Am heutigen Mittwoch (20.11.) stehen in Griechenland viele Räder still. Anlass dafür ist ein 24-stündiger Generalstreik, zu dem die beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE (Privatwirtschaft) und ADEDY (Öffentlicher Dienst) aufgerufen haben. Zudem mobilisierte auch die kommunistische Gewerkschaft PAME. Die Griechenland Zeitung sah sich im Zentrum Athens um.
35-Stunden-Woche – höhere Löhne
Bereits auf dem Weg ins Athener Zentrum wirken die Straßen der Hauptstadt ungewöhnlich ruhig. Ein Café in meinem Viertel, in dem normalerweise viele Menschen ihren Morgenkaffee genießen, ist regelrecht leer. An der Tür ist ein Schild: „Geschlossen wegen des Streiks.“ Ein bisschen weiter sehe ich den ersten Streikposten des Tages. Mir wird gesagt, dass hier Künstlerinnen einen Protest durchführen.
Eine gewisse Anspannung liegt in der Luft, an fast allen Straßenecken sind Polizisten positioniert. Während ich an ihnen vorbeilaufe, hält mich einer von ihnen an, durchsucht meine Tasche und warnt mich davor, heute mit Kopfhörern durch die Stadt zu laufen: „Pass besser auf, was um dich herum passiert!“, warnt er mich.
In diesem Moment marschieren Demonstranten – angeführt von der PAME – vom Omonia Platz zum Platz vor dem Hauptgebäude der Athener Universität. Viele von ihnen haben rote Fahnen der Kommunistischen Partei (KKE) oder der Gewerkschaft in ihren Händen. Auf Transparenten fordern sie eine 35-Stunden-Woche und Erhöhungen der Löhne. Sie skandieren: „Alle Preise haben sich erhöht, unsere Löhne nicht – unsere Antwort ist die Organisation der Arbeiterklasse.“ Eine kurze Rede wird gehalten. Die Sprecherin spricht in das Mikrophon: „Wir werden uns nicht mehr vom Terror der Regierung unterdrücken lassen.“ Dann tönen altbekannte Arbeiter- und Kampflieder aus den Lautsprechern, die am ganzen Platz aufgebaut sind, Lieder von Mikis Theodorakis etwa. Auf einem großen Banner der PAME wird die Unterstützung der Regierung in Kriegsgebieten kritisiert: „Geld für Löhne, Gesundheit und Bildung – Raus aus Kriegen und Massakern!“, lautet die Forderung.
Beschäftigte kämpfen seit Monaten
Der heutige Generalstreik steht im Kontext von Arbeitskämpfen, die bereits seit Monaten anhalten, habe ich aus Gewerkschaftsquellen erfahren. Im Vordergrund stehen unter anderem die hohen Lebenshaltungskosten, besonders die Mieten, sowie die im Vergleich dazu stagnierenden und durch die Inflation sogar real schrumpfenden Löhne. In einem Pamphlet der GSEE, das in den Wochen vor dem Streik an öffentlichen Plätzen verteilt wurde, sind die Erhöhungen der Miet- und Lebensmittelpreise genau aufgeschlüsselt. Nach diesen Berechnungen kostet ein einfacher Einkauf von sechs Lebensmitteln heute fast zwei Drittel mehr (63,46 Prozent) als im Jahr 2021.
Bereits im Oktober gab es Streikwellen im Bildungs- und Gesundheitswesen. Diese waren auch eine Reaktion auf ein Vorantreiben der Privatisierung durch die Regierung im öffentlichen Gesundheitswesen und in den öffentlichen Schulen. Erst am Dienstag voriger Woche (12.11.) protestierten die Belegschaften den Kinderkliniken Paidon Aglaia Kyriakou und Agia Sophia in Athen gegen einen Gesetzesentwurf, auf dessen Basis die Privatisierung und Auslagerung des Kinderonkologie-Flügels sowie der geplante Austausch der Reinigungskräfte durch eine private Firma ermöglicht werden soll. Diese Änderungen wären laut den Beschäftigten fatal. In einer Erklärung betonen die Gewerkschafter, dass die Umsetzung dieser Maßnahmen dazu führe, „dass Versicherte bezahlen müssen, während Unversicherte sterben.“
Außerdem erinnere ich mich an Bilder von Athener Saison-Feuerwehrleuten, die in den sozialen Medien seit Monaten die Runde machen: Sie protestierten gegen ihre Kündigungen – und das vor dem Hintergrund, dass Griechenland mit der am längsten anhaltenden Waldbrandsaison seiner Geschichte konfrontiert war. Dabei besetzten sie zeitweise auch den Eingang des Ministeriums für Verwaltungsreform in Athen. Auch an Videoaufnahmen von dutzenden griechischen Hafenarbeitern in Piräus, die Lastkraftwagen mit Waffenlieferungen nach Israel blockierten, gingen durch die Sozialen Medien.
All diese Kräfte, so erklärten mir Gewerkschafter, sollen am Tag des Generalstreiks „gebündelt“ werden, um den Druck auf die Politik zu erhöhen, damit sie Maßnahmen für höhere Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen in die Tat umsetzt.
Feministische und Antik-Kriegs-Kämpfe
Weiter führt mich mein Weg zur Hauptkundgebung der GSEE und ADEDY am Klafthmonos-Platz an der Stadiou-Straße, die etwas später beginnt. Auch hier haben sich Tausende von Streikenden versammelt. Die Hauptstraße ist voller Menschen, auf Bannern sind scharfe Slogans zu lesen wie: „Zerstörung des öffentlichen Gesundheitswesens – Nieder mit der Regierung des Sterbens“. Dass es bei dem Streik nicht nur um die schlechte wirtschaftliche Lage vieler Beschäftigter geht, wird schnell klar, wenn man das Treiben auf dem Platz beobachtet. So etwa werden palästinensische Fahnen geschwenkt, auf selbstgemalten Transparenten stehen Sprüche wie: „Feministische und Anti-Kriegs-Kämpfe – Wir stehen hinter Palästina“. – Insgesamt, so meine Schlussfolgerung, scheint es den Streikenden darum zu gehen, griechische, antirassistische, antisexistische und arbeitsrechtliche Kämpfe in einen globalen Zusammenhang zu setzen und internationale Solidarität mit Unterdrückten auf der ganzen Welt zu demonstrieren.
Text und Fotos: (Griechenland Zeitung / Alexandra Lioliopoulou)