemonat August nicht aus der Ruhe. Im Gegensatz zu anderen Reisenden, die ihren Unmut an den Hupen ihrer erhitzten Autos auslassen. Temperaturen jenseits der 35-Grad-Grenze und die laufenden Motoren der angedockten Titanen und wartenden Fahrzeuge erzeugen eine Luft, die man mit dem Messer schneiden könnte. An- und Abreisende ohne motorisierten Untersatz drängen von der gegenüberlegenden Metrostation zum Hafenbecken – und umgekehrt. Die Baustelle rund um die neue Fußgängerbrücke beengt den Passanten-Pulk zusätzlich. Den Rucksacktouristen stehen Schweißperlen auf der Stirn. Die Plätze unter den Dächern der Wartehäuschen sind begehrt – Schatten ist rar. In den kürzlich errichteten weißen Wartezelten herrscht dagegen wenig Andrang. Nur zwei junge Pärchen genießen auf den aufgereihten weißen Plastikstühlen die kühlende Luft aus der Klimaanlage und schmökern in ihren Reiseführern.
Grüne Oasen und Ticketbüros laden ein
15.30 Uhr, zwischen Gate E7 und E8. Wir gehen weiter … eine Erfrischung in dieser Hitze würde jetzt gut tun. Vorbei an den vielen bunten Ticketbüros, an deren Eingangstüren die Besitzer mit „best price – ela, come in here" um unsere Aufmerksamkeit buhlen, führt unser Weg direkt ins Café-Restaurant OLP. Das Kantinen-Ambiente drinnen ist ernüchternd. Umzingelt von grünen Topfpflanzen erweist sich die weitläufige Außenterrasse dann als ein wahres Refugium vor dem Trubel. Den Gästen hier ist die Vorfreude auf den bevorstehenden Inselurlaub auf den Gesichtern abzulesen und wir genießen die Dose Cola für 2,60 Euro. Trotz der gepfefferten Preise wirken diese Hafen-Cafés auf viele Reisende anziehend. So treffen wir auf Joachim und Evelyn aus Deidesheim bei Ludwigshafen. Die beiden Enddreißiger stimmen sich zusammen mit ihren beiden kleinen Töchtern Tabea und Tirza bereits einige Tage vor ihrer Fährüberfahrt zur Insel Paros bei Kaffee – inklusive Piräus-Flair – auf ihren Urlaub ein. Joachim ist passionierter Segler – deshalb wird die Familie in Paros ein Segelschiff übernehmen und sich auf eine zweiwöchige Reise nach Rhodos aufmachen. Drei weitere Boote mit Bekannten werden sich ihnen anschließen. Danach folgt noch eine Woche Badeurlaub auf Rhodos. Joachim kommt seit 1979 regelmäßig nach Griechenland – der Versuch, seine Besuche an zwei Händen abzuzählen, scheitert. „Ich liebe einfach die griechische Mentalität, Kultur, die gesamte Geschichte Griechenlands und natürlich das Meer." Seine Frau Evelyn stimmt zu, beide schätzen insbesondere auch die griechische Ehrlichkeit. „Hier legen sie dir eher noch was dazu als etwas zu nehmen", meint Joachim. Die Besichtigung Athens vor dem anstehenden Segeltörn ist für die beiden obligatorisch: „Wir wollen die Akropolis, die Plaka und das Nationalmuseum sehen – ist ja kein Problem mit den in den letzten Jahren gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsmitteln hier."
Unverhoffte Hafenrundfahrt mit dem Gratis-Shuttle-Bus
16 Uhr, Gate E4. Frisch gestärkt gehen wir über Gate E6 zurück, um in den Gratis-Shuttle-Bus am Gate E4 zu steigen. Er soll uns von Dock zu Dock des größten Passagierhafens Europas bringen … zu Fuß wäre das eine anstrengende, langwierige Tour. Bis zum Anschlag mit Passagieren und Gepäck beladen, startet der Bus durch und begibt sich in eine leichte Schräglage – für all jene mit Platzangst bestimmt ein Graus. Der Fahrer ruft die Destinationen der Fähren durch, was im hinteren Teil des Busses nur schwer zu verstehen ist. Für eine Gruppe junger Italiener wird dies zur Geduldsprobe: Sie machen eine ungewollte Hafenrundfahrt, da sie ihren Ausstiegs-Aufruf zur Fähre nach Mykonos verpasst haben. Mit „porca miseria!" machen die Jungs ihrem Ärger Luft. Wieder zurück am Gate E4 verlassen wir den Shuttle-Bus und spazieren weiter.
Mit Caravan und Surfbrettern nach Paros
16.45 Uhr, Gate E4. In einem der vielen Parkplatzbereiche sticht der blitzblaue Caravan von Dirk und Silke, beide Mitte Dreißig, aus Nürnberg heraus. Zwei Surfbretter sind auf das Dach geschnallt, die Fenster mit Tüchern verhangen, um der Sonnenstrahlung Einhalt zu gebieten. Die beiden erholen sich im Schatten, den der Bus spendet. Eine zweiundsiebzigstündige Reise hat sie von Nürnberg über Ancona nach Patras und schließlich an den Hafen von Piräus geführt. Die eingelegten Zwischen-Stopps haben sie genutzt, um Sehenswürdigkeiten anzusehen. Und doch ist Dirk überrascht, wie viel Zeit die Reise nach Piräus in Anspruch genommen hat. Die beiden begeisterten Windsurfer hatten ursprünglich Naxos als Urlaubsziel gewählt, „da es auf Naxos ganz toll zum Surfen sein soll." Den Tipp bekamen sie von Freunden. Bei ihrer Ankunft am Hafen wurde dieser Vorstellung jedoch ein jähes Ende gesetzt: Alle Fährverbindungen auf die Insel waren restlos ausgebucht. „Wir sind mit dem Auto gekommen, weil wir die Flexibilität schätzen, die sich uns dadurch bietet", betont Dirk – und Flexibilität muss jetzt auch an den Tag gelegt werden. Die beiden Tickets auf die Insel Paros mit der 21-Uhr-Fähre, die noch in einem kleinen Ticketbüro zu finden waren, bieten nun guten Ersatz. Die Hoffnung, während ihres dreiwöchigen Aufenthalts doch noch eine Möglichkeit zur Überfahrt nach Naxos zu erlangen, bleibt aufrecht. Bis dahin wollen sie Paros mit ihrem Caravan erkunden. Einen Abstecher nach Athen zu machen, reizt beide wenig. Die Angst, ihr Auto könnte aufgebrochen werden, überwiegt. So verweilen sie die verbleibenden Stunden nahe ihrem Van, bis ihre Fähre nach Paros ablegt.
Mit der Fähre ans Ziel der Urlaubsträume
17 Uhr, Gate E7. Einige hundert Meter weiter reihen sich zwei weitere Caravans in die Schlange vor der Rampe zur „Blue Star Naxos" ein. Insgesamt zehn Surfbretter sind in den beiden Kleinbussen verstaut. Peter, 19, und seinen fünf Freunden aus Wels in Oberösterreich ist es gerade noch gelungen, Tickets für die Fähre um 17.30 Uhr nach Naxos zu bekommen. Die Tickets für die Morgenfähre waren schon vergriffen. Davon ließen sich die sechs Jugendlichen jedoch wenig beeindrucken. Anstatt stundenlang durch den Piräus-Hafen zu schlendern, verbrachten sie die zu überbrückende Zeit an einem Strand in der Nähe von Piräus. Peter erhofft sich für die dreieinhalb Wochen „viel Wind, schönes Wetter und Party…". Er springt in den Van, denn die Autos schlängeln sich nun auf die Fähre, die ihn und seine Freunde zu seinen Urlaubsträumen in Griechenland befördern wird.
Katrin Otter und Christina Knechtl
