In Griechenland beginnt am Montag der Sommerschlussverkauf
Was kann man für 60 Euro, die mangels Zwanziger an den Geldautomaten in Wirklichkeit 50 Euro sind, wohl kaufen? Das werden sich viele Griechen angesichts des am Montag beginnenden Sommerschlussverkaufs fragen.
Dritt-Europa-Land? Das darf nicht sein!
Freitag.
Die gute Nachricht. Eine Schlagzeile auf einem griechischen Nachrichtenportal: "Der Höchstbetrag, der pro Tag von den Geldautomaten abgehoben werden kann, bleibt bei 60 Euro. Die Liquidität reicht bis Montag." Morgen ist Referendum und am Montag Alltag. Aber welcher?
Freitagabend: Als wir nach Hause kommen, begegnen wir unser Nachbarin aus dem zweiten Stock. Sie kommt gerade vom Supermarkt zurück, ein paar Wasserflaschen in der Plastiktüte, ein paar Bier. Spaghetti gab es keine, keinen Zucker, keine Hülsenfrüchte. Ich kann es einfach nicht glauben, und der nächste Tag gibt mir halbwegs recht.
Samstag.
Beim Small Market fragt mich die nette Dame jedes Mal, wie es mir denn geht. Heute ist es das erste Mal, dass ich einfach nicht spontan antworten kann: "Alles ok, es wird schon werden." Und sie, die sonst lächelt, meint: "Wir machen uns alle Sorgen. Zwei, drei Zeitungen sind heute nicht angeliefert worden. Sie konnten nicht gedruckt werden, weil das Papier zu Ende war."
Nach dem Gang zum Bäcker überlege ich mir, 50 Euro abzuheben. An drei Banken mit Geldautomaten (ATM) sehe ich en passant Schlangen von etwa 15 Leuten. An einer vierten mit zwei ATM reihe ich mch ein in die geduldig Wartenden. Geduldig? Es knistert irgendwie. "An allem soll Tsipras Schuld sein, der fünf Monate an der Regierung ist. Nicht er hat uns gedemüdigt, sondern alle anderen davor haben uns in diese Lage gebracht", sagt ein 50-Jähriger in Bermouda und mit Sonnenbrille. "Mich hat gedemütigt, dass es soweit gekommen ist, dass sich die Türkei angeboten hat, uns die Kreditrate für den Internationalen Währungsfonds zu zahlen, wofür uns das Geld fehlte", erwidert ein älterer Herr. "Jetzt kritisieren sie die neue Regierung und vergessen die Armut der letzten Jahre und die Ausspeisungen", murmelt eine schwarzhaarige Frau dazwischen.
Die etwas angespannte Atmosphäre lockert eine etwa 70-jährige quirlige Dame auf. Mit einem weißen Hut auf dem Kopf hüpft sie neben der Warteschlange auf und ab und hält den ersehnten 50-Euro-Schein aus der ATM triumphierend in die Luft. "Ich habe 42 Jahre gearbeitet und die Arbeit hat mir Spaß gemacht. Und jetzt muss ich mich freuen, dass ich von meiner Rente 50 Euro abheben kann." Dabei lächelt sie, als möchte sie sagen : "Recht geschieht uns." Und einen Mann in der Schlange fragt sie: "Kennen Sie nicht zig Kollegen, die mit 50 in die Rente gingen? Wir sind selbst an allem Schuld:" Und weg war sie.
Es muss kommen, wie es kommen muss. Einer der ATM spuckt kein Geld mehr aus, wenig später folgt der zweite. "Wir haben umsonst gewartet", meint ein Pärchen. Wenige Stunden später hat man die ATM wieder aufgefüllt, wie ich bei einem Spaziergang in der Nachbarschaft feststellen kann.
Nun zum Supermarkt. 11.30 Uhr.
Der Parkplatz ist gerammelt voll und fast gerate ich mit einem anderen eintreffenden Kunden in Streit, weil er mir vorwirft, dass ich ihm angeblich "seinen" Parkplatz gestohlen hätte.
Ein Blick im Supermarkt auf die Regale zeigt: Sie sind nicht nicht leer. Einige Lebensmittelberge sind zwar zu kleinen Hügeln geschrumpft, das gilt auch für Bier. Spaghetti Nr. 10 gibt es nur noch in der Vollkorn-Version. Der Großteil der Kunden kauft heute offensichtlich mehr ein als üblich. Vielleicht auch aus Sorge, dass die Kreditkarten bald nicht mehr funktionieren könnten.Ich nehme zur Sicherheit noch Linsen, Kichererbsen und Reis – auch wenn wir davon zu Hause noch haben.
"Wie in der Besatzungszeit!", sagt lautstark ein alter Mann hinter mir in der Schlange. Für Gespräche bleibt Zeit. Soviele Leute an den Kassen habe ich hier noch nie gesehen. Ich stelle mich auf mindestens eine halbe Stunde Wartezeit ein. Im Endeffekt dauert es sogar noch länger. "Weit haben wir es gebracht", posaunt der Alte in die Runde, ohne dabei deprimiert zu wirken. Der Mann hat 20 Jahre in Deutschland gearbeitet. "Wenn es hier ganz eng wird, gehe ich nach Deutschland, mein Sohn ist dort Arzt, und versichert bin ich dort auch." Dann wird er aber melancholisch: "Ich habe 20 Länder gesehen, aber keines ist so schön wie Griechenland."
Dem Paar vor mir gebe ich mich als "Vertreter der Institutionen" zu erkennen, weil sie mich fragte, ob ich Ausländer sei. Von Aggressivität keine Spur. Die beiden scheinen mit der derzeitigen Regierung nicht auf gutem Fuß zu stehen. "Die wollen uns nach unten nivellieren. Hamsterkäufe wie heute habe ich zuletzt bei der Zypernkrise1974 miterlebt. Uns regiert der radikale Flügel der Regierung." "Psst", weist ihn sein Frau zurecht: "Provozier keinen Streit. Wer weiß, wie die anderen denken!" "Wir dürfen doch wohl noch sagen, was wir denken", erwidert er pikiert.
"Warum nimmst Du gleich zwei Säcke Hundefutter? Lass für die anderen auch noch was übrig!" Weiter hinten in der Warteschlange gibt es wegen der Vierbeiner einen Schlagabtausch. "Was geht Sie das an?", fragt der Hundebesitzer gereizt. "Die Tiere müssen auch versorgt werden", mischt sich ein dritter besänftigend ein.
Endlich bin ich an der Kasse und hoffe, dass das Kreditkartenystem nicht blockiert, so wie an der Kasse nebenan, wo sich die Wut der Bar- gegen die Karten-Zahler entlädt.
Als ich nach wenigen Minuten endlich in meinem guten, alten Auto sitze, verabreiche ich mir einen Rückfall: Meinen Tabakkonsum habe ich in den letzten drei Jahre stark reduziert. Aber heute drehe ich mir eine Zigarette und rauche sie, was ich ich in letzter Zeit nie gemacht habe, auf der Fahrt nach Hause. Irgendwie bin ich nervös.
(Griechenland Zeitung /rs; Foto: GZ)
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